Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 387



112 V 387

67. Auszug aus dem Urteil vom 31. Dezember 1986 i.S. Bundesamt für
Militärversicherung gegen Beiner und Versicherungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 25 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 MVG: Revision einer Integritätsrente.

    - Bemessung des Integritätsschadens (Erw. 1a).

    - Grundsätze für die Revision einer Integritätsrente (Erw. 1b und c).

    - Berechnung der Integritätsrente. Massgeblicher Jahresverdienst.
Neufestsetzung von laufenden Integritätsrenten, welche auf der bis 1966
geltenden, als sachfremd erkannten Praxis des mutmasslich entgangenen
Jahresverdienstes beruhen. Dem stehen weder eine Besitzstandsgarantie
noch wohlerworbene Rechte entgegen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Hans Beiner (geb. 1921), von Beruf Müller, musste sich 1949 wegen
einer im Militärdienst aufgetretenen Tuberkulose einer vollständigen
Kniegelenksresektion unterziehen. Der Eingriff hinterliess eine
vollständige Versteifung des rechten Knies und eine Verkürzung des
rechten Beines um 3 cm. In den Jahren 1946 und 1947 hatte sich Hans
Beiner zulasten der Militärversicherung zum kaufmännischen Angestellten
umschulen lassen und danach eine Stelle bei einer Versicherungsgesellschaft
angetreten. Nach verschiedenen befristeten Rentenzusprechungen verfügte
die Militärversicherung am 25. März 1952 eine ab anfangs 1952 laufende
Dauerrente von monatlich Fr. 195.--, dies auf der Grundlage einer
vollen Bundeshaftung, eines Invaliditätsgrades von einem Drittel,
eines Leistungsansatzes von 90% und eines Jahresverdienstes von
Fr. 7'800.--. Im Anschluss an verschiedene ärztliche Untersuchungen
in den Jahren 1953, 1954, 1955, 1957 und 1960 sowie nach Abklärungen
der Verdienstverhältnisse im Zusammenhang mit den Anpassungen des für
die Rentenberechnung massgeblichen Jahresverdienstes an die Lohn- bzw.
Teuerungsentwicklung (auf anfangs 1964: Fr. 13'670.--; 1970: Fr. 20'144.--;
1973: Fr. 28'629.--; 1975: Fr. 33'436.--, dies bei einem Leistungsansatz
von 85% statt 90% zufolge Wegfalls einer Unterhaltsverpflichtung)
behielt die Militärversicherung den Invaliditätsgrad von einem Drittel
jeweils unverändert bei, obwohl der Versicherte vom kaufmännischen
Versicherungsangestellten über eine Tätigkeit im Truppenkontrollbüro der
kantonalen Militärdirektion (1. Mai 1969) zur kantonalen Amtsschaffnerei
(1. Mai 1970) übergewechselt war.

    Ende 1981 leitete das Bundesamt für Militärversicherung (BAMV) ein
Rentenrevisionsverfahren ein. Die Verwaltung führte am 14. Dezember 1981
eine kreisärztliche Untersuchung durch, holte einen röntgenologischen
Bericht des Dr. med. G. vom 11. Januar 1982 sowie einen Aussendienstbericht
vom 21. Januar 1982 ein und kam zum Schluss, dass "die laufende 33 1/3%ige
Invalidenrente ab 1. Mai 1982 aufzuheben und durch eine Integritätsrente"
von 20% zu ersetzen sei, wobei - nebst den im übrigen unveränderten
Rentenelementen - der Jahresverdienst auf den durch die Rechtsprechung
begründeten Mittelwert von Fr. 37'475.-- festgelegt werde (Préavis vom
12. März 1982). Nach Erlass eines gleichlautenden Vorschlages (vom 4. Juni
1982) verfügte das BAMV in diesem Sinne am 13. August 1982.

    B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Bern hiess die hiegegen
eingereichte Beschwerde gut, hob die angefochtene Verfügung auf und
verpflichtete das BAMV - in der Annahme, dass es sich bei der bisherigen
Rente um eine Integritätsrente gehandelt habe -, diese dem Versicherten
über den 1. Mai 1982 hinaus auszurichten (Entscheid vom 8. Oktober 1983).

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das BAMV die Aufhebung
des kantonalen Gerichtsentscheides.

    Der Versicherte lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) ...

    Ein Integritätsschaden gibt grundsätzlich dann Anspruch auf eine
Rente der Militärversicherung, wenn der Versicherte objektiverweise
im Lebensgenuss erheblich eingeschränkt ist. Rechtserheblich in diesem
Sinne ist die Störung primärer Lebensfunktionen, nicht auch die blosse
Behinderung in der sonstigen Lebensgestaltung wie beispielsweise
beim Sport, bei der Teilnahme an gesellschaftlichen Anlässen und
dergleichen (BGE 110 V 119 f. mit Hinweisen). Die Rente für erhebliche
Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen Integrität wird in
Würdigung aller Umstände nach billigem Ermessen festgesetzt (Art. 25
Abs. 1 MVG). Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts
wird die Beeinträchtigung prozentmässig ermittelt aufgrund vergleichender
Betrachtung des funktionell-anatomischen Zustandes vor und nach Eintritt
des versicherten Gesundheitsschadens (EVGE 1968 S. 95 Erw. 3b; bestätigt
in BGE 96 V 112 Erw. 2c).

    b) Nach Art. 26 Abs. 1 MVG ist eine Rente der Militärversicherung
in Revision zu ziehen und neu festzusetzen, wenn der körperliche
oder psychische Nachteil des Versicherten erheblich grösser oder
erheblich geringer wird, als bei der Festsetzung der Rente angenommen
wurde. Praxisgemäss ist die Rente nicht nur bei einer wesentlichen
Veränderung des Gesundheitszustandes, sondern auch dann revidierbar,
wenn sich die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen
Gesundheitszustandes erheblich verändert haben (BGE 109 V 116, 107 V 221
Erw. 2, 105 V 30 mit Hinweisen). Ob eine solche Änderung eingetreten ist,
beurteilt sich durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der
ursprünglichen Rentenverfügung bestanden hat, mit demjenigen zur Zeit der
streitigen Revisionsverfügung (BGE 109 V 265 Erw. 4a, 106 V 87 Erw. 1a,
105 V 30). Unerheblich unter revisionsrechtlichem Gesichtswinkel ist
dagegen nach ständiger Rechtsprechung die unterschiedliche Beurteilung
eines im wesentlichen unverändert gebliebenen Sachverhaltes (statt
vieler: unveröffentlichte Urteile Studer vom 29. März 1984 und Crosilla
vom 8. März 1984; vgl. auch ZAK 1985 S. 332). Auch eine neue Verwaltungs-
oder Gerichtspraxis rechtfertigt grundsätzlich keine Revision des laufenden
Rentenanspruches zum Nachteil des Versicherten (BGE 107 V 153).

    Stellt der Richter im Revisionsprozess die zweifellose Unrichtigkeit
der ursprünglichen Rentenverfügung fest und ist deren Berichtigung von
erheblicher Bedeutung, so kann er die angefochtene Revisionsverfügung
der Verwaltung mit dieser substituierten Begründung der Wiedererwägung
schützen (BGE 110 V 275 Erw. 3b, 296, 106 V 87 Erw. 1b mit Hinweisen;
vgl. auch BGE 107 V 84 ff.). Bei der Beurteilung, ob eine Wiedererwägung
wegen zweifelloser Unrichtigkeit zulässig sei, ist vom Rechtszustand
auszugehen, wie er im Zeitpunkt des Verfügungserlasses bestanden hat, wozu
auch die seinerzeitige Rechtspraxis gehört; eine Praxisänderung vermag
aber kaum je die frühere Praxis als zweifellos unrichtig erscheinen zu
lassen (BGE 103 V 128, 100 V 25 Erw. 4b).

    c) Diese im Urteil Holbein vom 9. Dezember 1986 (BGE 112 V 371)
für den Bereich der Militärversicherung bestätigten Grundsätze
über die Revision von Invalidenrenten gelten, unter Ausschluss der
erwerblichen Gesichtspunkte, sinngemäss auch für die Revision von
Integritätsrenten. Revisionsgrund bildet hier die Veränderung der für
den Integritätsschaden wesentlichen Störungen primärer Lebensfunktionen
(Erw. 1a), was in der Regel eine Änderung des massgeblichen versicherten
Gesundheitsschadens voraussetzt. Ohne dass der Gesundheitszustand selbst
eine Änderung erfährt, dürften Integritätsrenten nur selten revidiert
werden können (vgl. EVGE 1964 S. 141). Es erscheint indessen nach den
zutreffenden Ausführungen des kantonalen Gerichts nicht zum vornherein
als ausgeschlossen, dass ein Revisionsgrund - bei gleichgebliebenem
Gesundheitszustand - in der Anpassung des Versicherten an seine Behinderung
liegen kann (MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. II,
S. 559).

Erwägung 2

    2.- a) (Nach der Aktenlage hat das BAMV mit seiner Verfügung
vom 25. März 1952 eine Integritäts- und nicht eine Invalidenrente
zugesprochen.)

    b) Hatte die Verfügung vom 25. März 1952 nach dem Gesagten eine
Integritätsrente zum Gegenstand, ist als nächstes zu prüfen, ob diese
zulässigerweise in Revision gezogen werden konnte. Es fragt sich somit,
ob seit der Rentenzusprechung (am 25. März 1952) bis zur angefochtenen
Revisionsverfügung (am 13. August 1982) eine erhebliche Änderung in der
Beeinträchtigung der körperlichen Integrität eingetreten ist.

    Aufgrund der umfangreichen medizinischen Akten liegt ein Revisionsgrund
nicht vor. Die seit der Knieoperation und der damit verbundenen Versteifung
vorliegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität hat sich nicht
vermindert, wie aus der Befundbeschreibung laut der kreisärztlichen
Untersuchung vom 14. Dezember 1981 hervorgeht. Dies wird durch die
"eindrucksvollen Auswirkungen der Fehlstatik auf die Hüft-, Becken-
und Wirbelsäulengelenke" (kreisärztliche Aktennotiz vom 11. März 1982)
bestätigt. Dass Kreisarzt (Bericht vom 15. Dezember 1981) und Chefarzt
(Stellungnahme vom 1. März 1982) den Integritätsschaden mit "15-20%"
beziehungsweise "praxisgemäss mit 20%" bemessen haben, ist bloss eine
medizinische Neubeurteilung eines im wesentlichen unverändert gebliebenen
Sachverhaltes, was keinen Revisionsgrund darstellt (Erw. 1c). Auch eine
Bestätigung der Revisionsverfügung mit Hilfe der substituierten Begründung
der Wiedererwägung kommt vorliegend nicht in Frage, weil die seinerzeitige
Annahme eines Integritätsschadens von einem Drittel in Anbetracht der
damals eingeholten ärztlichen Berichte keinesfalls als zweifellos unrichtig
betrachtet werden kann. Somit steht dem Beschwerdegegner - insoweit ist
dem kantonalen Gericht beizupflichten - über den 1. Mai 1982 hinaus eine
Integritätsrente auf der Grundlage eines Schadens von einem Drittel zu.

Erwägung 3

    3.- Streitig und zu prüfen ist im weitern die Rentenberechnung,
d.h. die Frage, aufgrund welchen Jahresverdienstes dem Beschwerdegegner
die Integritätsrente für die Zeit nach dem 1. Mai 1982 zusteht.

    a) Die Integritätsrente ist nach Art. 25 Abs. 1 MVG in Würdigung aller
Umstände nach billigem Ermessen festzusetzen. Unter dem Gesichtspunkt der
Berechnungsgrundlage lebte die Militärversicherung dieser Bestimmung bis
1966 in der Weise nach, dass die Integritätsrente aufgrund des massgebenden
entgangenen Jahresverdienstes (und des Leistungsansatzes) festgesetzt
wurde (SCHATZ, Kommentar zur Eidg. Militärversicherung, S. 150). In
EVGE 1966 S. 148 (Urteil Gysler) und EVGE 1968 S. 88 (Urteil Lendi)
erkannte das Eidg. Versicherungsgericht, dass die Integritätsrente
nichtwirtschaftliche Schäden deckt und immaterieller Natur ist. Die
Integritätsbeeinträchtigung und ihr Ausgleich hat mit dem entgangenen
Jahresverdienst, dem Personenstand und den Unterstützungspflichten nichts
gemeinsam, weshalb die für die Invalidenrenten geltende Berechnungsmethode
gemäss Art. 24 MVG unangebracht ist. Ein hoher Jahresverdienst soll
nicht unbesehen zu einer hohen, ein niedriger zu einer geringeren
Integritätsrente führen. Deren Berechnung darf jedoch im Interesse einer
rechtsgleichen verwaltungsmässigen Handhabung nicht jeder zahlenmässigen
Grundlage entbehren (EVGE 1966 S. 153); die erforderliche Garantie
rechtsgleicher Behandlung aller Versicherten ist in der Rentenberechnung
selbst zu suchen (EVGE 1968 S. 98). Seither ist nach der Rechtsprechung
für die Berechnung der Integritätsrente in der Regel ein Leistungsansatz
von 85% und der Mittelwert zwischen dem gesetzlichen Verdienstminimum und
dem gesetzlichen Verdienstmaximum massgebend (BGE 110 V 120 mit Hinweisen).

    b) Bei der Begründung der erwähnten Rechtspraxis durch das
Urteil Gysler (EVGE 1966 S. 148) betrug der massgebliche Mittelwert
Fr. 12'000.--... (Es folgen Ausführungen über die späteren Erhöhungen des
Mittelwertes bis auf Fr. 41'972.--; vgl. dazu das Urteil Gasser vom 29.
Dezember 1986 [BGE 112 V 383 Erw. 5a].)

    Mit Wirkung ab 1. Januar 1985 hat das BAMV seine Verwaltungspraxis
dahingehend geändert, dass inskünftig alle Integritätsrenten - reine
Integritätsrenten nach Art. 25 Abs. 1 wie Gesamtrenten nach Art. 25 Abs. 3
MVG - neu auf einer Berechnungsgrundlage von Fr. 15'000.-- zuzusprechen
sind. Denn da der besagte Mittelwert im Laufe der Jahre der Entwicklung
sowohl der Teuerung als auch der Löhne gefolgt sei, hätten sich mit der
Zeit Entschädigungen für Integritätseinbussen ergeben, die in einem immer
grösseren Missverhältnis zum jeweiligen Schaden gestanden seien. Im
Urteil Gasser vom 29. Dezember 1986 (BGE 112 V 376) hat indes das
Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass diese neue Verwaltungspraxis
nicht haltbar sei, weil sie im Rahmen von Art. 25 Abs. 1 MVG die Leistungen
massiv abbaue (und auch im Bereich von Art. 25 Abs. 3 MVG [Gesamtrente]
keine angemessenen Lösungen erlaube). Im erwähnten Urteil hat das Gericht
die für die Berechnung von Integritätsrenten nach Art. 25 Abs. 1 und Abs. 3
MVG massgeblichen Jahresverdienstgrundlagen aus den folgenden Erwägungen
neu umschrieben: ... (Siehe Erw. 6 des Urteils Gasser [BGE 112 V 385].)

    c) Es fragt sich, ob das BAMV berechtigt oder verpflichtet ist,
die Integritätsrente, welche dem Beschwerdegegner bis zum Erlass
der angefochtenen Verfügung am 13. August 1982 nach dem mutmasslich
entgangenen, mehrfach erhöhten Jahresverdienst zugesprochen wurde, an
die neuen Regeln über die Berechnungsgrundlagen anzupassen. Dabei fällt
angesichts der durch das Urteil Gasser geschaffenen Rechtslage nicht eine
Angleichung an die Gerichtspraxis gemäss den Urteilen Gysler und Lendi
in Betracht, wie das BAMV beantragt; vielmehr hat gegebenenfalls direkt
eine Anpassung an die Berechnungsgrundsätze gemäss dem Urteil Gasser zu
erfolgen, was prozessual möglich ist (Art. 132 lit. c OG), jedoch auch
voraussetzt, dass eine solche Angleichung materiellrechtlich zulässig
oder geboten ist.

    Nach der Rechtsprechung muss eine formell rechtskräftige Verfügung
abgeändert werden, wenn seit deren Erlass eine Rechtsänderung
eingetreten ist, welche die Verfügung als rechtswidrig erscheinen
lässt (BGE 98 V 178 mit Hinweisen; vgl. auch 108 V 206). Insbesondere
zeitlich unbefristet fortwirkende Anordnungen sind zu ändern, wenn sie
dadurch einer nachträglich verwirklichten Änderung des objektiven Rechts
anzupassen sind; die Rechtsänderung erlaubt nicht nur die Anpassung, sie
verlangt diese (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
5. Aufl., Bd. I, S. 273; GOSSWEILER, Die Verfügung im schweizerischen
Sozialversicherungsrecht, Diss. Bern 1983, S. 193). Eine neue
Verwaltungs- oder Gerichtspraxis bildet zwar kaum je einen Grund für ein
Zurückkommen auf eine formell rechtskräftige Dauerverfügung zum Nachteil
des Versicherten (Erw. 1b). Eine Anpassung ursprünglich fehlerfreier
Verfügungen erscheint aber ausnahmsweise dann als gerechtfertigt, wenn eine
neue Praxis in einem solchen Masse allgemeine Verbreitung erhält, dass
deren Nichtbefolgung als Verstoss gegen das Gleichheitsgebot erschiene
(IMBODEN/RHINOW, aaO, S. 274). Unter dieser Voraussetzung liegt im
Ergebnis die gleiche Situation vor wie im Falle einer nachträglichen
Änderung des objektiven Rechts (IMBODEN/ RHINOW, aaO, S. 274; vgl. auch
EVGE 1966 S. 31 Erw. 1, 1964 S. 44), so dass eine Praxisänderung Anlass
zur Umgestaltung eines Dauerrechtsverhältnisses geben kann (GYGI,
Verwaltungsrecht, S. 310 mit Hinweisen auf die bundesgerichtliche Praxis).

    Diese Voraussetzungen für die Anpassung der Integritätsrente an die mit
dem Urteil Gasser eingeleitete Gerichtspraxis sind vorliegend erfüllt. Denn
es ist in höchstem Masse rechtsungleich, Integritätsrenten nach wie vor
anhand des als sachfremd erkannten Kriteriums des mutmasslich entgehenden
Jahresverdienstes festzusetzen und folglich Bezüger von Integritätsrenten
bei gleichen körperlichen Beeinträchtigungen unterschiedlich zu
entschädigen. Das BAMV weist zu Recht auf die massiven Unterschiede hin,
welche sich aus der Anwendung der bis 1966 geltenden Praxis auf damals
zugesprochene, weiterlaufende Integritätsrenten ergeben.

    d) Zu prüfen bleibt, ob der Rentenanpassung eine Besitzstandsgarantie
oder wohlerworbene Rechte entgegenstehen (IMBODEN/ RHINOW, aaO, S. 273).

    Die mit den Urteilen Gysler und Lendi eingeleitete Rechtsprechung
beruht auf der Einsicht, dass Integritätsrenten nicht nach der Höhe
des jeweiligen Einkommens, sondern so zu bemessen sind, dass gleiche
Beeinträchtigungen der Integrität gleich zu entschädigen sind. Folgerichtig
wird daher im Urteil Gasser nach wie vor auf den Mittelwert zwischen dem
gesetzlichen Verdienstminimum und dem gesetzlichen Verdienstmaximum
abgestellt, wobei jedoch anders als nach der Rechtspraxis Gysler
und Lendi die Reallohnentwicklung ausser acht gelassen wird. Damit
erst werden stossende Rechtsungleichheiten vermieden, die dadurch
gekennzeichnet sind, dass Versicherte mit höheren Erwerbseinkommen für
den gleichen Körperschaden eine grössere Entschädigung erhalten als
Versicherte mit einem tieferen Verdienst. Daher ist die Berufung auf
eine Besitzstandsgarantie nicht zulässig, weil sonst das Ziel einer
rechtsgleichen Entschädigungspraxis für Integritätsbeeinträchtigungen
vereitelt würde. Aus der Rechtsprechung zu den Übergangsbestimmungen
bei den AHV-Revisionen ergibt sich nichts anderes: Dort sind die neuen
Berechnungsregeln - ohne Besitzstandsgarantie - auch dann anwendbar, wenn
bei gleicher Rentenart die Berechnungsgrundlagen der Rente ändern (BGE 108
V 206 Erw. 2a). Sinn und Zweck der neuen Ordnung verlangen zudem geradezu
die Anpassung (IMBODEN/RHINOW, aaO, S. 272). Wenn eine bestimmte Kategorie
von Versicherten durch - gesetzeskonforme - Berechnung der Integritätsrente
begünstigt worden ist, so heisst das nicht, dass sie für die Zukunft
einen unbedingten Anspruch auf Erhaltung dieser Vorzugsstellung hat.
Eine solche Begünstigung kann durch neue Normen auch wieder aufgehoben
werden (BGE 108 V 120).

    Der Beschwerdegegner macht schliesslich mit Recht nicht geltend, dass
die in seinem Fall bisher angewandte Bemessung der Integritätsrente ein
wohlerworbenes Recht darstelle, das unter dem Schutz der Eigentumsgarantie
stehe und auch nach Treu und Glauben zu respektieren sei. Denn nach der
Rechtsprechung besteht ein wohlerworbenes und damit unentziehbares Recht
auf unveränderten Weiterbezug einer laufenden Rente nur dann, wenn das
neue Gesetz eine entsprechende Garantie vorsieht. Ein stillschweigendes
Zugeständnis dieser Art anzunehmen, widerspräche der Lehre und Praxis
im Sozialversicherungsrecht und auch der Notwendigkeit, dem Gesetzgeber
namentlich auf diesem den sich rasch ändernden Umständen besonders
ausgesetzten Gebiet diejenigen Gestaltungsmöglichkeiten zu wahren, auf die
er zur Erfüllung seiner Aufgabe angewiesen ist. Er muss die Möglichkeit
haben, laufende Renten zu ändern, sei es zugunsten oder zuungunsten des
Rentenbezügers (vgl. BGE 108 V 119).

Erwägung 4

    4.- Zusammenfassend ergibt sich, dass das BAMV berechtigt und
verpflichtet ist, die laufenden Integritätsrenten, welche auf der bis
1966 geltenden Praxis des mutmasslich entgangenen Jahresverdienstes
beruhen, an die durch das Urteil Gasser eingeleitete Rechtsprechung
anzupassen. Unerheblich ist dabei, ob die solchermassen zu überprüfenden
Integritätsrenten im Ergebnis zu einer finanziellen Schlechter- oder
Besserstellung führen.

Erwägung 5

    5.- (Parteientschädigung.)

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 8. Oktober
1983, soweit er sich auf die Rentenberechnungsgrundlagen bezieht,
aufgehoben und die Sache an das Bundesamt für Militärversicherung
zurückgewiesen wird, damit dieses im Sinne der Erwägungen 3 und 4
verfahre. Im übrigen wird die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.