Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 113 IA 104



113 Ia 104

19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Mai 1987
i.S. Renova AG gegen Frau B. und H. sowie das Obergericht des Kantons
Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV, § 95 Zivilprozess-Ordnung für den Kanton Thurgau
(ZPO/TG). Kostenregelung bei subjektiver Klagenhäufung.

    Willkür bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzesnormen (E. 2b).

    Fasst der Kläger, ohne dazu gezwungen zu sein, für die gleiche
Forderung mehr als eine Person ins Recht, so bleiben diese subjektiv
gehäuften Klagen selbständig; die Kostenentscheide sind für die einzelnen
Klagen voneinander unabhängig zu gestalten (E. 2c). Ausnahmen von dieser
Regel sind bei einer erweiterten Kostenpflicht aus materiellem Recht
denkbar (E. 2e).

    Auch § 95 ZPO/TG geht von dieser Konzeption der Kostenregelung aus. Es
ist somit willkürlich, eine generelle Kostenpflicht des unterliegenden
Streitgenossen gegenüber dem obsiegenden auf dem Regressweg einzuführen
(E. 2d).

Auszug aus den Erwägungen:

            Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:

Erwägung 2

    2.- a) Weiter rügt die Beschwerdeführerin, das Obergericht habe §
95 Abs. 1 der Thurgauer Zivilprozessordnung willkürlich angewendet,
indem es sie verpflichtet habe, den Beschwerdegegner für das kantonale
Verfahren zu entschädigen. Ohne Begründung weiche es dabei vom Grundsatz
ab, wonach den Unterliegenden die Kosten aufzuerlegen seien, ein Prinzip,
das es im übrigen strikt anwende.

    Die vom Bezirksgericht Kreuzlingen erkannte Entschädigungspflicht der
Beschwerdeführerin gegenüber dem Beschwerdegegner schützt das Obergericht
mit der Begründung, das Bezirksgericht hätte zwar die Beschwerdegegnerin
verpflichten können, den Beschwerdegegner zu entschädigen. Sie hätte
ihr aber gleichzeitig den Regress auf die Beschwerdeführerin einräumen
müssen. Wenn sie letztere direkt leistungspflichtig erkläre, verletze
sie keine Regel des Zivilprozessrechts. Entsprechend verpflichtet sie
die Beschwerdeführerin, den Beschwerdegegner auch für das Verfahren vor
Obergericht zu entschädigen.

    b) Willkür im Sinne von Art. 4 BV liegt bei der Auslegung und Anwendung
von Gesetzesnormen nicht schon dann vor, wenn eine andere Auslegung
ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erschiene. Das Bundesgericht
greift erst dann ein, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist (BGE 112 Ia 27 mit Hinweisen).

    c) Die alternative wie die eventuelle subjektive Klagehäufung haben
notwendigerweise zur Folge, dass bei Gutheissung einer Klage die andere
abgewiesen oder gegenstandslos wird. Dieses Risiko trägt der Kläger
und nimmt er auch in Kauf, zumal er zu einer solchen Klagenhäufung nie
verpflichtet ist. Die subjektiv gehäuften Klagen bleiben rechtlich
selbständig, auch wenn sie in einem einheitlichen Urteil erledigt
werden. Entsprechend sind die Kostenschlüsse selbständig zu gestalten. Der
unterliegende Kläger wird daher den obsiegenden Streitgenossen gegenüber
kostenpflichtig, wobei unerheblich ist, ob die Klage abgewiesen oder
als gegenstandslos vom Protokoll abgeschrieben wird. Das entspricht
der einhelligen Lehre (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl.,
S. 303 Ziff. 4; LEUCH, N. 1 zu Art. 36 ZPO/BE; BLOMEYER, Zivilprozessrecht,
2. Aufl., S. 628; ROSENBERG-SCHWAB, Zivilprozessrecht, 14. Aufl., S. 283).

    Alternative und eventuelle subjektive Klagehäufungen haben in aller
Regel ihren Grund darin, dass mehrere mögliche Beklagte sich gegenseitig
die Schuldpflicht zuzuschieben versuchen. Dies reicht indessen für sich
allein nicht aus, den tatsächlich passivlegitimierten für sämtliche
Kosten, auch diejenigen der Mitbeklagten, haftbar zu erklären. Würde
so argumentiert, könnte sich letztlich der Kläger seines Risikos der
richtigen Beklagtenwahl entschlagen, was fundamentale Grundsätze des
Zivilprozessrechtes verletzen würde. Die prozessuale Risikoverteilung
würde im Endergebnis umgekehrt.

    d) Das Obergericht geht von einer eventuellen oder subjektiven
Klagehäufung aus und weist folgerichtig die Klage gegen den
Beschwerdeführer ab, nachdem es diejenige gegen die Beschwerdeführerin
gutgeheissen hat. Eine direkte Kostenpflicht des einen Streitgenossen
gegen den andern lässt sich, wie auch das Obergericht anerkennt, nicht
auf § 95 ZPO/TG abstützen. "Gegner" im Sinne des ersten Absatzes dieser
Bestimmung ist ausschliesslich die Gegenpartei. Damit bleibt kein Raum,
um die generelle Kostenpflicht des unterliegenden Streitgenossen gegenüber
dem obsiegenden auf dem Regressweg einzuführen. Hinzu kommt, dass § 95
Abs. 1 ZPO/TG nur zum Ersatz der notwendigen Kosten des Prozessgegners
verpflichtet. Diese ausdrückliche Einschränkung ist ergänzend zu
beachten. Zusatzkosten aus alternativer oder eventueller Klagehäufung
sind nach dem Gesagten nicht notwendig.

    e) Ausnahmen von der Regel sind in besonders gelagerten Fällen denkbar,
was etwa zutreffen mag, wenn der effektiv Passivlegitimierte den Kläger
in einer Art. 41 OR oder den Grundsatz von Treu und Glauben verletzenden
Weise zur Klagehäufung "zwingt", was eine erweiterte Kostenpflicht aus
materiellem Recht zu begründen vermag.

    Das Bezirksgericht rechtfertigt die Kostenpflicht der
Beschwerdeführerin einzig mit dem Hinweis, sie habe "durch ihre Weigerung,
die Forderung von Fr. 55'000.-- anzuerkennen und zu bezahlen",
das Verfahren verursacht. Diese allgemeine Formulierung trifft auf
jeden verurteilten Beklagten zu und reicht nicht aus, die erweiterte
Kostenpflicht zu begründen. Das Obergericht fügt keine zusätzlichen
Argumente bei. Sein Entscheid, die Beschwerdeführerin zu verpflichten,
den Beschwerdegegner zu entschädigen, ist - jedenfalls mit der vorliegenden
Begründung - unhaltbar und daher insoweit aufzuheben.