Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 465



112 II 465

77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1986 i.S.
Ringier AG gegen G. (Berufung) Regeste

    Gegendarstellungsrecht (Art. 28g Abs. 1 ZGB).

    1. Auch die Veröffentlichung einer Fotografie kann unter Umständen
Anspruch auf eine Gegendarstellung geben (E. 2a und b).

    2. Kann eine Gegendarstellung auch zu Tatsachen verlangt werden,
die sich nicht unmittelbar aus dem Inhalt des veröffentlichten Bildes
ergeben? (Frage offengelassen) (E. 2b).

    3. Aus einer Fotografie, die ohne Wissen der abgebildeten Personen
aufgenommen worden ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass diese
mit der Veröffentlichung einverstanden gewesen sind. Diesbezüglich liegt
somit keine gegendarstellungsfähige Tatsachendarstellung vor (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Am 24. März 1986 verunglückte G. am Steuer seines Autos zusammen
mit seinem vierjährigen Sohn M. auf dem noch nicht zur Autobahn ausgebauten
Abschnitt der N 13 im sanktgallischen Rheintal tödlich. Die von der
Ringier AG, Zofingen, herausgegebene Wochenzeitschrift "Schweizer
Illustrierte" veröffentlichte in der Folge in ihrer Ausgabe vom 5.
Mai 1986 einen mehrseitigen Artikel unter dem Titel "Die Strasse der
Angst". Darin war auf einer ersten Doppelseite, die das als "Todesstrecke"
bezeichnete Strassenstück bei Nacht zeigte und den Hinweis enthielt, die
Strasse habe bis April 1986 57 Opfer gefordert, zuletzt einen 41jährigen
Vater mit seinem erst vierjährigen Sohn, in verkleinerter Form auch ein
Ausschnitt aus dem Titelblatt der Tageszeitung "Blick" vom 25. März 1986
abgebildet. Dieser Ausschnitt enthielt eine Fotografie des Todesfahrzeuges
und einen Text mit Angabe der Namen der Todesopfer samt Beruf, Wohnort und
Zivilstand. Auf der zweiten Doppelseite des besagten Artikels befand sich
eine grossformatige Fotografie der Beerdigungszeremonie. Sie zeigte die
weinende Witwe des tödlich verunfallten G. und ihre beiden noch lebenden
Kinder neben einem Sarg, und zwar im Zentrum der Doppelseite in grosser
Abbildung. Der Artikel enthielt sodann einen Abschnitt mit der Überschrift
"Gerede und Gerüchte nach jedem Unfall". Darin war unter anderem zu lesen:

    "Es gab Leute, die meinten, der Versicherungsinspektor habe den Tod
   gesucht und er habe seinen Buben mit in den Tod nehmen wollen. Das
   war nur

    Gerede, gewiss, aber die seltsame Häufung von tödlichen Kollisionen auf
   der N 13 gab schon immer Anlass zu Gerede und Gerüchten in der Umgebung.

    Auch Leute, die den Versicherungsinspektor nicht gekannt hatten,
fanden es
   merkwürdig, dass der Mann, kaum befand er sich auf der N 13, den

    Zusammenstoss mit einem Lastwagen verursachte."

    B.- Die Ringier AG weigerte sich, eine Gegendarstellung der Witwe
G. und deren Söhne zu veröffentlichen. Diese wandten sich daraufhin an das
Bezirksgerichtspräsidium Unterrheintal mit dem Begehren, es sei ihnen in
der "Schweizer Illustrierten" das Recht zur Gegendarstellung einzuräumen.

    Mit Entscheid vom 23. Juni 1986 schützte der Bezirksgerichtspräsident
das Begehren der Kläger teilweise und befahl der Beklagten, innert 14 Tagen
ab Rechtskraft des Entscheides folgenden Gegendarstellungstext zweispaltig
im redaktionellen Teil der "Schweizer Illustrierten" zu veröffentlichen:

    "Gegendarstellung zur Veröffentlichung

    Die Strasse der Angst

    vom 5.5.1986

    In der Ausgabe vom 5.5.1986 wurde im Artikel "Die Strasse der Angst"
   ohne jedes Einverständnis der nächsten Angehörigen des anlässlich eines

    Verkehrsunfalles verstorbenen Vaters und verstorbenen Sohnes ein

    Foto aus der Beerdigungszeremonie veröffentlicht. Gegen dieses
Verhalten,
   sowie gegen die Namensnennung der Verstorbenen, verwahren sich die

    Angehörigen in aller Form.

    Die nächsten Angehörigen."

    C.- Die Beklagte erhob gegen diesen Entscheid Berufung an den
Appellationsrichter des Kantonsgerichts St. Gallen und verlangte
dessen Aufhebung. Die Kläger erhoben ihrerseits Anschlussberufung
und beantragten folgende Ergänzung des vom erstinstanzlichen Richter
genehmigten Gegendarstellungstextes:

    "Die Darstellung der Schweizer Illustrierten, beim fraglichen Unfall
   handle es sich um einen Suizid, entspricht nicht den Tatsachen und
   ist eine pietätlose Behauptung."

    Der Appellationsrichter wies die Berufung mit Entscheid vom 17. Juli
1986 ab. In seinem Urteil hielt er fest, die nur für den Fall der
Gutheissung der Berufung erhobene Anschlussberufung sei dadurch hinfällig
geworden.

    D.- Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte Berufung an das
Bundesgericht erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides.

    Die Kläger beantragen die Abweisung der Berufung und die erneute
Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Umstritten ist im vorliegenden Fall einzig, ob es sich bei
der fraglichen Publikation in der "Schweizer Illustrierten" um eine
Tatsachendarstellung im Sinne von Art. 28g ZGB handelt.

    Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, solche Tatsachen könnten auch
durch eine Fotografie vermittelt werden. Dabei sei nicht nur massgebend,
was man auf der Foto sehe. Vielmehr könnten sich, allenfalls in Verbindung
mit einem dazugehörenden Text, für den Betrachter gewisse Gedanken und
Schlüsse damit verbinden, welche ebenfalls als gegendarstellungsfähige
Tatsachen zu qualifizieren seien. Im vorliegenden Fall werde zumindest
bei einem Teil der Leserschaft der Eindruck erweckt, die Kläger hätten
der Veröffentlichung zugestimmt. Diesen stehe daher ein Recht auf
Gegendarstellung zu.

    Demgegenüber wird in der Berufung die Auffassung vertreten,
eine Fotografie vermittle grundsätzlich keine über den eigentlichen
Bildinhalt hinausgehenden Tatsachen. Im vorliegenden Fall stehe zudem
ausser Zweifel, dass die veröffentlichte Fotografie von der Beerdigung
der Unfallopfer der Wirklichkeit entspreche und nicht montiert oder
verfälscht sei. Eine Tatsachenaussage, dass die Betroffenen in diese
Veröffentlichung eingewilligt hätten, ergebe sich daraus oder aus dem
Text des Artikels werde unmittelbar noch mittelbar.

    a) Gemäss Art. 28g Abs. 1 ZGB hat Anspruch auf Gegendarstellung,
wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien,
insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit
unmittelbar betroffen ist.

    Voraussetzung für eine Gegendarstellung ist demnach u.a., dass sie
sich gegen Tatsachen richtet, die in einem periodisch erscheinenden Medium
dargestellt worden sind. Unter Darstellung sind nicht nur Äusserungen im
eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern auch Andeutungen, die sich für
den Durchschnittsleser oder -betrachter auf die betroffene Person beziehen
können (Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches (Persönlichkeitsschutz) vom 5. Mai 1982, BBl 1982 II
S. 674). Denn eine Darstellung (présentation, esposizione) liegt vor,
sobald der Autor einer Veröffentlichung bei den Adressaten auf irgendeine
Weise eine gewisse Tatsachenverbindung hervorruft (vgl. TERCIER, Le nouveau
droit de la personnalité, Rz. 1399). In der Lehre herrscht Einigkeit
darüber, dass dies auch durch eine Fotografie geschehen kann (Botschaft des
Bundesrates, aaO; A. BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz,
Rz. 663; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2. Aufl.,
Rz. 690a; TERCIER, aaO Rz. 1400). Dies wird auch von der Beklagten
nicht bestritten. Strittig ist im vorliegenden Fall hingegen, ob die
in der Zeitschrift "Schweizer Illustrierte" veröffentlichte Fotografie,
welche die Kläger bei der Beerdigung ihrer nächsten Verwandten zeigt,
geeignet war, beim Durchschnittsleser den Eindruck zu erwecken, diese
Abbildung sei mit ihrer Zustimmung publiziert worden.

    b) Hierzu ist vorweg festzuhalten, dass bei den
gegendarstellungsfähigen Tatsachendarstellungen, die in einer Fotografie
enthalten sein können, in erster Linie an Tatsachen zu denken ist,
die durch die Fotografie selber sichtbar gemacht, d.h. darin bildlich
festgehalten werden. Dies ist hier nicht der Fall. Die fragliche Tatsache
steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bild als solchem. Weder
der Fotografie noch dem Text des Artikels lässt sich etwas darüber
entnehmen, dass die Veröffentlichung der fotografischen Aufnahme mit oder
ohne Einverständnis der darauf abgebildeten Angehörigen der Unfallopfer
erfolgt ist. Da es sich offensichtlich nicht um eine gestellte Aufnahme
handelt, kann nicht einmal angenommen werden, die abgebildeten Personen
hätten sich mit ihrem Einverständnis fotografieren lassen. Der vorliegende
Schnappschuss unterscheidet sich gerade auch in dieser Hinsicht wesentlich
von dem von den Klägern angeführten Beispiel einer Aktfotografie. Aufgrund
der gesamten Umstände besteht somit kein konkreter Anhaltspunkt dafür, dass
die fragliche Fotografie mit dem Einverständnis der Kläger veröffentlicht
worden ist.

    Ob es anderseits zulässig ist, eine Gegendarstellung zu Tatsachen
zu beanspruchen, die sich nicht unmittelbar aus dem Inhalt eines
veröffentlichten Bildes ergeben, ist hier nicht zu entscheiden. Denn
jedenfalls müsste verlangt werden, dass sich eine Tatsache, die sich
nicht unmittelbar aus der Bilddarstellung ergibt, dem durchschnittlichen
Betrachter geradezu aufdrängt. Der gegenteiligen Auffassung der
Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Diese steht zu Unrecht auf dem
Standpunkt, es genüge bereits eine erhebliche Wahrscheinlichkeit,
dass zumindest ein Teil der Leserschaft aus der Veröffentlichung eines
Bildes einen entsprechenden Schluss ziehe. Wollte man darauf abstellen,
so bestünde die Gefahr, dass der Begriff der gegendarstellungsfähigen
Tatsachendarstellung allzu unscharf wird. Dies widerspräche aber dem
Sinn des Gegendarstellungsrechts, das möglichst einfach zu handhaben sein
sollte. Es kann deshalb nicht massgebend sein, welche Schlussfolgerungen
ein gewisser Teil der Leserschaft aus der Veröffentlichung einer
Fotografie allenfalls ziehen könnte. Anspruch auf eine Gegendarstellung
vermag vielmehr nur eine Tatsache zu begründen, die sich für die grosse
Mehrheit der Leser beim Betrachten der Fotografie aufdrängt.

    Davon kann hier keine Rede sein. Was den durchschnittlichen Leser
beim Betrachten der in Frage stehenden Fotografie in erster Linie
beeindruckt haben dürfte, ist die Tragik der abgebildeten Beerdigungsszene,
insbesondere die Trauer auf den Gesichtern der Beteiligten. Die Frage,
ob die Veröffentlichung dieser Fotografie mit oder ohne Einverständnis
der abgebildeten Angehörigen erfolgt sei, wird sich höchstens ein kleiner
Kreis besonders nachdenklicher Betrachter gestellt haben. Auch von diesen
besonders aufmerksamen Lesern kann aber kaum angenommen werden, dass
sie allein aufgrund der veröffentlichten Fotografie ohne weiteres auf
das Einverständnis der abgebildeten Angehörigen mit der Veröffentlichung
geschlossen haben.

    c) Es ergibt sich somit, dass das von den Klägern beanspruchte
Recht auf Gegendarstellung mangels einer gegendarstellungsfähigen
Tatsachendarstellung nicht gegeben ist. Damit erübrigt es sich,
zu der im kantonalen Verfahren formulierten Gegendarstellung näher
Stellung zu nehmen. Immerhin ist zu bemerken, dass die Vorinstanz
selber einräumt, der zweite Satz der von den kantonalen Instanzen
bewilligten Gegendarstellung - "Gegen dieses Verhalten, sowie gegen
die Namensnennung der Verstorbenen, verwahren sich die Angehörigen in
aller Form." - sprenge, für sich allein betrachtet, den Rahmen einer
blossen Tatsachendarstellung. Dieser Satz lässt erkennen, dass es den
Klägern mehr darum ging, sich gegen einen Eingriff in ihre Privatsphäre
zur Wehr zu setzen. Das Gegendarstellungsrecht ist jedoch einzig ein
Mittel, um persönlichkeitsrechtlich relevanten Tatsachendarstellungen
entgegenzutreten, nicht aber um vor Eingriffen in die Privatsphäre zu
schützen.

Erwägung 3

    3.- Die Kläger hatten vor der Vorinstanz mit Anschlussberufung für
den Fall der Gutheissung der Berufung die Bewilligung eines anderen
Gegendarstellungstextes beantragt. Diese Gegendarstellung ist gegen das
im Artikel der "Schweizer Illustrierten" erwähnte Gerücht gerichtet,
beim Unfall könnte es sich um einen Selbstmord gehandelt haben. Die
Vorinstanz musste auf diese Anschlussberufung nicht eintreten, da sie
zur Abweisung der Hauptberufung gelangte. Nachdem die von der Vorinstanz
bewilligte Gegendarstellung aber nicht aufrechterhalten werden kann,
ist die Sache zur materiellen Beurteilung der Anschlussberufung an diese
zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird nunmehr zu entscheiden haben, ob den
Klägern in dem mit der Anschlussberufung geltend gemachten Umfang ein
selbständiger Gegendarstellungsanspruch zusteht.