Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 606



112 Ib 606

86. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 29. Dezember 1986 i.S. Dr. X. gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 10 des Staatsvertrages mit den Vereinigten Staaten von Amerika
über Rechtshilfe in Strafsachen; Aussagepflicht des Anwalts.

    Der Anwalt kann im Rechtshilfeverfahren nicht unter Berufung auf das
Berufsgeheimnis bzw. das entsprechende Zeugnisverweigerungsrecht Auskünfte
über vertrauliche Tatsachen verweigern, die er im Zusammenhang mit einer
Tätigkeit erfahren hat, die sich in einer blossen Vermögensverwaltung
oder Geldanlage erschöpft.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    b) Art. 321 StGB stellt u.a. die Verletzung des Berufsgeheimnisses
durch Rechtsanwälte unter Strafe. Diese Bestimmung wurde erlassen, um
die Ausübung der darin aufgezählten Berufe im öffentlichen Interesse zu
erleichtern, und findet ihre Rechtfertigung in der Überlegung, dass diese
Berufe nur dann richtig und einwandfrei ausgeübt werden können, wenn
das Publikum auf Grund einer unbedingten Garantie der Verschwiegenheit
das unentbehrliche Vertrauen zum Inhaber des Berufes hat (BGE 87 IV 108
E. 2b). Bei der Beziehung zwischen Anwalt und Klient muss vorausgesetzt
werden dürfen, dass der Klient voll auf die Verschwiegenheit des Anwalts
vertrauen darf. Wenn der Klient sich ihm nicht rückhaltslos anvertraut
und ihm nicht Einblick in alle erheblichen Verhältnisse gewährt, so ist
es für den Anwalt schwer, ja unmöglich, den Klienten richtig zu beraten
und ihn im Prozess wirksam zu vertreten. Soll der Anwalt auf das für ihn
notwendige Vertrauen zählen können, setzt dies daher voraus, dass ihm
ein Zeugnisverweigerungsrecht in bezug auf diejenigen Tatsachen zusteht,
die ihm infolge seines Berufes anvertraut worden sind oder die er in
dessen Ausübung wahrgenommen hat. Andernfalls müsste der Klient damit
rechnen, dass der von ihm beigezogene Anwalt eines Tages möglicherweise
zur Preisgabe der ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauten
Tatsachen gezwungen würde, obwohl dem Klient selber möglicherweise
in bezug auf diese Tatsachen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen
könnte (vgl. dazu BGE 91 I 205/206 E. 3 mit Hinweisen). Dass mit diesem
Zeugnisverweigerungsrecht die Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung
möglicherweise erhöht werden, muss in einem Rechtsstaat in Kauf genommen
werden.

    Im Hinblick auf diese Konsequenzen und die für den Geheimnisträger
bestehende Verpflichtung zur Geheimniswahrung erstreckt sich das
Berufsgeheimnis, wie der Wortlaut von Art. 321 StGB deutlich zeigt,
nur auf Tatsachen, die der Klient seinem Anwalt anvertraut, um ihm die
Ausübung des Mandates zu ermöglichen, oder die der Anwalt in Ausübung
seines Berufes wahrnimmt. Insoweit dürfen die Geheimnisse weder durch
mündliche oder schriftliche Mitteilung noch indirekt durch Aushändigung
von Schriftstücken oder andern Sachen, die das Geheimnis betreffen,
verraten werden. Es handelt sich hiebei um eine strikte Verpflichtung,
die auch nach der Aufhebung der vertraglichen Beziehungen zwischen
Anwalt und Klient weiterbesteht; dabei ist bedeutungslos, ob diese
Beziehungen infolge von Erfüllung, Kündigung oder Widerruf des Mandats,
Tod des Mandanten oder andern Umständen enden (vgl. BGE 87 IV 107 E. 2
mit Hinweisen; RStrS 1973 S. 25/26 Nr. 455). Auf der andern Seite ist der
Anwalt nicht zur Verschwiegenheit bezüglich solcher Tatsachen gehalten,
die er als Privatperson wahrgenommen hat oder die allgemein bekannt sind,
so dass der Klient zum vornherein kein Interesse haben kann, sie gegenüber
irgendwem geheimzuhalten (vgl. BGE 101 Ia 11/12 E. 5c mit Hinweisen;
75 IV 73/74 E. 1). In gleicher Weise ist beim Anwaltsgeheimnis und
dem damit korrespondierenden Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts
zwischen Anwalts- und Geschäftstätigkeit zu unterscheiden. Diese
Unterscheidung drängt sich namentlich in Fällen auf, in denen der Anwalt
ein Verwaltungsratsmandat bekleidet. Überwiegt in diesen Fällen das
kaufmännische Element derart, dass die Tätigkeit des Anwalts nicht mehr
als eine anwaltliche betrachtet werden kann, kann sich das Berufsgeheimnis
auf diese Tätigkeit jedenfalls nicht in einem umfassenden Sinn erstrecken
(vgl. hiezu den nicht veröffentlichten BGE vom 2. Juni 1986 i.S. M.; PETER
BÖCKLI, Anwaltsgeheimnis und Fiskus im Rechtsstaat, in: Mitteilungen des
Schweizerischen Anwaltsverbandes 1979, Nr. 64, S. 12 und 14; ALBERT-LOUIS
DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat,
in derselben Zeitschrift, 1986, Nr. 101, S. 22 ff.). Im Bereiche des
ärztlichen Berufsgeheimnisses hat das Bundesgericht eine Verletzung
desselben durch einen Arzt verneint, der, von der zuständigen IV-Kommission
mit einer medizinischen Abklärung des Beschwerdeführers betraut, dessen
schriftlich angebrachte Zweifel an der Zweckmässigkeit der Untersuchung
der Kommission zur Kenntnis brachte. Das Bundesgericht erwog, die vom
Beschwerdeführer geäusserten Zweifel seien nicht im Rahmen der zwischen
Arzt und Patient bestehenden besonderen Beziehungen erfolgt (BGE 106 IV
132 E. 2).

    c) Diese Beispiele zeigen, dass die Entscheidung darüber, welche
Tatsachen vom Berufsgeheimnis umfasst werden, nicht schematisch,
sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des
Einzelfalles getroffen werden kann. Dabei ist in jedem Fall zu prüfen,
ob die Tätigkeit des Anwalts im Zeitpunkt, in dem ihm die strittigen
Tatsachen anvertraut wurden, tatsächlich eine anwaltliche war. Hat
der Anwalt vertrauliche Tatsachen im Zusammenhang mit einer privaten,
politischen, sozialen oder einer andern, nicht berufsspezifischen
Tätigkeit erfahren, steht insoweit das Berufsgeheimnis und das damit
korrespondierende Zeugnisverweigerungsrecht einer Auskunftserteilung
nicht entgegen. Dabei sind zu den nicht berufsspezifischen Tätigkeiten
namentlich auch Vermögensverwaltungen oder die Anlage von Geldern zu
zählen, dies jedenfalls dann, wenn sie nicht mit einem zur normalen
Anwaltstätigkeit gehörenden Mandat - so z.B. mit einer Güterausscheidung
oder einer Erbteilung - verbunden sind. Von diesen Ausnahmen abgesehen
stellen die erwähnten Tätigkeiten Aktivitäten dar, die normalerweise von
Vermögensverwaltern, Treuhandbüros oder Banken wahrgenommen werden und
nicht unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses stehen. Wollte man die
Dinge anders betrachten, so hätte es ein Beschuldigter in der Hand, durch
Einschaltung eines Anwalts als Mittelsmann einen Erlös aus einer Straftat
unter Umständen dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen.

    d) Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der eigenen
Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers in seiner
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass sich Y. einzig an ihn gewandt
hatte, um die streitigen Gelder - allenfalls mittels Errichtung einer
Familienstiftung nach Liechtensteiner Recht - anzulegen. Diese Geldanlage
stellt eine Tätigkeit dar, bei der das kaufmännische Element überwiegt und
die auch regelmässig von Banken und Treuhandbüros wahrgenommen wird. Nach
dem Gesagten geniesst sie deshalb nicht den Schutz des Anwaltsgeheimnisses
bzw. des entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechts. Bei dieser Sachlage
kann offenbleiben, ob eine Bank, die von einem Anwalt Geld eines
Klienten erhält, als dessen Hilfsperson im Sinne von Art. 321 StGB gelten
kann. Ebenso stösst die Rüge des Beschwerdeführers, es werde ihm entgegen
dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit eine Verletzung der Standesregeln
zugemutet, ins Leere.