Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 94



112 IV 94

30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. Oktober 1986 i.S.
Gemeinde Thalwil c. H. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 18 Abs. 2 lit. d und Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV.

    Das freiwillige Halten und das Parkieren ist im Verkehrsraum
untersagt, der durch die für die Beurteilung des Vortrittsrechts
massgebende Schnittfläche der Fahrbahnen und deren Erweiterung um 5 m
gebildet wird. Das Verbot gilt im Bereich einer T-förmigen Einmündung
auch für die der Einmündung gegenüberliegende geschlossene Seite der
durchlaufenden Strasse (E. 2).

    Art. 37 Abs. 2 SVG.

    Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Mit Strafverfügung vom 14. Februar 1985 büsste die
Polizeikommission der Gemeinde Thalwil H. wegen Übertretung von Art. 37
Abs. 2 SVG, Art. 18 Abs. 2 lit. d und Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV mit
Fr. 30.--. Sie warf ihm vor, am 10. Februar 1985 seinen Personenwagen in
Thalwil auf der Asylstrasse bei der Einmündung der Aubrigstrasse näher
als 5 m von der Querfahrbahn parkiert zu haben. Der Einzelrichter in
Strafsachen des Bezirks Horgen sprach H. am 3. September 1985 von Schuld
und Strafe frei. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich
wies die von der Polizeikommission der Gemeinde Thalwil gegen diesen
Entscheid erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 27. Juni 1986 ab,
soweit sie darauf eintrat.

    B.- Die Polizeikommission der Gemeinde Thalwil führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich vom 27. Juni 1986 sei aufzuheben und die Sache sei
zur Schuldigsprechung des Beschwerdegegners gemäss Art. 37 Abs. 2 SVG
und Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Der Beschwerdegegner beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. Das Bundesamt für Polizeiwesen
hat auf Einladung des Kassationshofes eine Stellungnahme zum Problem des
Parkierens im Bereich von Einmündungen eingereicht. Es vertritt darin die
Auffassung, dass das Halte- und Parkierungsverbot gemäss Art. 18 Abs. 2
lit. d und Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV auch für die einer Einmündung
gegenüberliegende Strassenseite gelte.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 37 Abs. 2 SVG dürfen Fahrzeuge nicht dort angehalten
oder aufgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder gefährden
könnten. Gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2
lit. a VRV ist das freiwillige Halten und das Parkieren untersagt auf
Strassenverzweigungen sowie vor und nach Strassenverzweigungen näher als
5 m von der Querfahrbahn.

    Der seit 1983 als Fussweg ausgestaltete bergseitige Teil der
Aubrigstrasse bildet mit der Asylstrasse in Thalwil nach den Ausführungen
der Vorinstanz, denen die Polizeikommission der Gemeinde Thalwil
in ihrer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht widerspricht,
keine Verzweigung im Rechtssinne. Hingegen bildet der seeseitige Teil
der Aubrigstrasse mit der Asylstrasse eine Verzweigung, nämlich eine
(T-förmige) Einmündung. Der Beschwerdegegner stellte seinen Personenwagen
auf der der Einmündung der Aubrigstrasse gegenüberliegenden Seite
der Asylstrasse in einem Abstand von weniger als 5 m von der gedachten
Schnittfläche der beiden Strassen ab (vgl. die Skizze). Es ist zu prüfen,
ob er dadurch gegen Art. 18 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2
lit. a VRV verstossen habe.

    Skizze nicht abgebildet.

    a) Gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV in seiner ursprünglichen
Fassung (AS 1962 1372) war das freiwillige Halten untersagt "bei
Strassenverzweigungen näher als 5 m vor und nach der Querfahrbahn". Da
diese Regelung namentlich auch bei T-förmigen Einmündungen immer wieder
zu Missverständnissen Anlass gab (s. den Bericht der Polizeiabteilung des
Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom 28. Juli 1976 zum Entwurf für
die Änderung einzelner Bestimmungen der VRV), wurde Art. 18 Abs. 2 lit. d
VRV durch V vom 22. Dezember 1976 geändert. Nach den Ausführungen der
Polizeiabteilung im zitierten Bericht sollte klargestellt werden, dass
das freiwillige Halten und das Parkieren auch auf der einer Einmündung
gegenüberliegenden geschlossenen Seite der durchlaufenden Strasse gemäss
Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV verboten ist (vgl. die dortigen Skizzen). Bei der
Bemessung des Abstandes von 5 m soll von denjenigen (gedachten) Randlinien
ausgegangen werden, die nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei
Verzweigungen für die Beurteilung des Vortritts entscheidend sind. Gemäss
dem Kreisschreiben des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements vom
27. Dezember 1976 zu den geänderten VRV-Bestimmungen wird mit Art. 18
Abs. 2 lit. d VRV in der neuen Fassung präzisiert, dass das freiwillige
Halten auch auf der Verzweigung selbst nach dieser Vorschrift untersagt
ist. Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hielt dabei fest, dass
"selbstverständlich durch Signalisierung oder Markierung das Parkieren
gestattet werden (kann), z.B. bei T-förmigen Verzweigungen, wenn die
Fahrbahn des waagrechten Astes genügend breit ist." Nach dem klaren und
eindeutigen Willen des Verordnungsgebers soll somit im Bereich einer
Einmündung auch das Parkieren und freiwillige Halten an der geschlossenen
Seite der durchlaufenden Strasse gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. d in Verbindung
mit Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV untersagt sein.

    b) Mit der Wendung "auf Strassenverzweigungen" in der seit 1. Januar
1977 gültigen Fassung von Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV kann nur die sog.
Verzweigungsfläche, d.h. die Schnittfläche der zusammentreffenden Strassen
gemeint sein. Diese Schnittfläche erstreckt sich bei der vorliegenden
T-förmigen Einmündung des seeseitigen Teils der Aubrigstrasse in die
Asylstrasse bis an den der Einmündung gegenüberliegenden (bergseitigen)
Rand (und nicht nur bis zur Mitte) der Asylstrasse. Insofern unterscheidet
sich die Schnittfläche bei einer T-förmigen Einmündung nicht von der durch
eine rechtwinklige Kreuzung gebildeten Verzweigungsfläche. Wer seinen
Wagen genau gegenüber einer Einmündung an der geschlossenen Seite der
durchlaufenden Strasse parkiert, stellt ihn in der Verzweigungsfläche
(Schnittfläche) und damit im Sinne von Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV "auf"
der Verzweigung ab.

    Aus dem angefochtenen Entscheid geht nicht klar hervor, ob das Zürcher
Obergericht insoweit gleicher Meinung ist und die Auffassung vertritt, dass
lediglich die 5-m-Abstand-Regel für die einer Einmündung gegenüberliegende
Seite der durchlaufenden Strasse nicht gelte, oder ob nach Ansicht der
Vorinstanz auch das Parkieren am Strassenrand genau gegenüber einer
Einmündung gemäss Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV nicht verboten sei.

    c) Was den Satzteil "vor und nach Strassenverzweigungen näher als
5 m von der Querfahrbahn" betrifft, so kann man in der Tat aufgrund des
Wortlauts versucht sein anzunehmen, die damit geschaffene Erweiterung des
Halte- und Parkierungsverbots beziehe sich einzig auf die an der Einmündung
liegende Seite der durchlaufenden Strasse. Indessen ist nicht zu verkennen,
dass das solcherweise umschriebene Halte- und Parkierungsverbot den Zweck
verfolgt, Gefahren und Behinderungen zu vermeiden, die beim Einbiegen in
eine andere Strasse entstehen können. Solche Gefahren und Behinderungen des
Verkehrs können aber nicht nur durch Fahrzeuge geschaffen werden, die auf
der an der Einmündung liegenden Seite der durchlaufenden Strasse näher als
5 m von den Eckpunkten aus gemessen aufgestellt sind. Auch die an der der
Einmündung gegenüberliegenden Seite der durchlaufenden Strasse abgestellten
Fahrzeuge können den Verkehr gefährden oder behindern. So bleibt im
vorliegenden Fall insbesondere dem Lenker eines grösseren Fahrzeugs, der
von der Asylstrasse nach links in die Aubrigstrasse abbiegen will, wenig
Raum zum vorgängigen Ausholen nach rechts und kann das Rechtsabbiegen von
der Aubrigstrasse in die Asylstrasse dadurch erschwert werden, dass die
auf der Asylstrasse entgegenkommenden Fahrzeuglenker nicht nach rechts
ausweichen können. Es entspricht daher dem Sinn der gesetzlichen Ordnung,
bei einer T-förmigen Einmündung, die eine Strassenverzweigung im Sinne von
Art. 18 Abs. 2 lit. d VRV ist (s. Art. 1 Abs. 8 VRV), unter der Fläche
"vor und nach Strassenverzweigungen näher als 5 m von der Querfahrbahn"
den Verkehrsraum zu verstehen, wie er durch die für die Beurteilung
des Vortrittsrechts massgebende Schnittfläche der Fahrbahnen und deren
Erweiterung um 5 m gebildet wird. Auf breiteren Strassen kann das Parkieren
in jenem Bereich durch Signale oder Markierungen erlaubt werden, wie das
Eidg. Justiz- und Polizeidepartement im zitierten Kreisschreiben vom 27.
Dezember 1976 festhielt. Signale oder Markierungen werden im übrigen auch
bei unklaren Verhältnissen nötig sein, wenn beispielsweise eine Strasse
im spitzen Winkel in eine andere mündet oder im Einmündungsbereich einen
weiten Trichter bildet.

    Indem der Beschwerdegegner seinen Personenwagen im Bereich der
Einmündung der Aubrigstrasse am bergseitigen Rand der Asylstrasse zwar
ausserhalb der gedachten Schnittfläche dieser beiden Strassen, aber in
einem Abstand von weniger als 5 m vom Rand dieser Verzweigungsfläche
parkierte, verstiess er gegen Art. 18 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit
Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV. Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
der Polizeikommission der Gemeinde Thalwil ist daher in diesem Punkt
gutzuheissen.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin beantragt auch die Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz zur Schuldigsprechung des Beschwerdegegners gemäss Art.
37 Abs. 2 SVG. Nach dieser Bestimmung dürfen Fahrzeuge dort nicht
angehalten oder abgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder
gefährden könnten.

    a) Art. 37 Abs. 2 SVG entspricht sinngemäss Art. 49 Abs. 2 MFV (s. BGE
97 II 168 oben), der bestimmte, dass Motorfahrzeuge so aufzustellen sind,
dass sie den Verkehr nicht stören können. Gemäss dem diese Vorschrift
betreffenden BGE 77 IV 117 ff., auf den die Vorinstanz mit ihrem
Hinweis auf den Kurzkommentar SCHLEGEL/GIGER (S. 113) Bezug nahm, kann
ein aufgestelltes Fahrzeug den Verkehr nur stören, "wenn es für ihn ein
erhebliches Hindernis bildet, das trotz der den andern Strassenbenützern
zuzumutenden Aufmerksamkeit zu Unfällen Anlass geben kann oder andere
in besonderem Masse hindert, ihren Weg fortzusetzen" (BGE 77 IV 120,
vgl. auch BGE 102 II 283 E. 3a). Allerdings ist nicht erforderlich,
dass die Unfallgefahr eine konkrete sei oder dass das aufgestellte
Fahrzeug tatsächlich jemanden in unzumutbarer Weise an der Fortsetzung
seines Weges hindere; die abstrakte Gefährdung des Verkehrs genügt (BGE
81 IV 297 E. 1). Dasselbe gilt in bezug auf Art. 37 Abs. 2 SVG. Das
kommt schon darin zum Ausdruck, dass Art. 37 Abs. 2 SVG das Aufstellen
von Fahrzeugen nicht nur dort verbietet, wo sie den Verkehr behindern
oder gefährden, sondern schon dort, wo sie ihn behindern oder gefährden
könnten (vgl. auch BGE 92 IV 12 E. 4). Diese Voraussetzung ist vorliegend
angesichts der Ausgestaltung der Verzweigung und der relativ geringen
Breite der zusammentreffenden Strassen von je rund 5 m gegeben. Der
Beschwerdegegner erfüllte somit auch den Tatbestand von Art. 37 Abs. 2
SVG. Die Vorinstanz darf daher in ihrem Urteil, das sie auszufällen haben
wird, auch Art. 37 Abs. 2 SVG, der die gesetzliche Grundlage von Art. 18
Abs. 2 lit. d in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV bildet, erwähnen.

    b) Art. 37 Abs. 2 SVG gelangt im vorliegenden Fall allerdings nicht
gemäss Art. 68 StGB zur Anwendung, da der Beschwerdegegner nach den
Feststellungen der Vorinstanz durch sein Verhalten den Verkehr nicht
konkret gefährdete oder behinderte, und die abstrakte Gefährdung des
Verkehrs schon von der speziellen Vorschrift von Art. 18 Abs. 2 lit. d
in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV erfasst wird. Es liegt im
konkreten Fall nicht Idealkonkurrenz, sondern unechte Gesetzeskonkurrenz
vor. Davon geht offenbar auch die Beschwerde führende Polizeikommission
der Gemeinde Thalwil aus; sie hatte den Beschwerdegegner in ihrer
Strafverfügung vom 14. Februar 1985 zwar auch gestützt auf Art. 37 Abs. 2
SVG verurteilt, dennoch aber nur eine Ordnungsbusse gemäss Ziff. 116.2
der Ordnungsbussenliste wegen Übertretung von Art. 18 Abs. 2 lit. d in
Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV ausgefällt.

Erwägung 4

    4.- Der unterlegene Beschwerdegegner hat die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der
Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. Juni 1986 wird
aufgehoben, und die Sache wird zur Verurteilung des Beschwerdegegners im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.