Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 323



112 V 323

57. Urteil vom 31. Oktober 1986 i.S. Sigrist gegen Arbeitslosenkasse des
Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Regeste

    Art. 11 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG. Wer eine Kündigung,
welche die gesetzliche Frist missachtet, akzeptiert, verzichtet nicht auf
Lohnansprüche, sondern auf die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses. Ein
solches Verhalten fällt nicht unter Art. 11 Abs. 3 AVIG, es kann aber
den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit (Art. 30 Abs. 1
lit. a AVIG) erfüllen.

Sachverhalt

    A.- Herbert Sigrist war seit 1. März 1984 als Aussendienstmitarbeiter
bei der Firma H. AG tätig. Mit Schreiben vom 27. Mai 1985 kündigte
die Arbeitgeberin das Anstellungsverhältnis auf den 30. Juni 1985. Ab
1. Juli 1985 besuchte Herbert Sigrist die Stempelkontrolle und beantragte
am 30. Juli 1985 die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung ab 1.
Juli 1985.

    Mit Verfügung vom 28. August 1985 lehnte die Arbeitslosenkasse des
Kantons Luzern den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für den Monat
Juli 1985 mangels anrechenbaren Arbeitsausfalls ab, da Herbert Sigrist für
diesen Monat gegenüber seiner früheren Arbeitgeberin noch Lohnansprüche
zustünden.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher Herbert Sigrist
die Zusprechung von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung für den Monat
Juli 1985 beantragte, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit
Entscheid vom 11. April 1986 ab. Es führte aus, dass die Firma H. AG den
Arbeitsvertrag mit Herbert Sigrist gemäss Art. 336b Abs. 1 OR erst auf
31. Juli 1985 hätte kündigen dürfen. Der Versicherte habe deshalb bis zu
diesem Datum Anspruch auf den vertraglichen Lohn. Der Arbeitsausfall sei
somit nach Art. 11 Abs. 3 AVIG nicht anrechenbar.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Herbert Sigrist
sinngemäss das im vorinstanzlichen Verfahren gestellte Rechtsbegehren.

    Die Arbeitslosenkasse und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und
Arbeit schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung zählt gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG, dass
der Versicherte einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat. Nicht
anrechenbar ist nach Art. 11 Abs. 3 AVIG ein Arbeitsausfall, für den
dem Arbeitslosen Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des
Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz stellte in Anwendung von Art. 11 Abs. 3 in
Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. b AVIG fest, dass dem Beschwerdeführer,
dessen Arbeitgeberin das Anstellungsverhältnis am 27. Mai 1985 unter
Missachtung der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten auf Ende Juni
1985 aufgelöst habe, bis Ende Juli 1985 der vertragliche Lohn zustehe,
weshalb er für diesen Monat keine Taggelder der Arbeitslosenversicherung
beanspruchen könne.

    b) Das kantonale Gericht hielt zu Recht fest, dass die Kündigung
entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers nicht Ende April, sondern
Ende Mai 1985 erfolgt war und dass deshalb das Anstellungsverhältnis
mangels anderslautender Abmachung ordentlicherweise erst auf den 31. Juli
1985 hätte aufgelöst werden können (Art. 336b OR). Nicht beigepflichtet
werden kann der Begründung des angefochtenen Entscheides hingegen
darin, dass der Beschwerdeführer allein aufgrund der gesetzwidrigen
Kündigung Lohnansprüche gegenüber der Firma H. AG habe und deshalb die
Anspruchsvoraussetzung des Art. 8 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 11
Abs. 3 AVIG nicht erfüllt sei. Lohn- oder Entschädigungsansprüche stünden
dem Beschwerdeführer infolge der die gesetzliche Frist missachtenden
Kündigung nur zu, wenn er der früheren Arbeitgeberin für den Monat Juli
1985 seine Arbeitsleistung angeboten hätte, die Firma H. AG das Angebot
aber abgelehnt hätte. Ein solcher Sachverhalt liegt dem vorliegenden
Rechtsstreit aber nicht zugrunde. Indem der Beschwerdeführer von seinem
Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis Ende Juli 1985 keinen
Gebrauch machte, verzichtete er nicht auf Lohnansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG. Sein Verhalten begründet vielmehr einen Tatbestand
der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit im Juli 1985 (Art. 30 Abs. 1
lit. a AVIG), analog dem Fall des Versicherten, der seinen Arbeitsplatz
ohne wichtigen Grund (Art. 337 OR) fristlos verlässt. Die Verneinung
der Anspruchsberechtigung im vorliegenden Fall würde zu einer nicht
vertretbaren Schlechterstellung desjenigen Arbeitnehmers führen, der nicht
auf der Einhaltung der Kündigungsfrist besteht, im Vergleich zu demjenigen
Arbeitnehmer, der seinen Anstellungsvertrag ohne wichtigen Grund fristlos
kündigt, deswegen aber nur eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung
in Kauf nehmen muss.

    c) Da der Beschwerdeführer im Monat Juli 1985 einen anrechenbaren
Arbeitsausfall erlitten hat, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gutzuheissen. Die Arbeitslosenkasse, an welche die Sache zurückzuweisen
ist, wird prüfen, ob der Beschwerdeführer die Arbeitslosigkeit im Monat
Juli 1985 durch eigenes Verschulden verursacht hat und sich deshalb eine
Einstellung in der Anspruchsberechtigung nach Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG
und Art. 44 AVIV rechtfertigt; danach wird sie über den Taggeldanspruch
neu verfügen.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 11. April
1986 und die Kassenverfügung vom 28. August 1985 aufgehoben werden und die
Sache an die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern zurückgewiesen wird,
damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung neu verfüge.