Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 19



112 IV 19

7. Urteil des Kassationshofes vom 8. Januar 1986 i.S. D. c.
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 148 und 251 StGB. Verhältnis zum kantonalen Verwaltungsstrafrecht
(Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB).

    Wer mit gefälschten Urkunden kantonale Studienbeiträge erschleicht,
ist gemäss Art. 148 und 251 StGB zu bestrafen. Gleiche Verfehlungen
zum Nachteil des Bundes sind nach den privilegierenden Strafnormen von
Art. 14 und 15 VStrR zu ahnden. Diese Verschiedenheit in der Beurteilung
lässt sich nicht auf dem Wege der Rechtsprechung beseitigen (Präzisierung
der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- D. ist seit dem Sommersemester 1981 an der philosophischen Fakultät
(Studienrichtung Psychologie) der Universität Zürich immatrikuliert. Die
kantonale Kommission für Studienbeiträge lehnte am 5. Dezember 1983
sein Gesuch vom 5. Juli 1983 um Ausrichtung von Studienbeiträgen aus der
Stipendienkasse der Hochschule ab mit der Begründung, er könne nicht als
regulärer Student im Sinne von § 1 der Verordnung über die Ausrichtung
von Studienbeiträgen an Schüler und Studierende höherer Lehranstalten
vom 6. Februar 1974 gelten, so lange er sich nicht "in einen von
der entsprechenden Fachschaft für verbindlich erklärten Studien- und
Praktikumsplan einordnen wolle oder könne und sich den Anordnungen der
Rektorin widersetze". D. verfasste daraufhin einen Studienplan (datierend
vom 1. Dezember 1983) und unterzeichnete ihn. Diesen Plan legte er mit
der daran angefügten folgenden Bestätigung den zuständigen Professoren
seines 2. Hauptfaches zur Unterschrift vor:

    "Hiermit bestätigen wir, die Professoren der Haupt- und Nebenfächer
   von D. seinen Studienplan und erkennen diesen Studienplan an."

    Nachdem die Professoren diese Bestätigung unterzeichnet hatten,
fügte D. dem zitierten Text folgenden Nachsatz an:

    "..., dass er seine Studien-Psychologie an der Universität Zürich
   erfolgreich bis angegebene Zeit absolvieren kann und will."

    D. reichte dieses Dokument, nachdem es von drei weiteren Professoren
unterzeichnet worden war, am 21. Dezember 1983 als Beilage zu einem Rekurs
gegen die Verfügung vom 5. Dezember 1983 beim Erziehungsrat des Kantons
Zürich ein. Er wünschte für das Studienjahr 1983/4 einen Studienbeitrag
von insgesamt Fr. 600.--.

    Dem Berater der Stipendiaten kam bei der Bearbeitung des Rekurses nach
Rücksprache mit den fünf Professoren, die die Bestätigung unterzeichnet
hatten, der Verdacht, dass die Bestätigung ergänzt worden war, nachdem
die ersten beiden Professoren sie unterzeichnet hatten. Der gewünschte
Studienbeitrag wurde nicht ausbezahlt.

    B.- Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach
D. am 2. Juli 1985 im Berufungsverfahren der Urkundenfälschung (Art. 251
StGB) sowie des vollendeten Betrugsversuchs (Art. 148 in Verbindung
mit Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer
Gefängnisstrafe von 20 Tagen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit
von 2 Jahren.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid des Zürcher Obergerichts sei aufzuheben und die
Sache sei zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er
ersucht um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht wie bereits im Berufungsverfahren
unter Hinweis auf BGE 108 IV 180 ff. und 110 IV 24 ff. geltend, Art. 148
und 251 StGB seien nicht anwendbar, da der vorliegende Sachverhalt
verwaltungsrechtlicher Natur sei. Er geht davon aus, dass sein Verhalten
vom kantonalen Verwaltungsstrafrecht erfasst werde und bei Fehlen von
- etwa Art. 14 VStrR (Leistungs- und Abgabebetrug) und Art. 15 VStrR
(Urkundenfälschung) entsprechenden - Strafbestimmungen im kantonalen
Recht nicht strafbar sei.

    Das BG über das Verwaltungsstrafrecht findet gemäss dessen Art. 1
Anwendung, wenn die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen einer
Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen ist. Diese Voraussetzung ist
vorliegend unbestrittenermassen nicht erfüllt.

    Nach den in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
zitierten Ausführungen in BGE 108 IV 180 ff. erfasst Art. 15 VStrR
(Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung) "nicht nur
Urkundendelikte im Steuerveranlagungsverfahren, sondern jede derartige
Handlung, welche sich gegen das Gemeinwesen richtet oder einen nach
der Verwaltungsgesetzgebung unrechtmässigen Vorteil bewirken soll"
(S. 182). Das Bundesgericht warf im zitierten Entscheid die Frage auf,
ob der Gesetzgeber mit Art. 15 VStrR auch Urkundendelikte, die in der
Absicht begangen werden, sich einen nach der Verwaltungsgesetzgebung der
Kantone und Gemeinden unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einen
Kanton bzw. eine Gemeinde am Vermögen zu schädigen, vom Anwendungsbereich
von Art. 251 StGB habe ausnehmen wollen mit der Folge, dass solche
Urkundendelikte nicht gemäss Art. 251 StGB, sondern, da Art. 15 VStrR
nicht anwendbar ist, nur nach dem kantonalen Recht strafbar sein können
(S. 183 E. 2c). Der Kassationshof erachtete eine solche Betrachtungsweise
als naheliegend, da andernfalls die Urkundendelikte zum Nachteil von
Kantonen und Gemeinden gemäss Art. 251 StGB, der Zuchthaus bis zu 5 Jahren
oder Gefängnis androht, strenger bestraft würden als Urkundendelikte zum
Nachteil des Bundes, für die Art. 15 VStrR lediglich Gefängnis oder Busse
androht; und der Kassationshof verwies in diesem Zusammenhang auch auf die
Kompetenz der Kantone zum Erlass von Strafbestimmungen gemäss Art. 335
Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Eine abschliessende Stellungnahme zum Verhältnis
VStrR/StGB, das nicht nur bezüglich der Urkundendelikte, sondern auch
bezüglich des Leistungs- und Abgabebetruges (Art. 14 VStrR/Art. 148
StGB) der weiteren Klärung bedürfe, war aber zur Beurteilung des dem
BGE 108 IV 180 ff. zugrunde liegenden Falles nicht erforderlich, da auf
jenen Sachverhalt unbestrittenermassen das VStrR Anwendung fand und die
fragliche Tat, eine Falschbeurkundung, nach Art. 15 VStrR, der als lex
specialis die Anwendung von Art. 251 StGB ausschliesst, nicht strafbar war.

    In BGE 110 IV 24 ff. nahm das Bundesgericht zum Verhältnis von
Verwaltungsstrafrecht und gemeinem Strafrecht beim Betrugstatbestand
Stellung. Es führte unter Hinweis auf BGE 108 IV 180 ff. aus, dass die
Tragweite von Art. 148 StGB "durch die privilegierenden Bestimmungen
des Fiskal- bzw. allgemein des Verwaltungsstrafrechts eingeschränkt"
werde und dass diese Einschränkung folgerichtig auch dann gelten
müsse, "wenn im konkreten Fall eine anwendbare Spezialnorm fehlt,
z.B. weil der zuständige Kanton keine solche Strafbestimmung kennt"
(S. 28). Nach den Ausführungen des Kassationshofes muss es für die
Auslegung von Art. 148 StGB "in jedem Falle dabei bleiben, dass der
nach herrschender Rechtsauffassung nicht unter den gemeinrechtlichen
Betrugstatbestand fallende Steuerbetrug von der Bestrafung nach der
Bestimmung des StGB ausgenommen ist" (S. 28). Der Kassationshof hielt
aber auch fest, dass die Schädigung des Gemeinwesens "im Prinzip nicht
weniger strafwürdig als die Schädigung eines privatrechtlichen Vermögens
ist" und dass privilegierende Ausnahmen restriktiv zu interpretieren
sind (S. 29). Im konkreten Fall wurde die Anwendbarkeit von Art. 148
StGB bejaht, da der Beschwerdeführer nicht als Steuerpflichtiger in
einem gegen ihn eingeleiteten Veranlagungsverfahren oder ihm durch den
vorangehenden Quellensteuerabzug aufgezwungenen Rückerstattungsverfahren
betrügerische Handlungen begangen, sondern sich aus eigener Initiative
entschlossen hatte, durch Irreführung der Behörden sich unrechtmässig
zu bereichern, indem er auf raffinierte Weise systematisch fiktive
Rückerstattungsansprüche existierender oder erfundener Personen geltend
machte und mittels falscher Urkunden die Auszahlung erwirkte (S. 29).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der ihm zur Last
gelegte Versuch, vom Kanton Zürich mittels gefälschter Urkunden einen
Studienbeitrag zu erlangen, falle nach den Ausführungen des Bundesgerichts
in den beiden zitierten Entscheiden nicht unter Art. 148 und 251 StGB,
sondern unter das kantonale Verwaltungsstrafrecht und sei bei Fehlen von
Strafbestimmungen im kantonalen Recht nicht strafbar.

    Der Einwand ist angesichts der beiläufigen Bemerkungen in BGE 108 IV
180 ff. und 110 IV 24 ff. verständlich, erweist sich aber als unbegründet.

    a) In den beiden erwähnten Präjudizien wird die Frage aufgeworfen,
ob den Art. 14/15 VStrR sinngemäss in bezug auf die Anwendbarkeit von
Art. 148 StGB und 251 StGB bei Verfehlungen im Verwaltungsbereich,
insbesondere im Fiskalbereich, eine allgemeine einschränkende Wirkung
zukomme, so dass eine (subsidiäre) Bestrafung nach den Bestimmungen des
StGB auch dann ausser Betracht fallen müsse, wenn eine Verfehlung nicht
gestützt auf eine verwaltungsrechtliche Spezialnorm (kantonales oder
eidgenössisches Verwaltungsstrafrecht) geahndet werden könne.

    Jene für die konkreten Urteile nicht entscheidenden Ausführungen
(BGE 108 IV 183, 110 IV 27) gingen in der Richtung der Annahme, aus
dem Verwaltungsstrafrecht des Bundes und aus Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2
und Ziff. 2 StGB sei der Schluss zu ziehen, verwaltungsrechtliche
Urkundendelikte und betrügerische Handlungen gegen die Verwaltung
seien stets nur nach den speziellen Bestimmungen des einschlägigen
Verwaltungsstrafrechts zu beurteilen; die Art. 251 StGB und 148 StGB
könnten in diesem Bereich nicht zur Anwendung kommen, auch dann nicht,
wenn eine anwendbare Spezialnorm fehle und die Tatbestandselemente des
gemeinrechtlichen Tatbestandes an sich erfüllt seien.

    b) Das grundsätzliche Problem des Verhältnisses des Strafgesetzbuches
zu gleichartigen Strafnormen im Verwaltungsstrafrecht des Bundes und der
Kantone lässt sich jedoch richtigerweise nicht generell lösen; insbesondere
drängt sich eine Differenzierung zwischen dem Steuerstrafrecht, das
bezüglich der kantonalen Steuern vollständig den Kantonen überlassen wurde
(Art. 335 Ziff. 2 StGB), und dem übrigen kantonalen Verwaltungsstrafrecht
(Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) auf.

    c) Im vorliegenden Fall braucht auf die Besonderheit des
Steuerstrafrechts und die Beurteilung fiskalischer Verfehlungen nicht
eingetreten zu werden, da es sich hier nicht um ein Delikt in diesem
Bereich handelt. Das betrügerische Erschleichen eines Stipendiums verstösst
gegen nichtfiskalisches Verwaltungsrecht des Kantons; eine entsprechende
spezielle Strafnorm müsste sich auf Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB stützen
können.

    d) Nach herrschender Lehre gilt im Bereich des kantonalen
Verwaltungsstrafrechts i.e.S. - im Gegensatz zum Steuerstrafrecht -
der Vorrang des Bundesrechts (HAFTER, Das eidgenössische Strafrecht
und die Vorbehalte zugunsten der Kantone im Sinne von Art. 335 StGB,
in ZSR 1939 S. 24a f., 53a; Krauss, Die strafrechtliche Problematik der
Erschleichung kantonaler Subventionen, in Festschrift Frank Vischer,
S. 50). Das bedeutet, dass die betrügerische Erschleichung einer
staatlichen Leistung gemäss Art. 148 StGB als Betrug zu erfassen ist,
wenn die Elemente des gemeinrechtlichen Betrugstatbestandes vorliegen,
und dass eine kantonalrechtliche privilegierende Norm nicht etwa (wie
beim Steuerbetrug) den Vorrang beanspruchen könnte. Aus dieser bis jetzt
unangefochten geltenden Konzeption, wonach kantonales Verwaltungsstrafrecht
im Sinne von Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB das Bundesrecht nicht derogiert
(im Gegensatz zum kantonalen Steuerstrafrecht), ergibt sich, dass das
Fehlen einer kantonalen Spezialbestimmung (etwa analog Art. 14/15 VStrR)
für die Strafbarkeit eines Stipendienbetruges ohne Bedeutung ist, da
ohnehin die gemeinrechtlichen Strafnormen des StGB vorgehen.

    Dass der Bund in seinem Bereich für analoge Fälle privilegierende
Strafnormen des Leistungsbetruges und der Urkundenfälschung (Art. 14/15
VStrR) geschaffen hat, nach der herkömmlichen Auslegung von Art. 335
Ziff. 1 Abs. 2 StGB aber den Kantonen eine solche Privilegierung
gleichartiger Verfehlungen verwehrt, ist eine merkwürdige und sachlich
kaum zu rechtfertigende Konsequenz, die sich jedoch nicht auf dem Wege
der Rechtsprechung vermeiden lässt.

    e) Zu erwägen wäre allenfalls, ob gestützt auf die neuere Entwicklung
des Verwaltungsstrafrechts des Bundes den Kantonen die Befugnis zugestanden
werden könnte und müsste, analoge, dem StGB vorgehende Strafbestimmungen in
ihrem Verwaltungsbereich zu schaffen, oder ob der Bundesgesetzgeber selber
für den Bereich des kantonalen Verwaltungsrechts (exklusive Steuerrecht)
den Art. 14/15 VStrR entsprechende Vorschriften erlassen sollte. Die Frage
kann hier offenbleiben. Auf jeden Fall besteht kein Anlass, den Schutz,
welchen die Art. 148 und 251 StGB nach bisher unangefochten geltender
Auslegung auch den öffentlichen Gemeinwesen boten, als aufgehoben zu
betrachten, weil der Bund gleichartige Verfehlungen gegenüber seiner
Verwaltung vom gemeinen Strafrecht ausgenommen und privilegierenden
Spezialnormen unterstellt hat. Hätte der Gesetzgeber damit - ähnlich
wie seit jeher im Bereich des Steuerstrafrechts - verwaltungsrechtliche
Verfehlungen allgemein aus dem Anwendungsbereich der Art. 148 und 251
StGB ausklammern und ausschliesslich der Spezialgesetzgebung vorbehalten
wollen, so wäre schon aus Gründen der Rechtssicherheit eine ausdrückliche
Regelung dieser Frage notwendig gewesen, damit die Kantone drohende
Strafbarkeitslücken durch entsprechende kantonale Vorschriften hätten
schliessen können.

    f) Sind demnach die Art. 148 und 251 StGB auf Leistungsbetrüge
und damit zusammenhängende Urkundenfälschungen zum Nachteil der Kantone
anwendbar, so verstösst die angefochtene Verurteilung des Beschwerdeführers
nicht gegen Bundesrecht.

    Der Beschwerdeführer behauptet mit Recht selber nicht mehr, dass die
ihm zur Last gelegten Tatbestände auch im Falle der Anwendbarkeit des
StGB nicht erfüllt seien. Hätte der Beamte aufgrund der verfälschten
Urkunde den Studienbeitrag ausbezahlt, dann hätte er zum Schaden des
Kantons Zürich über dessen Vermögen verfügt.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ersucht um die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege. Seine Mittellosigkeit ist hinreichend ausgewiesen. Die
Nichtigkeitsbeschwerde war nicht von vornherein aussichtslos.
Der Beschwerdeführer konnte aus einzelnen Erwägungen von BGE 110 IV 24
ff. und 108 IV 180 ff. den Schluss ziehen, die Erschleichung eines durch
das kantonale Recht geregelten Studienbeitrages mit verfälschten Urkunden
sei nach Auffassung des Bundesgerichts nicht gemäss Art. 148 und 251
StGB, sondern nach dem kantonalen Strafrecht zu beurteilen. Das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist daher gutzuheissen.