Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 38



112 IV 38

11. Urteil des Kassationshofes vom 30. Januar 1986 i.S. K. gegen Polizeiamt
der Stadt Winterthur (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 10 Abs. 4 und 99 Ziff. 3bis SVG.

    Wer auf öffentlichem Grund parkiert und anschliessend in oder
unmittelbar neben seinem Fahrzeug verkehrspolizeilich kontrolliert wird,
ist verpflichtet, die Ausweise auf Verlangen vorzuweisen.

Sachverhalt

    A.- Am 21. Februar 1984, um 02.30 Uhr, forderten Polizeibeamte der
Stadtpolizei Winterthur K., der bei eingeschalteter Fahrzeugbeleuchtung in
seinem an der Technikumstrasse auf dem Trottoir parkierten Personenwagen
sass, auf, Führer- und Fahrzeugausweis vorzuzeigen. Er kam dieser
Aufforderung nur teilweise nach, indem er den Polizeibeamten den
Fahrzeugausweis und seine Identitätskarte aushändigte. Ohne den
Führerausweis vorzuzeigen, verliess er den Personenwagen und entfernte
sich.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Winterthur verfällte
K. am 18. September 1984 wegen Übertretung von Art. 99 Ziff. 3bis SVG in
eine Busse von Fr. 30.--.

    Eine gegen diesen Entscheid eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am
15. Oktober 1985 ab.

    C.- K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Beschluss des Obergerichtes sei wegen Verletzung von Art. 10 Abs. 2 und 4
SVG sowie wegen Verletzung von Art. 99 Ziff. 3bis SVG aufzuheben und die
Sache zum Freispruch an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 10 Abs. 1 und 2 SVG dürfen Motorfahrzeuge nur mit
Fahrzeugausweis und Kontrollschildern in Verkehr gebracht werden
und bedarf, wer ein solches Fahrzeug führt, des Führerausweises. Nach
Abs. 4 des genannten Artikels sind die Ausweise stets mitzuführen und den
Kontrollorganen auf Verlangen vorzuweisen. Wer sich weigert, dies zu tun,
macht sich nach Art. 99 Ziff. 3bis SVG strafbar.

    a) Wie der Kassationshof in BGE 87 IV 162 entschieden hat, verlangt
Art. 10 Abs. 4 SVG nicht, dass die Ausweise jederzeit kontrolliert werden
können, sondern bloss, dass sie stets mitzuführen und auf Verlangen
vorzuweisen sind. Die Pflicht zum Vorweisen steht danach in engem
Zusammenhang mit der Pflicht, sie stets mitzuführen. Die beiden Pflichten
sollen die Feststellung ermöglichen, ob ein in den öffentlichen Verkehr
gebrachtes Fahrzeug hiezu behördlich zugelassen und sein Führer zum Führen
von Fahrzeugen der betreffenden Kategorie berechtigt sei. Die Pflicht,
die Ausweise mitzuführen, bedeutet deshalb nichts anderes, als dass sie
sooft und solange mitzuführen sind, als das Fahrzeug, sei es in Betrieb
oder nicht, am öffentlichen Verkehr teilnimmt, und wenn und solange
mit der beendeten Fahrt noch ein örtlicher oder zeitlicher Zusammenhang
besteht. Weiter als diese Pflicht kann auch diejenige, die Ausweise auf
Verlangen vorzuweisen, nicht gehen.

    b) Öffentlicher Verkehr ist im Sinne des Art. 1 SVG auch der ruhende
Verkehr auf öffentlichen Strassen, regelt doch das Gesetz ausdrücklich auch
das Parkieren auf Bodenflächen, die einem unbestimmbaren Personenkreis zur
Verfügung stehen (Art. 37 Abs. 2 SVG, Art. 19 und 20 VRV; BGE 109 IV 132
E. 2 mit Verweisungen). Eine solche Benutzung der öffentlichen Strasse im
Rahmen des Gemeingebrauchs stellt deshalb eine Teilnahme am öffentlichen
Verkehr dar (s. JAGUSCH/HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 27. Aufl.,
S. 252 f., N. 17 zu Art. 2 deutsche StVO § 1), die grundsätzlich den
Vorschriften der Verkehrsordnung untersteht. Das auf einer öffentlichen
Strasse parkierte Fahrzeug befindet sich demnach im Verkehr, auch wenn es
nicht in Betrieb ist (STREBEL, Kommentar zum MFG, Band I, S. 86 f., N. 13
zu Art. 1). Indessen schliesst die Bestimmung des Art. 10 Abs. 4 SVG ihrem
Sinn nach notwendig nicht allein an die Präsenz des Fahrzeugs, sondern
auch an diejenige des Führers im Verkehr an. Nur wenn dieser im Zeitpunkt
der Kontrolle Verkehrsteilnehmer ist, obliegt ihm die Pflicht, Fahrzeug-
und Führerausweis mitzuführen und sie auf Verlangen den Kontrollorganen
vorzuweisen. Wo sich der Führer im Zeitpunkt der Kontrolle in oder auf dem
parkierten Fahrzeug befindet oder sich in dessen unmittelbarer Nähe aufhält
(z.B. beim Aussteigen), da weist seine Anwesenheit (im Regelfall) auf
eine aktuelle Teilnahme am Parkierungsvorgang und damit auf ein rechtlich
erhebliches Verkehrsverhalten hin, das Gegenstand einer Verkehrskontrolle
sein kann. Hier ist jener nahe örtliche oder zeitliche Zusammenhang,
von dem in BGE 87 IV 162 die Rede ist, gegeben mit der Folge, dass der
Führer unter solchen Umständen verpflichtet ist, den Kontrollorganen auf
Verlangen den Fahrzeug- und den Führerausweis vorzuweisen. Anders könnte
es nur sein, wenn sich aus den Umständen ergeben würde, dass die zur
Vorweisung der Ausweise aufgeforderte Person nicht als für das Parkieren
verantwortlicher Führer im Fahrzeug sass.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall sass der Beschwerdeführer mitten im Winter,
um 02.30 Uhr, bei eingeschalteter Fahrzeugbeleuchtung in seinem auf
dem Trottoir parkierten Wagen. Da nach der verbindlichen Feststellung
der Vorinstanz das Trottoir einem unbestimmbaren Personenkreis
zur Verfügung steht, befand sich der Wagen ohne Zweifel auf einer
öffentlichen Verkehrsfläche, auch wenn der betreffende Platz - wie
das der Beschwerdeführer vorgibt - privates Eigentum des unmittelbaren
Anliegers gewesen sein sollte. Dass dieser Teil des Trottoirs als privater
Vorplatz gekennzeichnet (s. BGE 101 IV 175) und er selber Eigentümer oder
Benutzungsberechtigter desselben gewesen wäre (s. BGE 109 IV 133 f.),
behauptet er nicht, und er stellt auch nicht in Abrede, dass er damals
einem Führer gleich im Fahrzeug gesessen hatte. Bei dem Sachverhalt aber,
wie er sich der die Verkehrskontrolle durchführenden Polizeistreife darbot,
konnte die Vorinstanz mit Fug zum Schluss gelangen, es habe bei objektiver
Betrachtung Grund zur Annahme bestanden, der Beschwerdeführer habe den
Wagen an die besagte Stelle gelenkt und beabsichtigt, wieder wegzufahren.
Seine Anwesenheit wies unter den gegebenen Umständen auf seine gegenwärtige
Teilnahme am Verkehr hin, und als Verkehrsteilnehmer unterstand er der
Kontrolle der hierfür zuständigen Organe, zumal er sein Fahrzeug auf einem
Trottoir parkiert hatte, was nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen
des Art. 41 VRV zulässig ist.

    Der Beschwerdeführer hätte deshalb der Polizei auf Verlangen auch den
Führerausweis vorweisen müssen. Indem er bloss den Fahrzeugausweis und
eine Identitätskarte vorzeigte und sich sodann davonmachte, genügte er
seiner Pflicht nach Art. 10 Abs. 4 SVG nicht. Seinem Einwand aber, der
polizeiliche Eingriff sei unverhältnismässig gewesen, ist entgegenzuhalten,
dass es sich bei der fraglichen Polizeikontrolle nicht um eine blosse
Personenkontrolle, sondern um eine Verkehrskontrolle gehandelt hat,
die u.a. die Berechtigung des Beschwerdeführers zur Führung des
Fahrzeugs beschlug. Hierfür aber war das Vorweisen der Identitätskarte
untauglich. Schliesslich hilft dem Beschwerdeführer auch nicht, dass der
Polizist nach erfolgloser Aufforderung zum Vorweisen des Führerausweises
sich zum Streifenwagen begab, um sich über Funk zu erkundigen, ob
K. überhaupt einen Führerausweis besass. So oder anders hatte sich der
Beschwerdeführer geweigert, den Führerausweis vorzuweisen, und er war nach
dem Polizeirapport vom 23. Februar 1984 bereits in dem Moment verschwunden,
als sich der Polizist zum Streifenwagen begab.