Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 257



112 V 257

45. Auszug aus dem Urteil vom 1. September 1986 i.S. Matthey gegen
Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn Regeste

    Art. 25 Abs. 1 AHVG und Art. 48 Abs. 4 AHVV: Berechnung der
Mutterwaisenrente.

    - Die Delegation der Befugnis zur Regelung der Mutterwaisenrente
gemäss Art. 25 Abs. 1 Satz 2 AHVG ist umfassend und räumt dem Bundesrat
einen weiten Ermessensspielraum ein. Gestützt darauf ist der Bundesrat
befugt, sowohl die Anspruchsvoraussetzungen als auch die Berechnung und
den Umfang der Mutterwaisenrente festzulegen (Erw. 2b).

    - Dass sich in einzelnen Fällen beim Zusammentreffen der
Berechnungsweise gemäss Art. 48 Abs. 4 AHVV mit dem ordentlichen
Rentenberechnungssystem Koordinationsprobleme ergeben können, ändert
nichts an der Gesetzmässigkeit des Art. 48 Abs. 4 AHVV (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- Im April 1984 meldete sich der am 9. März 1956 geborene Luc Matthey
zum Bezug einer Mutterwaisenrente an. Im Zeitpunkt des Todes seiner Mutter
(7. September 1980) war er noch in Ausbildung gewesen. Die Ausgleichskasse
des Kantons Solothurn berechnete die Rente gemäss Art. 48 Abs. 4 AHVV
aufgrund des durchschnittlichen Jahreseinkommens und der Beitragsjahre der
Mutter auf Fr. 210.-- pro Monat (Skala 21). Anstelle dieser ordentlichen
Rente sprach sie Luc Matthey für die Zeit vom 1. Oktober 1980 bis 31. März
1981 die höhere ausserordentliche Mutterwaisenrente von Fr. 220.-- pro
Monat zu (Verfügung vom 15. Juni 1984).

    B.- Hiegegen erhob Luc Matthey Beschwerde mit dem Antrag, es sei
ihm für die Monate Oktober 1980 bis März 1981 eine Mutterwaisenrente
von monatlich Fr. 440.-- (Höchstrente der Skala 44) zuzuerkennen. Mit
Entscheid vom 29. Januar 1985 wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn die Beschwerde ab.

    C.- Luc Matthey führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag,
es sei ihm für die Zeit vom 1. Oktober 1980 bis 31. März 1981 eine
ordentliche Mutterwaisenrente von monatlich Fr. 440.--, eventualiter eine
Mutterwaisenrente in richterlich zu bestimmender Höhe zuzusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 AHVG haben Kinder, deren Vater
gestorben ist, Anspruch auf eine einfache Waisenrente. Satz 2 dieser
Bestimmung ermächtigt den Bundesrat, Vorschriften zu erlassen über
die Rentenberechtigung von Kindern, deren Mutter gestorben ist. Gemäss
Art. 48 Abs. 4 AHVV wird die ordentliche Mutterwaisenrente aufgrund der
Erwerbseinkommen und Beitragsjahre der Mutter berechnet.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 48 Abs. 4 AHVV sei
gesetzwidrig, soweit darin vorgeschrieben wird, dass die ordentliche
Mutterwaisenrente aufgrund der Erwerbseinkommen und der Beitragsjahre der
Mutter zu berechnen ist. Art. 25 Abs. 1 Satz 2 AHVG gebe dem Bundesrat
nur die Kompetenz, über die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine
Mutterwaisenrente an sich nähere Bestimmungen zu erlassen, nicht aber auch
über deren Berechnung. Die in Art. 48 Abs. 4 AHVV aufgestellte Vorschrift,
dass für die Rentenberechnung die Erwerbseinkommen und die Beitragsjahre
der Mutter massgebend seien, entbehre deshalb einer gesetzlichen
Grundlage. Das durchschnittliche Jahreseinkommen zur Berechnung der
Mutterwaisenrente bestimme sich mithin nach den ordentlichen gesetzlichen
Regeln, nämlich den Art. 33 Abs. 1 und 32 Abs. 1 AHVG.

Erwägung 2

    2.- a) (Prüfung von Verordnungen des Bundesrates; vgl. BGE 110 V 256
Erw. 4a.)

    b) Aus Art. 25 Abs. 1 AHVG geht klar hervor, dass der Gesetzgeber
Vater- und Mutterwaisenrenten nicht gleich geregelt haben will. Während
sich die Anspruchsberechtigung auf Vaterwaisenrenten und deren Umfang
nach den gesetzlichen Bestimmungen richtet, obliegt die Ausgestaltung
der Ordnung der Mutterwaisenrenten dem Bundesrat. Bei der Schaffung des
Gesetzes lag der Grund für die Delegation an den Bundesrat primär darin,
dass Mutterwaisenrenten nur dann ausgerichtet werden sollten, wenn
dem Kind durch den Tod der Mutter erhebliche wirtschaftliche Nachteile
erwachsen, wobei die diesbezüglich zu berücksichtigenden Verhältnisse
als zu mannigfach erschienen, um generell im Gesetz geregelt zu werden
(Art. 25 Abs. 1 AHVG in der bis 31. Dezember 1972 geltenden Fassung;
Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die
AHV vom 24. Mai 1946, BBl 1946 II 411 f.; Sten.Bull. 1946 S. 392,
N 566). Demgemäss stellte der Bundesrat in Art. 48 Abs. 1 AHVV (in
der Fassung vom 31. Oktober 1947) die näheren Vorschriften hierzu
auf. Gleichzeitig legte er aber in Abs. 2 auch die Berechnungsart der
Mutterwaisenrente fest, wobei er auf den durchschnittlichen Jahresbeitrag
der Mutter abstellte. Dies blieb in der Folge dem Grundsatze nach
unverändert, insbesondere auch dann, als mit der 8. AHV-Revision (in
Kraft ab 1. Januar 1973) die bis dahin in Art. 25 Abs. 1 AHVG enthaltene
Klausel des wirtschaftlichen Nachteils wegfiel. Mit der Neufassung von
Art. 25 Abs. 1 AHVG beliess der Gesetzgeber dem Bundesrat die umfassende
Kompetenz zur Regelung der Mutterwaisenrente. Er tat dies in Kenntnis
dessen, dass und wie der Bundesrat die Rentenberechnung geregelt hatte,
und lehnte diesbezüglich eine Änderung ab (Amtl.Bull. 1972 I N 375 ff.,
insbesondere Antrag Thalmann S. 376). Somit ist die Art, wie der Bundesrat
von der ihm erteilten Befugnis Gebrauch gemacht hat, vom Gesetzgeber
gedeckt. Sie kann mithin nicht gesetzwidrig sein. Angesichts dessen ist
es unerheblich, dass Art. 25 Abs. 1 AHVG nach der gesetzlichen Systematik
zu den Bestimmungen über den Rentenanspruch gehört.

    c) Der Beschwerdeführer wendet ein, dass die Berechnungsweise
gemäss Art. 48 Abs. 4 AHVV aufgrund von Kollisionen mit dem ordentlichen
Rentenberechnungssystem in einzelnen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen
führen müsste, und nennt hiezu zwei Beispiele. Der Anspruch einer Frau
auf eine Kinderrente gemäss Art. 22ter Abs. 1 AHVG sei nach den gleichen
Berechnungsregeln wie die jeweilige Altersrente zu ermitteln (Art. 35bis
Abs. 2 AHVG); würden nun die beitragslosen Ehejahre bei der Berechnung
der Mutterwaisenrente nicht berücksichtigt, so sei es durchaus möglich,
dass eine allfällige Mutterwaisenrente geringer ausfalle als die zuvor
gewährte Kinderrente; das Kind einer altersrentenberechtigten Mutter
würde mithin gegenüber der Mutterwaise bessergestellt. Im Rahmen von
Art. 33bis AHVG sodann wären bei der Ablösung einer Invalidenrente durch
eine Mutterwaisenrente die beitragslosen Ehejahre zu berücksichtigen, da
sie Grundlage der vorangehenden Invalidenrente gebildet hätten (Art. 36
Abs. 2 IVG); die Bevorzugung des Kindes einer Invalidenrentenbezügerin
gegenüber einem Kind einer nicht rentenberechtigten Mutter lasse sich
schwerlich begründen. - Des weitern beanstandet der Beschwerdeführer,
dass durch die Berechnungsweise des Art. 48 Abs. 4 AHVV diejenigen Waisen
benachteiligt werden, deren Mutter sich voll der Familie gewidmet hatte
und deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen war.

    Nach dem in Erw. 2b Gesagten vermögen diese Einwendungen an der
Gesetzmässigkeit des Art. 48 Abs. 4 AHVV nichts zu ändern. Zwar ist es
richtig, dass beim Zusammentreffen des ordentlichen Rentenanspruchssystems
mit der Berechnungsweise des Art. 48 Abs. 4 AHVV Koordinationsprobleme
entstehen können. Indes stellen sich im Falle des Beschwerdeführers
keine derartigen Fragen, so dass hier darüber nicht zu befinden ist. Es
ist hier auch nicht zu prüfen, ob für Fälle, wo die Mutterwaisenrente
eine andere, höhere Rente ablöst, eine generelle Koordinationsregelung
(z.B. in Form einer Besitzstandsklausel) gerechtfertigt wäre. Allenfalls
könnte eine solche bloss eine für Sonderfälle bestimmte Ergänzungsregel
zu Art. 48 Abs. 4 AHVV darstellen und würde an der Gesetzmässigkeit dieser
Verordnungsbestimmung nichts ändern. - Beim Einwand des Beschwerdeführers,
das Kind der nicht erwerbstätig gewesenen Mutter werde benachteiligt
gegenüber dem Kind der erwerbstätig gewesenen Mutter, handelt es sich
um einen sozialpolitischen Gesichtspunkt. Wird er vom Verordnungsgeber
nicht berücksichtigt, so verstösst dies gegen keine Norm des Gesetzes.

    d) Aus dem Gesagten folgt, dass Verwaltung und Vorinstanz die
Mutterwaisenrente zu Recht auf der Grundlage der Erwerbseinkommen
und Beitragsjahre der Mutter berechnet haben. Dem Begehren des
Beschwerdeführers um Miteinbezug der beitragslosen Ehejahre seiner Mutter
und des Erwerbseinkommens seines Vaters für die Berechnung der streitigen
Rente kann deshalb nicht entsprochen werden.