Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 433



112 II 433

70. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1986 i.S. W. Inkasso
AG gegen A. (Berufung) Regeste

    Art. 27 Abs. 2 ZGB, 20 Abs. 2 OR. Nichtige Globalzession.

    1. Tragweite des Bestimmtheitserfordernisses als
Zulässigkeitsvoraussetzung einer Globalzession künftiger Forderungen. Frage
offengelassen (E. 2).

    2. Eine zeitlich und gegenständlich unbeschränkte Sicherungsabtretung
im Rahmen einer Automiete verstösst gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB und ist
nichtig (E. 3).

    3. Die aus der umfassenden Abtretung aller denkbaren Forderungen
folgende Nichtigkeit schliesst eine auf bestimmte Forderungen beschränkte
Teilnichtigkeit aus (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Von 1978 bis 5. März 1980 mietete S. von der P. AG drei
Personenautos. Als Sicherheit zedierte er ihr seine sämtlichen
gegenwärtigen und künftigen Guthaben und Forderungen. Im Januar 1980 wurde
über S. der Konkurs eröffnet, wobei die P. AG zu Verlust kam. Diese trat
in der Folge ihre Forderung samt Nebenrechten an die W. Inkasso AG ab.

    Am 7. Februar 1983 wandte sich die W. Inkasso AG an A. als Arbeitgeber
von S.; sie gab ihm von der Lohnzession Kenntnis und forderte ihn auf, den
das Existenzminimum von S. übersteigenden Betrag, einstweilen Fr. 1'400.--
monatlich, an die W. Inkasso AG abzuliefern. Auf deren Wunsch setzte das
zuständige Betreibungsamt den Notbedarf der Familie S. auf Fr. 3'410.--
fest.

    B.- Im November 1983 klagte die W. Inkasso AG beim Bezirksgericht
Zürich gegen A. auf Zahlung von Fr. 13'464.05, entsprechend der Restschuld
von S. aus Automiete. Das Bezirksgericht hat die Klage am 19. September
1984 abgewiesen, ebenso am 14. März 1986 das Obergericht des Kantons
Zürich. Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ist erfolglos geblieben.

    C.- Die Klägerin beantragt mit ihrer Berufung an das Bundesgericht,
das Urteil des Obergerichts aufzuheben und ihre Klage gutzuheissen. Der
Beklagte ersucht, die Berufung abzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Für das Obergericht ist entscheidend, ob die eingeklagte
Forderung seinerzeit rechtswirksam von S. an die P. AG abgetreten worden
sei. Es geht im Grundsatz davon aus, dass auch künftige Forderungen
abgetreten werden können. Mit der Abtretung aller künftigen Forderungen
auf unbestimmte Zeit werde aber die wirtschaftliche Freiheit über Gebühr
beschränkt und damit die Persönlichkeit verletzt. Auch mit der Berufung
auf blosse Teilnichtigkeit könne die Klägerin unter den gegebenen Umständen
nicht durchdringen. Schliesslich sei die Zession mit der Konkurseröffnung
über S. dahingefallen; die Miete habe nur etwa anderthalb Monate über
diesen Zeitpunkt hinaus gedauert. Daraus folgt für die Vorinstanz die
Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin.

    Mit der Berufung wird geltend gemacht, dass Lehre und Rechtsprechung
eine derartige Abtretung künftiger Forderungen durchaus zuliessen, dass
allenfalls eine blosse Teilnichtigkeit anzunehmen wäre und dass die
Zession auch die Konkurseröffnung überdauert habe.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht legt unter einlässlicher Prüfung von Lehre und
Rechtsprechung dar, dass die Abtretung einer Forderung, die erst in
der Zukunft entsteht, zulässig ist, wenn sie hinreichend bestimmt oder
zumindest bestimmbar ist und überdies der Zedent durch die Abtretung
nicht übermässig in seiner wirtschaftlichen Freiheit und damit in
seiner Persönlichkeit eingeschränkt wird (Art. 27 Abs. 2 ZGB; BGE 112
II 243 E. 2a; 84 II 366 E. 3 mit Hinweisen). Streitig ist in der Lehre
insbesondere die Tragweite des Bestimmtheitserfordernisses, namentlich
bei einer Globalzession künftiger Forderungen. Überwiegend wird dabei
als ausreichend betrachtet, dass die erforderliche Bestimmtheit im
Zeitpunkt der Entstehung oder Geltendmachung der abgetretenen Forderung
gegeben ist (für ersteres VON BÜREN, Allgemeiner Teil OR, S. 325, THOMAS
F. KLEYLING, Zession... und Forderungsverpfändung als Mittel zur Sicherung
von Krediten, Schweizer Schriften zum Handels- und Wirtschaftsrecht,
Bd. 48, Zürich 1980, S. 76, ZOBL, Berner Kommentar zum Fahrnispfandrecht,
Systematischer Teil, N. 1570; zum letzteren VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner
Teil OR, S. 350 Anmerkung 75a, GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Auflage, S. 234);
es kann offenbleiben, wie weit dies auch der Rechtsprechung entspricht
(BUCHER, Kreditsicherung durch Zession, in Probleme der Kreditsicherung,
Bern 1982, S. 23, verneint dies für BGE 84 II 366 E. 3; vgl. jedoch BGE
82 II 51 E. 1). Diese Betrachtungsweise führt vereinzelt zum Schluss,
die Abtretung sämtlicher gegenwärtigen oder künftigen Forderungen sei
ausreichend bestimmt, weil sie jede mögliche Forderung erfasse (ZOBL,
aaO N. 1665, H.U. WALDER, Lohnabtretung und Zwangsvollstreckung, in
Zürcher Schriften zum Verfahrensrecht, Heft 10, Zürich 1975, S. 19).

    In der neueren Lehre werden demgegenüber die Anforderungen an
diese Bestimmtheit teils verschärft, indem die Globalzession nur als
Verpflichtungsgeschäft anerkannt, für die Verfügung über die Forderung
dagegen eine Spezifikation nach sachenrechtlichen Grundsätzen verlangt
wird (BUCHER, Allgemeiner Teil OR, S. 490 ff., BUCHER., Kreditsicherung
durch Zession, S. 19 ff., WIEGAND, Kreditsicherung und Rechtsdogmatik,
in Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, S. 285 ff.;
ablehnend demgegenüber ZOBL, aaO N. 1672 ff.). Das Obergericht anerkennt,
dass diese Auffassung dogmatisch konsequent sei, den übermächtigen
praktischen Bedürfnissen des Geschäftsverkehrs und insbesondere der
Bankpraxis gegenüber aber kaum durchsetzbar wäre, lässt jedoch die Frage
letztlich offen. Nach Ansicht des Beklagten drängt sich eine Stellungnahme
des Bundesgerichts zugunsten dieser neueren Auffassung auf.

Erwägung 3

    3.- Wie schon für das Obergericht erübrigt es sich auch für das
Bundesgericht, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen, wenn sich die
Zession schon aufgrund der Art. 27 Abs. 2 ZGB und 20 Abs. 1 OR als
ungültig erweist. Es herrscht denn auch in Lehre und Rechtsprechung
weitgehend Übereinstimmung darin, dass eine zeitlich und gegenständlich
unbeschränkte Zession aller gegenwärtigen und künftigen Forderungen gemäss
diesen Bestimmungen sittenwidrig und deshalb nichtig ist (BGE 84 II 366
E. 3; VON TUHR/ESCHER, aaO S. 350, VON BÜREN, aaO S. 324 Anmerkung 53,
GUHL/MERZ/KUMMER, aaO S. 235, GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, Allgemeiner Teil OR,
N. 2200, ZOBL, aaO Nr. 1665, AMONN in BlSchK 43/1979 S. 133).

    Dieser Grundsatz, der unstreitig auch für die blosse
Sicherungsabtretung gilt, wird auch von der Klägerin anerkannt; sie
macht aber geltend, er bedürfe der Interessenabwägung im Einzelfall (BGE
106 II 378 f.). Sie schliesst daraus jedoch lediglich, dass auch eine
blosse Teilnichtigkeit möglich sein müsse, worauf später zurückzukommen
ist. Inwiefern die besondere Interessenlage unter den gegebenen Umständen
eine zeitlich und gegenständlich unbeschränkte Totalzession gerechtfertigt
habe, wird nicht darzutun versucht. Namentlich ging es vorliegend
nicht darum, einem bedrängten Schuldner mit Hilfe eines umfassenden
Zessionskredits eine Sanierung zu ermöglichen (HANS BERGMAIER, Die
Sicherungszession im Schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1945, S. 105;
zur Interessenlage auch BUCHER, Kreditsicherung durch Zession, S. 10,
und dort anschliessend GSELL, S. 24; KLEYLING, aaO S. 70), sondern um
einen Kredit für Automiete und damit um einen grundsätzlich laufend zu
finanzierenden Konsum.

    Die vorliegend streitige Abtretung ist eine zeitlich und gegenständlich
unbeschränkte Totalzession; mit den leicht abweichenden Formulierungen der
aufeinanderfolgenden Abtretungserklärungen wurden alle gegenwärtigen und
künftigen Guthaben und Forderungen erfasst und namentlich Lohn, Erwerb,
Provisionen, Spesen, Zinsen, Renten, Bankguthaben usw. aufgeführt. Die
Klägerin sieht zwar im Vorbehalt des betreibungsrechtlichen Notbedarfs,
der vorerst in der Zession enthalten war und später offenbar wegen Art. 325
OR unterblieb, eine Einschränkung; der Eingriff in die wirtschaftliche
Freiheit des Zedenten wird aber nicht dadurch geheilt, dass ihm wenigstens
das Existenzminimum gewahrt bleibt.

    Angewandt auf den vorliegenden Fall ergibt sich daher die Nichtigkeit
der streitigen Abtretungserklärung wegen Verstosses gegen Art. 27
Abs. 2 ZGB. Das steht durchaus im Einklang mit den Bedürfnissen des
Wirtschaftslebens, vermeidet doch gerade die Bankpraxis derartige
umfassende Zessionen durch Beschränkungen auf einen bestimmten
Geschäftsbetrieb oder Kundenkreis (EMCH/RENZ, Das Schweizerische
Bankgeschäft, 3. Auflage, S. 284 f., ALBISETTI et al., Handbuch des
Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, S. 294, GSELL bei Bucher,
Kreditsicherung durch Zession, S. 24 f., ZOBL, aaO N. 1666 ff.).

Erwägung 4

    4.- Für die Klägerin steht denn auch das Argument im Vordergrund, dass
der Verstoss gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB lediglich zu einer Teilnichtigkeit
führe, welche die streitige Forderung nicht erfasse. Nach dem angefochtenen
Urteil hat sie jedoch nicht näher dargetan, welches der zulässige Rahmen
wäre und inwiefern die streitige Forderung darunter falle. Ihr Einwand
könne allenfalls so verstanden werden, dass die Generalabtretung mindestens
als Lohnabtretung Bestand haben müsse, doch gehe es vorliegend nicht
um eine arbeitsvertragliche Lohnforderung von S.; dieser habe vielmehr
mit dem Beklagten selbständige, auftragsrechtliche Geschäftsbeziehungen
mit gegenseitigen Druckaufträgen und Kundenvermittlung unterhalten, was
nicht unter eine (zulässige) Lohnzession falle. Zudem sei dem Beklagten
ausdrücklich eine Lohnzession notifiziert worden, die er nicht auf die
streitige Forderung habe beziehen müssen.

    Die Vorinstanz geht zutreffend, wenn auch stillschweigend davon
aus, dass die Verletzung von Art. 27 Abs. 2 ZGB auch zu einer blossen
Teilnichtigkeit und Beschränkung der Abtretung auf das zulässige Mass
führen kann (BGE 106 II 379 E. 4 mit Hinweisen; ZOBL, aaO N. 1685). Der
Beklagte schliesst aus dem angefochtenen Urteil, dass die Klägerin
vor Bundesgericht unzulässige neue Behauptungen aufstelle. Dem
ist entgegenzuhalten, dass das Obergericht immerhin eventuell auf
entsprechendes Vorbringen der Klägerin eintritt und dazu Stellung
nimmt. Das muss auch für das Bundesgericht gelten, wobei offenbleiben
kann, wie weit einzelne der tatsächlichen Ausführungen in der Berufung
als solche gegen das Novenverbot verstossen (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).

    Die Klägerin will aufgrund von Art. 20 Abs. 2 OR die Gültigkeit der
Abtretung unter Hinweis auf BGE 85 I 30 E. 13h insoweit anerkannt wissen,
als diese sich auf Forderungen aus selbständiger oder unselbständiger
Arbeitsleistung (Lohn, Provisionen, Honorare usw.) beziehe (zum Umfang
der Lohnabtretung auch STAEHELIN, N. 10 zu Art. 325 OR). Sie rügt sodann
als aktenwidrig, dass sie sich dem Beklagten gegenüber nur auf eine
Lohnabtretung berufen habe; vielmehr habe sie nach erfolgter Aufklärung in
einem weiteren Schreiben vom 16. März 1983 ausdrücklich auf die umfassende
Zession hingewiesen. Schliesslich wird dargelegt, dass die Mietverträge
auch bei Kenntnis der Teilnichtigkeit geschlossen worden wären.

    Das alles scheint unbestritten zu sein, ist aber unerheblich. Würde
nämlich eine solche Teilnichtigkeit der Zession zugelassen, so würde dies
im Zeitpunkt der Entstehung oder Geltendmachung der abgetretenen Forderung
zu einer Unsicherheit führen, welche auch mit gemilderten Anforderungen an
die Bestimmbarkeit im Sinne der genannten Autoren nicht mehr vereinbar
wäre. Da die Nichtigkeit aus der totalen Abtretung aller denkbaren
Forderungen folgt, wäre für den in Anspruch genommenen Drittschuldner
nicht ersichtlich, ob die ihm gegenüber geltend gemachte Forderung davon
erfasst oder aufgrund blosser Teilnichtigkeit davon ausgenommen wäre. Wie
die Klägerin vorliegend aus Art. 20 Abs. 2 OR die Gültigkeit der Abtretung
wenigstens für Erwerbseinkommen ableiten will, könnte sie ebensogut, wenn
sie auf Zins- oder Rentenansprüche greifen wollte, zumindest diese als
gültig ausgeben; im konkreten Streitfall wäre daher die grundsätzliche
Nichtigkeit der Totalabtretung stets unwirksam. Es versteht sich von
selbst, dass das unerträglich wäre, könnte doch auf diese Weise das
Verbot der Totalzession gänzlich illusorisch gemacht werden. Das muss zur
Abweisung der Klage und zur Bestätigung des angefochtenen Urteils führen.

Erwägung 5

    5.- Bei diesem Ausgang kann offenbleiben, ob die Klage auch deshalb
abzuweisen wäre, weil die Klägerin ihre Ansprüche aus der Zession erst
etwa drei Jahre nach Ablauf der Mietverträge und nach dem Konkurs von S.
geltend gemacht hat.