Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 255



112 V 255

44. Auszug aus dem Urteil vom 22. September 1986 i.S. Bühlmann gegen
41 aargauische Krankenkassen und Schiedsgericht gemäss Art. 25 KUVG des
Kantons Aargau Regeste

    Art. 35 OG. Voraussetzungen, unter denen Krankheit als
Wiederherstellungsgrund gilt (Erw. 2a).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die versäumte Frist kann wiederhergestellt werden, wenn der
Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis
abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und binnen
zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die
Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt
(Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesetz lässt somit
die Wiederherstellung nur zu, wenn der Partei (und gegebenenfalls ihrem
Vertreter) kein Vorwurf gemacht werden kann (BGE 110 Ib 95 Erw. 2,
107 Ia 169 Erw. 2a). Krankheit (wie im übrigen auch schweizerischer
obligatorischer Militärdienst [vgl. BGE 104 IV 210 Erw. 3]) kann ein
unverschuldetes, zur Wiederherstellung führendes Hindernis sein (BGE 108
V 110 Erw. 2c; EVGE 1969 S. 149; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2.
Aufl., S. 62; GRISEL, Traité de droit administratif, S. 896). Doch
muss die Erkrankung derart sein, dass der Rechtsuchende durch sie davon
abgehalten wird, selber innert Frist zu handeln oder doch eine Drittperson
mit der Vornahme der Prozesshandlung zu betrauen (EVGE 1969 S. 150). So
hat das Eidg. Versicherungsgericht die Wiederherstellung gewährt:
einem an einer schweren Lungenentzündung leidenden, hospitalisierten
60jährigen Versicherten (in BGE 102 V 140 nicht veröffentlichte Erw. 1
des Urteils Poltera vom 14. September 1976), ebenso einem Versicherten,
der wegen schwerer nachoperativer Blutungen massive zerebrale Veränderungen
aufwies, intellektuell stark beeinträchtigt und daher während der gesamten
Rechtsmittelfrist weder fähig war, selber Beschwerde zu erheben, noch sich
bewusst werden konnte, dass er jemanden mit der Interessenwahrung hätte
betrauen sollen (ZAK 1981 S. 523 Erw. 2b). Nicht gewährt hat das Gericht
die Wiederherstellung dagegen in Fällen eines immobilisierten rechten
Armes bzw. einer schweren Grippe, wo keine objektiven Anhaltspunkte dafür
bestanden und dies auch nicht weiter belegt wurde, dass der Rechtsuchende
nicht imstande gewesen wäre, trotz der Behinderung fristgerecht zu handeln
oder nötigenfalls einen Vertreter mit der Interessenwahrung zu beauftragen
(unveröffentlichte Urteile van Driesten vom 21. Februar 1984 und Reichlin
vom 29. Juni 1977).

    Hindert die Krankheit den Rechtsuchenden zwar daran, selber zu handeln,
könnte er aber in nach den Umständen zumutbarer Weise einen Dritten
mit der Interessenwahrung beauftragen, so kann die Wiederherstellung
nach dem Gesagten ebenfalls nicht gewährt werden, wenn die Partei den
Beizug eines Vertreters versäumt (unveröffentlichtes Urteil Lanni vom
26. Juni 1984; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl.,
S. 273, Anm. 41; GYGI/STUCKI, Handkommentar zum bernischen Gesetz über
die Verwaltungsrechtspflege, 1962, S. 113).

    Bedeutsam für die Frage, ob Krankheit im Sinne eines unverschuldeten
Hindernisses die Partei von eigenem fristgerechten Handeln oder der
Beauftragung eines Dritten abgehalten hat, ist vor allem die letzte
Zeit der Rechtsmittelfrist, weil die gesetzliche Regelung jedermann
dazu berechtigt, die notwendige Rechtsschrift erst gegen das Ende der
Frist auszuarbeiten und einzureichen (EVGE 1969 S. 149 f. mit Hinweisen;
unveröffentlichte Urteile Gianotti vom 6. Dezember 1984 und Egloff vom
3. April 1973). Erkrankt die Partei eine gewisse Zeit vor Fristablauf,
so ist es ihr in aller Regel möglich und zumutbar, ihre Interessen selber
zu verteidigen oder die Dienste eines Dritten in Anspruch zu nehmen;
erkrankt die Partei dagegen ernsthaft gegen das Ende der Frist, so wird
sie im allgemeinen nicht in der Lage sein, selber zu handeln oder einen
Dritten zu beauftragen, weshalb in solchen Fällen die Wiederherstellung
zu gewähren ist (GRISEL, aaO, S. 896).