Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 II 211



112 II 211

35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Juni 1986 i.S.
Zweifel gegen Ricklin (Berufung) Regeste

    Bäuerliches Erbrecht (Art. 620 Abs. 2 ZGB).

    Bei der Beurteilung der Frage, ob eine ausreichende landwirtschaftliche
Existenz gegeben sei, darf Eigen- oder Pachtland des ansprechenden Erben
nur berücksichtigt werden, wenn es schon zu Lebzeiten des Erblassers
zusammen mit dessen Gewerbe als wirtschaftliche Einheit bewirtschaftet
worden war (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Zum Nachlass des am 6. Februar 1975 verstorbenen Magnus
Zahner gehören die beiden Parzellen Nrn. 268 und 448 des Grundbuches
Gommiswald. Mit einer Teilungsklage beantragte der Erbe Franz Ricklin,
die beiden Grundstücke seien ihm zum Ertragswert zuzuweisen. Das
Bezirksgericht See und das Kantonsgericht St. Gallen (I. Zivilkammer)
haben diesem Begehren durch Entscheide vom 18. September 1984 bzw.
vom 1. Oktober 1985 stattgegeben.

    Der Beklagte Franz Zweifel hat das kantonsgerichtliche Urteil
mit Berufung beim Bundesgericht angefochten. Er stellt den Antrag, die
Liegenschaften des Erblassers in Gommiswald seien öffentlich, allenfalls
unter den Erben, zu versteigern und es sei der Nettoerlös gemäss den
gesetzlichen Quoten unter den Erben zu teilen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss der am 15. Februar 1973 in Kraft getretenen Neufassung
des Art. 620 Abs. 2 ZGB können zur Beurteilung, ob eine ausreichende
landwirtschaftliche Existenz (im Sinne von Art. 620 Abs. 1 ZGB) gegeben
sei, Anteile an Liegenschaften und für längere Dauer mitbewirtschaftete
Liegenschaften berücksichtigt werden. Entgegen der früheren Praxis muss
sich das erwähnte Erfordernis für eine Integralzuweisung damit nicht
mehr allein aus dem in der Erbschaft befindlichen landwirtschaftlichen
Gewerbe ergeben. Bei der Neufassung von Art. 620 Abs. 2 ZGB wurde in
erster Linie an den Fall gedacht, da der Erblasser seit langem und noch
für lange Zeit ein Grundstück zu seinem Gewerbe hinzugepachtet hatte
(BGE 104 II 257). In Übereinstimmung mit neueren Lehrmeinungen hat das
Bundesgericht entschieden, dass auch Grundstücke, die im Eigentum des
Ansprechers stünden oder die dieser gepachtet habe, zu berücksichtigen
seien. Es wurde jedoch festgehalten, dass das Land schon vor dem Tod
des Erblassers nicht nur erworben bzw. in Pacht genommen, sondern auch
zusammen mit dem Gewerbe des Erblassers bewirtschaftet worden sein
müsse (vgl. BGE 107 II 321 ff. E. 4). Diese Betrachtungsweise wird
im Schrifttum allgemein geteilt (vgl. ESCHER, Ergänzungslieferung zum
landwirtschaftlichen Erbrecht, N. 6 zu Art. 620 ZGB; NEUKOMM/CZETTLER,
Das bäuerliche Erbrecht, 5. A., S. 63; SCHNYDER, in: ZBJV 119/1983,
S. 89; STUDER, Die Integralzuweisung landwirtschaftlicher Gewerbe nach
der Revision des bäuerlichen Zivilrechts von 1972, 2. A., S. 112 f.;
TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 9. A., S. 476).

Erwägung 4

    4.- Eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der dargelegten
Rechtsprechung ist hier nicht gegeben, zumal der Kläger die beiden
Nachlass-Parzellen Nrn. 268 und 448 nach den Feststellungen des
Kantonsgerichts nie bewirtschaftet hat. Die Vorinstanz verkennt diese
Tatsache nicht; sie ist jedoch der Ansicht, dass es sich rechtfertige,
Art. 620 Abs. 2 ZGB (in Ausdehnung der bisherigen Rechtsprechung) trotzdem
anzuwenden und die klägerischen Grundstücke bei der Beurteilung der
Frage, ob die strittigen Parzellen eine ausreichende landwirtschaftliche
Existenz zu bieten vermöchten, zu berücksichtigen. Ihre Annahme, die von
ihr angeführten Autoren würden den gleichen Standpunkt vertreten, ist
indessen unzutreffend. HOTZ (Bäuerliches Grundeigentum, in: ZSR 98/1979
II S. 195) geht davon aus, dass die Berechnungsgrundlage für die Frage der
ausreichenden Existenz auf Pacht- und Eigenland des möglichen Übernehmers
ausgedehnt werden dürfe, soweit solches zusammen mit dem Erbschaftskomplex
eine Einheit bilde. Aus dem Zusammenhang heraus kann diese Äusserung
vernünftigerweise nur dahin ausgelegt werden, dass auch nach diesem
Autor die (wirtschaftliche) Einheit bereits zu Lebzeiten des Erblassers
bestanden haben muss. Eindeutig dieser Ansicht sind andererseits auch
NEUKOMM/CZETTLER (aaO S. 63), wenn sie von Liegenschaften des Bewerbers
sprechen, die seit längerer Zeit und für längere Dauer mitbewirtschaftet
würden. Diese beiden Autoren verwerfen zudem ausdrücklich die von KELLER
(in: Blätter für Agrarrecht 1973, S. 38 f., und 1976, S. 8 f.) vertretene
Auffassung, wonach auch Grundstücke in Betracht fielen, die nicht
zusammen mit dem Gewerbe des Erblassers bewirtschaftet worden seien
und die der Bewerber erst nach dem Tod des Erblassers zugepachtet habe
(vgl. NEUKOMM/CZETTLER, aaO S. 62 Anm. 88).

    Eine Ausweitung der Anwendung von Art. 620 Abs. 2 ZGB auf einen
Fall wie den vorliegenden findet sodann auch in den Materialien keine
Stütze. Den parlamentarischen Beratungen ist vielmehr zu entnehmen,
dass man einhellig davon ausging, dass Pachtverhältnisse ausser Betracht
zu bleiben hätten, wenn sie im Zeitpunkt des Erbgangs noch gar nicht
abgeschlossen waren. Damit sollten spekulative Geschäfte - die durch
(unter Umständen rein gefälligkeitshalber ermöglichte) Zupachten nach
Eröffnung des Erbganges verwirklicht werden könnten - verhindert
werden. Ausserdem war im Parlament darauf hingewiesen worden, dass
man bei der Formulierung des Gesetzestextes bestrebt gewesen sei, die
(im erwähnten Sinn) beschränkte Berücksichtigung von mitbewirtschafteten
Liegenschaften zum Ausdruck zu bringen (vgl. Amtl.Bull. StR 1971, S. 403;
Amtl.Bull. NR 1972 I, S. 1171).

    Ein Missbrauch dürfte hier freilich auszuschliessen sein, zumal der
Kläger immerhin über gut 6,5 ha Eigenland verfügt und von dem rund 4 ha
umfassenden Pachtland nicht gesagt werden kann, es sei nur im Hinblick
auf die Teilung des Nachlasses von Magnus Zahner gepachtet worden. Dies
vermag am Gesagten indessen nichts zu ändern, da aufgrund des Gesetzes Land
eines Ansprechers, das mit dem Gewerbe des Erblassers keine wirtschaftliche
Einheit gebildet hatte, auch dann nicht berücksichtigt werden kann, wenn
jener dartut, dass kein Missbrauch vorliege. Es ist durchaus einzuräumen,
dass die vorinstanzliche Betrachtungsweise der in Art. 1 EGG verankerten
agrarpolitischen Zielsetzung entspricht, die Schaffung und Erhaltung
landwirtschaftlicher Betriebe zu begünstigen. Indessen kann die erwähnte
Gesetzesbestimmung hier nicht uneingeschränkt herangezogen werden,
da das bäuerliche Erbrecht Sonderrecht darstellt, bei dessen Anwendung
Zurückhaltung geboten ist. Angesichts der oben dargelegten Umstände geht
es auf jeden Fall nicht an, im Sinne des kantonsgerichtlichen Urteils,
d.h. auf dem Wege der Rechtsprechung, dem agrarpolitischen Zweck, der
dem bäuerlichen Erbrecht zugrunde liegt, gegenüber dem im allgemeinen
Erbrecht statuierten Anspruch der Gleichbehandlung aller Erben in noch
stärkerem Masse den Vorrang zu geben (vgl. BGE 107 II 323 oben).

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