Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 333



112 V 333

60. Auszug aus dem Urteil vom 18. August 1986 i.S. Schweizerische
Krankenkasse Helvetia gegen K. und Versicherungsgericht des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 30bis Abs. 3 lit. a KUVG: Kostenauflage.

    - Bei leichtsinnigem oder mutwilligem Verhalten im kantonalen
Beschwerdeverfahren können die Gerichtskosten auch dem Beschwerdegegner
auferlegt werden (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 4).

    - Begriff des leichtsinnigen oder mutwilligen Verhaltens im Prozess
(Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- In einem Beschwerdeverfahren hat das Versicherungsgericht
des Kantons Zürich die von der Schweizerischen Krankenkasse Helvetia
erlassene Verfügung aufgehoben und der Kasse wegen mutwilligen
Verhaltens die Gerichtskosten auferlegt. Mit der vorliegenden
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Kasse, es sei der
vorinstanzliche Entscheid im Kostenpunkt aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Die Krankenkasse stützt ihren Antrag in erster Linie auf
den Umstand, dass gemäss dem Wortlaut von Art. 30bis Abs. 3 lit. a
KUVG im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht einzig dem
Beschwerdeführer bei leichtsinniger oder mutwilliger Beschwerdeführung
die Gerichtskosten überbunden werden können. Das Nichterwähnen des
Beschwerdegegners in der erwähnten Bestimmung stelle ein qualifiziertes
Schweigen des Gesetzgebers dar, welches weder durch Lückenfüllung noch
durch kantonales Recht abgeändert werden könne. Im übrigen sehe das
kantonale Recht keine abweichende Regelung vor.

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat in seiner bisherigen
Rechtsprechung sich nur in seltenen Fällen zur Regelung von Art. 30bis
Abs. 3 lit. a KUVG - bzw. zur identischen Regelung von Art. 85 Abs. 2
lit. a AHVG - ausgesprochen. In EVGE 1968 S. 22 musste es den Fall
beurteilen, wo eine Vorinstanz nicht dem Beschwerdeführer, sondern dem
Beschwerdegegner die Gerichtskosten wegen leichtsinniger oder mutwilliger
Prozessführung überbunden hat. Es gelangte zum Schluss, dass aufgrund
des Gesetzeswortlautes diese Kosten-Auferlegung zweifellos unzulässig sei.

    Anderseits musste es zur Frage Stellung nehmen, ob die Kosten eines
gerichtlichen Gutachtens vom Gericht oder von der Verwaltung zu tragen
sind. Es hat sie dahin beantwortet, dass die Begutachtungskosten zu
den Gerichtskosten gehören und deshalb vom Gericht übernommen werden
müssten; eine Ausnahme von dieser Regel könnte gemacht werden, wenn eine
Verwaltungsstelle die Verfügung aufgrund unvollständiger Akten erlassen
und durch ihren Leichtsinn das Gericht zur weitern Abklärung gezwungen
hat (EVGE 1955 S. 206; RKUV 1985 Nr. 637 S. 196; RSKV 1973 Nr. 167 S. 66
Erw. 4).

    c) Im Sinne der letzterwähnten Urteile ist nicht einzusehen, warum
nur der Beschwerdeführer (d.h. normalerweise der Versicherte), der sich
im kantonalen Verwaltungsgerichtsverfahren leichtsinnig oder mutwillig
verhält, die Kosten übernehmen soll; es wäre unbillig, bei einem gleichen
Verhalten den Beschwerdegegner (d.h. praxisgemäss meistens die Verwaltung)
nicht die gleichen Folgen tragen zu lassen. Entgegen der Auffassung
der Krankenkasse kann somit nicht auf ein qualifiziertes Schweigen des
Gesetzgebers geschlossen werden. An der durch EVGE 1968 S. 22 begründeten
Praxis kann somit nicht festgehalten werden. Bei leichtsinnigem oder
mutwilligem Verhalten sollen jeder Partei die Kosten überbunden werden
können.

Erwägung 5

    5.- Zu prüfen bleibt, ob vorliegend die Voraussetzungen für die
Überbindung der Gerichtskosten auf die Krankenkasse erfüllt waren.

    a) Leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung kann vorliegen,
wenn die Partei ihre Stellungnahme auf einen Sachverhalt abstützt, von
dem sie weiss oder bei der ihr zumutbaren Sorgfalt wissen müsste, dass
er unrichtig ist (RSKV 1979 Nr. 383 S. 220 Erw. 4; unveröffentlichtes
Urteil Verdun vom 1. Juni 1978). Mutwillige Prozessführung kann etwa
auch angenommen werden, wenn eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft
obliegende Pflicht (z.B. Mitwirkungs-, Unterlassungspflicht) verletzt
(unveröffentlichtes Urteil Righetti vom 27. Oktober 1983) oder wenn
sie noch vor der Rekursbehörde an einer offensichtlich gesetzwidrigen
Auffassung festhält (in BGE 99 V 145 nicht veröffentlichte, aber in ZAK
1973 S. 429 publizierte Erw. 4 des Urteils Ortiz vom 10. Januar 1973).

    Leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung liegt aber so lange
nicht vor, als es der Partei darum geht, einen bestimmten, nicht als
willkürlich erscheinenden Standpunkt durch den Richter beurteilen zu
lassen; dies gilt auch dann, wenn der Richter die Partei im Laufe des
Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunktes überzeugen und
zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerderückzug) veranlassen will
(unveröffentlichte Urteile Brülhart vom 28. August 1978, Boss vom 9. Juni
1978 und Billari vom 16. Oktober 1967).

    b) Vorliegend begründete die Vorinstanz in Gutheissung der Beschwerde
die Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber der Versicherten in
erster Linie damit, dass die operative Brustverkleinerung nicht blossen
kosmetischen Bedürfnissen (wie die Kasse geltend machte), sondern der
Behebung von krankhaften Folgeerscheinungen gedient habe. Im übrigen
müsste die Krankenkasse ihre Leistung aber auch aufgrund der klaren
Kostenübernahmezusicherung erbringen, die sie der Versicherten abgegeben
habe, nachdem sie von dieser in genügender Weise orientiert worden
sei. Mit der Überbindung der Gerichtskosten werde auch dem Umstand
Rechnung getragen, dass die vorinstanzliche Hauptverhandlung nur
wegen mutwilligen Verhaltens der Krankenkasse habe durchgeführt werden
müssen. Die Versicherte habe nach Erhalt der Vorladung zur Verhandlung die
Unterlagen von vier Ärzten dem Gericht zugestellt; das Gericht seinerseits
habe diese Urkunden, die sich zuvor noch nicht bei den Akten befunden
hätten, umgehend der Kasse zukommen lassen in der Meinung, diese würde
die Beschwerde anerkennen, da sich aufgrund der neuen Unterlagen eine
Leistungspflicht der Kasse ohne weiteres ergeben habe.

    c) Die Krankenkasse macht ihrerseits geltend, der Vorwurf, sie habe
die Beschwerde nicht anerkannt, sei unbegründet. Denn einerseits stehe der
Krankenkasse das Recht zu, ein materielles Urteil zu verlangen. Anderseits
wäre das Gericht aufgrund der Offizialmaxime, welche grundsätzlich sowohl
den Vergleich als auch die Anerkennung, wie man sie im Zivilprozess kennt,
ausschliesst, ohnehin nicht um die materielle Entscheidung herumgekommen
(RSKV 1983 Nr. 520 S. 37). In materieller Hinsicht habe man in guten
Treuen geteilter Meinung sein können, ob die körperliche Deformation der
Versicherten Krankheitswert besessen habe oder nicht und ob je nachdem
die Brustreduktion als Pflichtleistung oder als kosmetische Operation
erschienen sei. Schliesslich sei nicht belegt, dass die Kassierin von der
eigentlichen Operation tatsächlich Kenntnis hatte, als sie die Garantie
erteilte.

    d) Es mag als wenig verständlich erscheinen, dass die Krankenkasse
die Beschwerde nicht "anerkannt" hat, nachdem sie die fraglichen Urkunden
zugestellt erhalten und die Rechtsbelehrung des Gerichtes entgegengenommen
hatte. Es ist aber zu bedenken, dass eine "Anerkennung" der Begehren
der Versicherten erst kurz vor der vorinstanzlichen Hauptverhandlung
in Frage gekommen wäre, dann nämlich, als die Versicherte die Belege
der vier Ärzte dem Gericht aufgelegt hatte. In diesem Zeitpunkt war
die Möglichkeit für die Kasse, ihre angefochtene Verfügung im Sinne von
Art. 58 VwVG in Wiedererwägung zu ziehen, längst vorbei. Die Kasse macht
daher zu Recht geltend, dass das Gericht auch bei einer "Anerkennung"
ein materielles Urteil hätte fällen müssen. Weshalb die Versicherte
die genannten Belege erst in einem so späten Prozessstadium auflegte,
ist hier nicht zu prüfen; aber es ist klar, dass sich damit für die
Kasse eine ganz andere Prozesssituation ergab, als wenn jene Belege von
Prozessbeginn an bei den Akten gelegen hätten. Aufgrund dieser Umstände
kann das Verhalten der Krankenkasse nicht als leichtsinnig oder mutwillig
im Sinne der erwähnten Rechtsprechung erscheinen.