Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 V 215



112 V 215

38. Urteil vom 14. April 1986 i.S. Eisenring gegen Kantonales Amt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit, St. Gallen, und Versicherungsgericht des
Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 15 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 AVIG: Vermittlungsfähigkeit.

    - Begriff der Vermittlungsfähigkeit; Fall eines Versicherten, dem
bei der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt sind, dass
das Finden einer Stelle sehr ungewiss ist.

    - Für die Beurteilung der Frage, ob sich ein Versicherter genügend
um zumutbare Arbeit bemüht hat, ist nicht nur die Quantität, sondern auch
die Qualität seiner Bewerbungen von Bedeutung.

    - Fortdauernd ungenügende Bemühungen oder eine wiederholte Ablehnung
zumutbarer Arbeit können zur Annahme von Vermittlungsunfähigkeit führen,
ebenso die Beschränkung der Bewerbungen auf einen Erwerbszweig, in welchem
der Arbeitslose aufgrund der konkreten Umstände nur eine minimale Chance
auf eine Anstellung hat.

Sachverhalt

    A.- August Eisenring arbeitete ab 1. Januar 1982 bei der Firma
X als angestellter Reinigungsmann während 25 Stunden in der Woche.
Daneben war er für fünf Firmen als Hauswart tätig und führte ein eigenes
Reinigungsinstitut. Für letztere Tätigkeiten setzte er nach seinen
Angaben etwa 100 Stunden im Monat ein. Ende Oktober 1983 löste die
Firma X das Arbeitsverhältnis mit August Eisenring wegen betrieblicher
Umorganisation des Reinigungswesens auf Ende Januar 1984 auf. In der
Folge richtete die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen bis Ende Mai
1984 Arbeitslosentaggelder aus.

    Am 20. August 1984 verfügte das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe
und Arbeit (KIGA), St. Gallen, die Versicherungsleistungen seien für die
Zeit ab 1. Juni 1984 einzustellen, da August Eisenring ab diesem Zeitpunkt
nicht mehr vermittlungsfähig gewesen sei. Zur weiteren Begründung wurde
ausgeführt, der Versicherte arbeite an verschiedenen Orten als Arbeitnehmer
in Teilzeit und übe auch selbständige Erwerbstätigkeit aus. Unter
diesen Umständen sei der Arbeitsausfall nicht mehr rechtsgenüglich
kontrollierbar. Sodann habe die selbständige Erwerbstätigkeit im Laufe
der Zeit stetig zugenommen. Wer aber selbständigerwerbend sei, könne
nicht als vermittlungsfähig gelten, es sei denn, diese Tätigkeit sei
unbedeutend und könne ausserhalb der normalen Arbeitszeit ausgeübt
werden. Letzteres treffe aber bei August Eisenring nicht zu; vielmehr
müsse davon ausgegangen werden, dass dieser nicht in der Lage gewesen wäre,
eine Teilzeitbeschäftigung von mindestens 50% anzunehmen.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 3. Juli 1985 ab.

    C.- Gustav Eisenring lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen
mit den Anträgen, es sei für die Periode vom 1. Juni bis 31. Oktober
1984 Vermittlungsfähigkeit anzunehmen, womit die Arbeitslosenkasse
zu verpflichten sei, für diese Zeit Arbeitslosenentschädigungen
auszurichten. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den
Erwägungen zurückzukommen sein.

    Das KIGA und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA)
beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit.
f AVIG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG ist der Arbeitslose vermittlungsfähig,
wenn er bereit und in der Lage ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Zur
Vermittlungsfähigkeit gehört demnach nicht nur die Arbeitsfähigkeit
im objektiven Sinn, sondern subjektiv auch die Bereitschaft, seine
Arbeitskraft entsprechend seinen persönlichen Verhältnissen während der
üblichen Arbeitszeit einzusetzen (BGE 112 V 137 Erw. 3; zur altrechtlichen
Praxis siehe BGE 109 V 275 Erw. 2a, 108 V 101; ARV 1979 Nr. 7 S. 49).

    Vermittlungsunfähigkeit liegt unter anderem vor, wenn ein Versicherter
aus persönlichen oder familiären Gründen seine Arbeitskraft nicht
so einsetzen kann oder will, wie es ein Arbeitgeber normalerweise
verlangt. Versicherte, die im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen
oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder
Wochenstunden sich erwerblich betätigen wollen, können nur sehr bedingt
als vermittlungsfähig anerkannt werden. Denn sind einem Versicherten bei
der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt, dass das Finden
einer Stelle sehr ungewiss ist, muss Vermittlungsunfähigkeit angenommen
werden. Der Grund für die Einschränkung in den Arbeitsmöglichkeiten spielt
dabei keine Rolle (BGE 112 V 137 Erw. 3; zur altrechtlichen Praxis siehe
BGE 110 V 208, 109 V 275 Erw. 2; ARV 1982 Nr. 10 S. 71, 1980 Nr. 38
S. 91 Erw. 1, 1979 Nr. 7 S. 51 f., 1977 Nr. 16 S. 83 und Nr. 27 S. 144).

    b) Nach Art. 17 Abs. 1 AVIG muss der Versicherte, unterstützt durch das
Arbeitsamt, alles Zumutbare unternehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden
oder zu verkürzen. Insbesondere ist es seine Sache, Arbeit zu suchen,
wenn nötig auch ausserhalb seines bisherigen Berufes. Er muss seine
Bemühungen nachweisen können.

    Bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Versicherter genügend um
zumutbare Arbeit bemüht hat, ist nicht nur die Quantität, sondern auch
die Qualität seiner Bewerbungen von Bedeutung (nicht veröffentlichte
Urteile Aeschlimann vom 13. Februar 1986, Carballo vom 8. Januar
1986, Krmpotic vom 30. Dezember 1985, Coudek vom 2. Dezember 1985,
Drekic vom 5. September 1985, Pfister vom 4. September 1985, Müller
vom 15. April 1985; zur altrechtlichen Praxis siehe ARV 1981 Nr. 30
S. 130, 1978 Nr. 7 S. 19, 1977 Nr. 33 S. 157). Fortdauernd ungenügende
Arbeitsbemühungen oder eine wiederholte Ablehnung zumutbarer Arbeit können
zur Annahme von Vermittlungsunfähigkeit führen, was einen Anspruch auf
Arbeitslosentaggelder ausschliesst (nicht veröffentlichte Urteile Küng vom
13. Dezember 1985, Coudek vom 2. Dezember 1985 und Comment vom 19. August
1985; ARV 1977 Nr. 28 S. 147; STAUFFER, Die Arbeitslosenversicherung,
Zürich 1984, S. 42).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer war nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
mit der Firma X nur für eine neue Teilzeitarbeit verfügbar, da er
weiterhin seinen Reinigungsdienst betreiben und seine verschiedenen
nebenamtlichen Hauswartstellen versehen wollte. Eine solche Einschränkung
begründet nicht an sich schon Vermittlungsunfähigkeit (BGE 112 V 138
Erw. b, 104 V 106; zur gleichlautenden altrechtlichen Praxis siehe
BGE 99 V 116 Erw. 1; ARV 1982 Nr. 10 S. 71; siehe auch Art. 14 AVIV).
Vermittlungsunfähigkeit ist jedoch anzunehmen, wenn die Bedingungen,
die der Versicherte hinsichtlich der Arbeitszeit an die gesuchte
Teilzeitarbeit stellt, eine neue Beschäftigung verunmöglichen oder
erheblich erschweren. Letzteres traf beim Beschwerdeführer in nicht
geringem Masse zu, konnte er doch nur solche Stellen annehmen, die in bezug
auf die Arbeitszeiten mit seinen übrigen Tätigkeiten in Einklang zu bringen
waren, wobei sein Spielraum deutlich begrenzt gewesen sein dürfte. Denn
nach seinem an die Arbeitslosenkasse gerichteten Schreiben vom 6. August
1984 erblickte er in der Verpflichtung zur zweimaligen Stempelkontrolle
pro Woche bereits eine empfindliche Einschränkung in seinen Möglichkeiten
als Selbständigerwerbender. Unter diesen Umständen kann nur sehr bedingt
gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitskraft so einsetzen
konnte, wie es in zeitlicher Hinsicht ein Arbeitgeber normalerweise
verlangt. Jedenfalls waren ihm damit bei der Auswahl eines Arbeitsplatzes
so enge Grenzen gesetzt, dass sich eine geeignete Stelle nicht leicht
finden liess und daher die Vermittlungsfähigkeit schon ab Beginn der
Arbeitslosigkeit zumindest zweifelhaft gewesen sein dürfte. Daran vermag
nichts zu ändern, dass der zeitlich mögliche Einsatz insgesamt einer
Teilzeitbeschäftigung von 50% entsprach.

    Vollends auf Vermittlungsunfähigkeit ist jedoch zu erkennen,
wenn die Bemühungen des Beschwerdeführers um eine neue Arbeit mit
gewürdigt werden. Der Beschwerdeführer suchte ab anfangs Februar
(von einer Ausnahme abgesehen) nur Stellen als nebenamtlicher Hauswart
oder als Reinigungsmann. Die Aussichten auf eine Anstellung in diesen
Erwerbszweigen waren jedoch, wie der Beschwerdeführer glaubhaft darlegt,
im Frühjahr und Sommer 1984 saisonal bedingt sehr ungünstig. Das
zeigen auch seine quantitativ dürftigen und qualitativ nicht durchwegs
überzeugenden Bewerbungen aus dieser Zeit; von März bis Mai 1984 waren es
durchschnittlich zwei Bewerbungen pro Monat und von da bis Ende August
noch weniger. Der Beschwerdeführer hätte deshalb auch ausserhalb seines
angestammten Tätigkeitsbereiches nach Arbeit suchen müssen, was er aber
offensichtlich nicht wollte, wie aus seinen Bewerbungen ab Februar 1984
zu schliessen ist. Durch diese Einschränkung der Vermittlungsbereitschaft
auf die Reinigungs- und Hauswartbranchen in saisonal ungünstiger Zeit
wurden die nach dem oben Gesagten bereits deutlich begrenzten Aussichten
einer Anstellung in einem Masse weiter vermindert, dass eine Vermittlung
nur sehr schwer bzw. praktisch nur aufgrund eines glücklichen Zufalls zu
verwirklichen war. Das wurde durch den tatsächlichen Verlauf der Dinge denn
auch bestätigt, konnte der Beschwerdeführer doch erst auf November 1984
eine neue Teilzeitstelle als Hauswart finden, die überdies den Verlust
der Anstellung bei der Firma X lediglich zu einem Drittel auszugleichen
vermochte. Bei derart ungewissen Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben
Verwaltung und Vorinstanz zu Recht auf Vermittlungsunfähigkeit erkannt.

    Dass die Leistungen auf Ende Mai 1984 eingestellt wurden, ist
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, nach
dem Gesagten vielmehr sogar als wohlwollend zu betrachten. Bei diesem
Ausgang erübrigt es sich, zu prüfen, ob der Umfang der selbständigen
Erwerbstätigkeit im Laufe der Zeit zugenommen hat, wie Verwaltung und
Vorinstanz angenommen haben und vom Beschwerdeführer bestritten wurde.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.