Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IV 109



112 IV 109

34. Urteil des Kassationshofes vom 2. September 1986
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen
H. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG. Schwerer Fall bei wiederholtem Verkauf
von verschiedenartigen Betäubungsmitteln.

    Kann die verkaufte Menge verschiedenartiger Betäubungsmittel die
Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen, liegt ein schwerer Fall
im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG vor, auch wenn in bezug auf
die einzelnen Betäubungsmittelarten die vom Bundesgericht festgelegten
Grenzwerte nicht erreicht sind (E. 2a).

    Die durch mehrere Geschäfte umgesetzten Betäubungsmittelmengen sind
bei der Beurteilung des schweren Falles auch dann zusammenzuzählen,
wenn zwischen den einzelnen Handlungen nicht Fortsetzungs-, sondern
Wiederholungszusammenhang besteht (E. 2b).

    Der aus einem Grund bereits verschärfte Strafrahmen kann aus einem
andern nicht noch weiter verschärft werden. Das hindert den Richter
aber nicht, den zweiten Qualifikationsgrund im Rahmen von Art. 63 StGB
straferhöhend zu berücksichtigen (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- H. verkaufte im Oktober 1983 für Fr. 800.-- 100 Gramm Haschisch,
die er für Fr. 700.-- erworben hatte (Anklagepunkt I 1). In der Zeit von
Dezember 1983 bis August 1985 verkaufte er rund 60 Kilogramm Haschisch,
wobei er mehr als eine halbe Million Franken umsetzte und einen Gewinn
von über Fr. 50'000.-- erzielte (Anklagepunkte I 2-5, 7-12). Im Mai 1984
traf er Anstalten zum Kauf von 3 bis 4 Kilogramm Haschisch (Anklagepunkt
I 6). Zwischen Dezember 1983 und August 1985 rauchte er rund 70 Gramm
Haschisch (Anklagepunkt I 13).

    H. kaufte sodann in der Zeit von Februar bis Juni 1984 zum Preis von
total Fr. 510.-- insgesamt 60 LSD-Trips, die er zum Preis von Fr. 600.--
weiterveräusserte (Anklagepunkt II 1). Im April 1985 kaufte er zum Preis
von Fr. 850.-- insgesamt 150 LSD-Trips, die er zum Preis von Fr. 1'000.--
weiterverkaufte (Anklagepunkt II 2).

    Im Februar 1985 übernahm H. 3 Gramm Kokain in Kommission. 1/4 Gramm
gab er einem Dritten zum Testen, 3/4 Gramm wurden beim Waschen seiner
Hose vernichtet, und 2 Gramm gab er dem Lieferanten zurück, da es sich
um schlechte Ware handelte; er musste dem Lieferanten Fr. 150.-- bezahlen
(Anklagepunkt III).

    B.- Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft sprach H. am 31.

    Januar 1986 der wiederholten und fortgesetzten, teilweise
qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig
und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 19 Ziff. 1 und 2 lit. a und
c sowie Art. 19a Ziff. 1 BetmG zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten,
bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von vier Jahren. Der Verurteilte
wurde gemäss Art. 58 Abs. 4 StGB zur Zahlung von Fr. 5'000.-- an den Staat
verpflichtet. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte
am 10. Juni 1986 in Abweisung der Appellation der Staatsanwaltschaft den
erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit folgendem Antrag:

    "Das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache an dieses
   zurückzuweisen, damit es ... H. ... in den Fällen II und III auf Grund
   von Art. 19 Ziff. 2 lit. a statt auf Grund von Art. 19 Ziff. 1 BetmG
   bezüglich der neben dem Haschisch gehandelten Menge "LSD" und Kokain
   verurteile sowie ihn auf Grund von Art. 63 StGB höher bestrafe."

    Der Verurteilte beantragt in seinen Gegenbemerkungen die Abweisung
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde. Er ersucht um die Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanzen teilten die Betäubungsmittelgeschäfte des
Beschwerdegegners in zwei Phasen auf, zwischen denen ihres Erachtens
Wiederholungszusammenhang bestand. In der ersten Phase, die von
Dezember 1983 bis Ende September 1984 dauerte, kaufte und verkaufte
der Beschwerdegegner ca. 28,5 Kilogramm Haschisch und 60 LSD-Trips; in
der zweiten Phase, die von Januar bis Ende August 1985 dauerte, kaufte
und verkaufte er ca. 31,5 Kilogramm Haschisch sowie 150 LSD-Trips und
übernahm er 3 Gramm Kokain in Kommission.

    Das Obergericht stimmte der Auffassung der 1. Instanz zu, dass
"im Hinblick auf die Frage, ob sich die Widerhandlungen auf eine grosse
Menge von Betäubungsmitteln im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a bezogen,
[...] die verkauften Rauschgiftmengen nur innerhalb der beiden Phasen
und der einzelnen Drogenarten (Cannabis, LSD, Kokain)" zusammenzuzählen
seien. Die Vorinstanz nahm demzufolge hinsichtlich des Haschischhandels
einen schweren Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a (Gefährdung vieler
Menschen) und lit. c (Gewerbsmässigkeit) an. Sie bejahte in bezug auf
den Verkauf von insgesamt 210 LSD-Trips die Gewerbsmässigkeit im Sinne
von Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG, verneinte aber insoweit einen schweren
Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a, da die 60 bis Juni 1984 und
die aufgrund eines neuen Willensentschlusses im Januar 1985 verkauften
150 LSD-Trips aus den genannten Gründen gesondert zu beurteilen seien und
somit die zur Annahme eines schweren Falles im Sinne von Art. 19 Ziff. 2
lit. a erforderliche Menge von 200 LSD-Trips (s. BGE 109 IV 143) nicht
erreicht sei. Auch die kommissionsweise Übernahme von 3 Gramm Kokain wurde
gesondert beurteilt und demzufolge nicht unter Art. 19 Ziff. 2 lit. a,
sondern unter Art. 19 Ziff. 1 BetmG subsumiert. Der Betrachtungsweise
der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden.

Erwägung 2

    2.- a) Ein schwerer Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
liegt vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die
Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die
Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Das Bundesgericht hat in
BGE 109 IV 143 für einzelne Betäubungsmittelarten die Grenzwerte für das
Vorliegen eines schweren Falles im Sinne dieser Bestimmung genannt. Aus
diesem Entscheid kann aber nicht abgeleitet werden, dass bei einem Täter,
der mit verschiedenen Betäubungsmittelarten handelt, eine Verurteilung
nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG nur zulässig sei, wenn in bezug auf je
eine Betäubungsmittelart der Grenzwert erreicht ist. Massgebend sind nach
der zutreffenden Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht die Mengen der
einzelnen umgesetzten Betäubungsmittelarten, sondern die Gesamtmenge. Der
Schuldspruch bezieht sich nicht auf die einzelnen Betäubungsmittelarten,
sondern auf die insgesamt umgesetzten Betäubungsmittel. Kann durch die vom
Täter verkaufte Menge von (verschiedenartigen) Drogen die Gesundheit von 20
Menschen (s. dazu BGE 108 IV 65 E. 2) gefährdet werden, liegt ein schwerer
Fall im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG vor, auch wenn in bezug auf
die einzelnen Betäubungsmittelarten die Grenzwerte nicht erreicht sind. Der
Täter, der beispielsweise 6 Gramm Heroin (50% von 12 Gramm) und 9 Gramm
Kokain (50% von 18 Gramm) verkauft, ist wegen schwerer Widerhandlung im
Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG zu verurteilen, weil mit dieser
Menge von Drogen die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr gebracht
werden kann (vgl. auch das nicht publizierte Urteil des Kassationshofes
vom 19. März 1986 i.S. L. c. TG). Die gesonderte Beurteilung der
vom Beschwerdegegner umgesetzten einzelnen Betäubungsmittelarten im
angefochtenen Entscheid verstösst demnach gegen Bundesrecht.

    b) Unzutreffend ist sodann auch die Auffassung der Vorinstanz, dass die
Betäubungsmittelmengen nur insoweit zusammenzuzählen seien, als zwischen
den Verkaufsgeschäften Fortsetzungszusammenhang bestehe, dass aber bei
wiederholter Tatverübung die verkauften Drogenmengen nicht zu addieren
seien. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu BGE 105 IV 73 E. 3a. Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG ist nicht nur dann anwendbar, wenn der Täter von
vornherein den Entschluss gefasst hatte, eine Menge von Drogen umzusetzen,
welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Auch der
Täter, der aufgrund mehrerer Tatentschlüsse insgesamt eine solche Menge
verkauft, ist nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG zu verurteilen. Es genügt
der (Eventual-)Vorsatz in bezug auf die grosse Menge; ein vorgefasster
Entschluss, eine solche Menge umzusetzen, ist nicht erforderlich. Es
mag zwar zutreffen, dass das "subjektive Gefährdungspotential" eines
Täters grösser ist, wenn dieser eine bestimmte Drogenmenge aufgrund
eines einheitlichen Willensentschlusses ununterbrochen umsetzt, als
wenn er dies durch zwei in grösserem zeitlichen Abstand begangene Taten
tut. Das kann aber nicht dazu führen, bei wiederholter Tatverübung auf die
Zusammenrechnung der umgesetzten Drogenmengen und damit auf die Anwendung
von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG zu verzichten. Im übrigen wird nach der
ständigen Rechtsprechung der wiederholt handelnde Täter in Anwendung
von Art. 68 StGB grundsätzlich strenger bestraft als der fortgesetzt
handelnde (s. dazu BGE 109 IV 86). Die durch mehrere Geschäfte umgesetzten
Betäubungsmittelmengen sind demnach entgegen der Auffassung der Vorinstanz
auch dann zusammenzuzählen, wenn zwischen den einzelnen Handlungen nicht
Fortsetzungs-, sondern Wiederholungszusammenhang bestand. Insoweit besteht
zwischen wiederholter und fortgesetzter Tatverübung kein Unterschied.

    c) Das Obergericht weist allerdings darauf hin, dass es in
bezug auf den Kauf und Verkauf von insgesamt 210 LSD-Trips schon den
Qualifikationsgrund der Gewerbsmässigkeit (Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG)
angenommen hat und dass der Beschwerdegegner selbst bei Vorliegen des
weiteren Qualifikationsgrundes der die Gesundheit vieler Menschen
gefährdenden Menge (Ziff. 2 lit. a) nicht strenger bestraft werden
dürfte. Zur Begründung verweist es auf BGE 103 IV 282 und einen Entscheid
des Kantonsgerichts Graubünden vom 16. Mai 1978 (PKG 1978 Nr. 15, zitiert
bei G. HUG-BEELI, Betäubungsmitteldelikte, Zürich 1983, S. 59 oben). Den
Erwägungen in BGE 103 IV 282 E. 2 kann indessen im Zusammenhang mit der
bisherigen Rechtsprechung nur entnommen werden, dass der aus dem einen
Grunde verschärfte Strafrahmen aus einem andern Grunde nicht noch weiter
verschärft werden kann (BGE 102 IV 226, 73 IV 19, 72 IV 113 E. 3), was
den Richter aber nicht hindert, einen zweiten Qualifikationsgrund zwar
nicht strafschärfend, aber im Rahmen von Art. 63 StGB straferhöhend zu
berücksichtigen (s. BGE 72 IV 113/4 sowie das nicht publizierte Urteil
des Kassationshofes vom 18. September 1979 i.S. B. und S. c. ZH, zitiert
bei ALFRED SCHÜTZ, Die Strafbestimmungen des BG über die Betäubungsmittel,
Diss. ZH 1980, S. 163; vgl. auch SCHULTZ, ZBJV 114/1978 S. 491).

    d) Nach dem Gesagten fällt auch eine gesonderte Beurteilung der
kommissionsweisen Übernahme von 3 Gramm Kokain (Anklagepunkt III)
ausser Betracht. Diese Tat ist nach der zutreffenden Auffassung der
Staatsanwaltschaft zusammen mit den Haschisch- und LSD-Geschäften des
Beschwerdegegners unter Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG zu subsumieren. Für
die Anwendung von Art. 19 Ziff. 1 BetmG bleibt insoweit kein Raum. Die
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher auch in diesem Punkt
gutzuheissen.

    e) Ob die Vorinstanz den dem Beschwerdegegner zur Last gelegten
Erwerb von 100 Gramm Haschisch im Oktober 1983 (Anklagepunkt I 1) zu Recht
losgelöst von den übrigen Geschäften beurteilt und infolgedessen lediglich
unter Art. 19 Ziff. 1 BetmG subsumiert habe, braucht vorliegend nicht
entschieden zu werden, da die Staatsanwaltschaft die gesonderte Behandlung
dieses Falles in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht anficht.

    f) Es ergibt sich demnach, dass der Verkauf von insgesamt 210 LSD-Trips
(Anklagepunkte II 1 und 2) entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht
nur unter Art. 19 Ziff. 1 lit. c, sondern zusätzlich unter Art. 19 Ziff. 1
lit. a BetmG fällt und dass die kommissionsweise Übernahme von 3 Gramm
Kokain nicht unter Art. 19 Ziff. 1, sondern unter Art. 19 Ziff. 2 lit. a
BetmG zu subsumieren ist.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde ist deshalb gutzuheissen, was zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils führt. Aufgrund des abgeänderten Schuldspruches
wird die Vorinstanz die Strafe neu festzusetzen haben.