Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 87



112 IV 87

27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. September 1986 i.S.
Generalprokurator des Kantons Bern gegen Sch. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 26 Abs. 2 SVG. Vorsichtspflicht gegenüber Kindern.

    Wo ein Kind auf dem Trottoir (innerorts) ruhig seines Weges geht,
muss ein Fahrzeuglenker nicht damit rechnen, dass es mehrere Meter nach
dem Fussgängerstreifen unvermittelt die Fahrbahn betritt (Präzisierung
der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz stellt ausdrücklich und für den Kassationshof
verbindlich fest, der genannte Knabe sei 4-4,5 m nach dem
Fussgängerstreifen vom Trottoir auf die Strasse getreten. In diesem Bereich
aber war er (der Knabe) wartepflichtig, und es stand der Vortritt dem
Motorfahrzeugführer zu. Diese Tatsache ist wesentlich für die Beurteilung
des Falles, weil nämlich der vortrittsberechtigte Führer grundsätzlich
nur dann zu besonderen Vorsichtsmassnahmen verpflichtet ist, wenn konkrete
Anzeichen ein Fehlverhalten des Fussgängers nahelegen. Wohl besteht nach
Art. 26 Abs. 2 SVG für Kinder eine Ausnahme von der Regel. Doch kann
auch sie nicht so weit gehen, dass der Führer angesichts eines Kindes in
jedem Fall seine Fahrt verlangsamen und Hupsignale geben müsste. Das ist
zumindest innerorts nur geboten, wenn das Kind sich auf der Fahrbahn oder
am Strassenrand befindet (s. BGE 104 IV 31), oder wenn es sich auf einem
angrenzenden Trottoir oder einem benachbarten Platz in unmittelbarer
Nähe der Fahrbahn dem Spiele hingibt oder sonstwie ein Verhalten an
den Tag legt, das erkennen lässt, dass es seine Aufmerksamkeit vollauf
einem anderen Geschehen als dem Verkehr auf der Strasse zugewandt hat
und jederzeit seinen spontanen Neigungen folgend in den Strassenverkehr
geraten könnte. Wo jedoch ein Kind auf dem Trottoir ruhig seines Weges
geht, da muss der Führer nicht damit rechnen, dass es unvermittelt in
die Fahrbahn treten werde. Wollte man anders entscheiden, müssten an das
Verhalten des Fahrzeugführers derart hohe Anforderungen gestellt werden,
dass der Verkehr vor allem innerorts völlig zum Erliegen käme. Das aber
kann nicht der Sinn des Art. 26 Abs. 2 SVG sein.