Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 381



112 Ib 381

62. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24.
Oktober 1986 i.S. X. und Y. AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Warenumsatzsteuer auf Lieferungen von historischen Wertpapieren
(Art. 17 WUStB).

    1. Die Ausnahmebestimmung von Art. 17 Satz 2 WUStB findet auf
historische Wertpapiere keine Anwendung; sie gelten als steuerpflichtige
Waren im Sinne von Art. 17 Satz 1 WUStB (E. 3).

    2. Der von der Eidgenössischen Steuerverwaltung gegenüber
Briefmarkenhändlern gehandhabte generelle Verzicht auf die Erhebung der
Warenumsatzsteuer ist gesetzwidrig (E. 4).

    3. Für eine Ungleichbehandlung der Händler mit historischen
Wertpapieren gegenüber den Briefmarkenhändlern ergeben sich in bezug auf
die Warenumsatzsteuer keine sachlichen Gründe (E. 5).

    4. Die Voraussetzungen für eine Gleichbehandlung im Unrecht sind im
vorliegenden Fall nicht erfüllt (E. 6).

Sachverhalt

    A.- X. ist Inhaber der Einzelfirma Galerie Z. Die Galerie betreibt
den Handel mit Briefmarken, Banknoten und sogenannten historischen
Wertpapieren. Geschäftszweck der Y. AG ist der Engroshandel mit
historischen Wertpapieren.

    Die Eidgenössische Steuerverwaltung stellte die grundsätzliche
Steuerpflicht von X. und der Y. AG hinsichtlich ihrer Umsätze aus
dem Handel mit historischen Wertpapieren fest. Unter Berufung auf den
von der Eidgenössischen Steuerverwaltung gegenüber Briefmarkenhändlern
gehandhabten generellen Verzicht auf die Erhebung der Warenumsatzsteuer
verlangen X. und die Y. AG die Befreiung von der Steuerpflicht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde von X. und der Y. AG gegen
den Einsprache-Entscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung ab aus
den folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach der Legaldefinition des Art. 17 WUStB gilt als
Ware, was Gegenstand eines Fahrniskaufes (Art. 187 OR) oder eines
Energielieferungsvertrages sein kann. Ausgenommen sind, solange sie als
solche verwendet werden, Wertpapiere, Banknoten, Papiergeld, Geldsorten,
Lotterielose und inländische amtliche Wertzeichen.

    Der von den Beschwerdeführern verwendete Begriff "Historisches
Wertpapier" weist darauf hin, dass sich diese Wertpapiere durch bestimmte
Spezialitäten (hohes Alter, Seltenheit, Aufmachung, besonderes Sujet)
von gewöhnlichen Wertpapieren unterscheiden und wegen dieser besonderen
Merkmale nicht mehr in ihrer eigentlichen Funktion als Wertpapier (als
Träger eines Rechtes), sondern als Sammlerobjekt und damit als Ware
gehandelt werden. Sie fallen folglich nicht unter die Ausnahmebestimmung
von Art. 17 Satz 2 WUStB. Daran vermag auch der von den Beschwerdeführern
erwähnte Umstand nichts zu ändern, dass bei einzelnen der von ihnen
gehandelten Titel noch die hypothetische Möglichkeit bestehen mag,
sie in ihrer eigentlichen Funktion als Wertpapier zu verwenden. Es
ist ohne weiteres ersichtlich, dass die Wertpapiere im Zeitpunkt der
Engroslieferung an einen Wiederverkäufer von historischen Wertpapieren als
Ware im Sinne von Art. 17 Satz 1 WUStB gehandelt werden. Auch im Rahmen des
Galeriebetriebes des Beschwerdeführers X. erfolgt die Weiterveräusserung
der Wertpapiere grundsätzlich als Sammlerobjekt. Im übrigen vermögen
die Beschwerdeführer nicht nachzuweisen, dass der von ihnen erwähnte
hypothetische Ausnahmefall in der Praxis tatsächlich vorkommt und dass
derartige Verkäufe einen Umfang annehmen, der ihre Steuerpflicht als
Grossisten in quantitativer Hinsicht in Frage stellen könnte.

Erwägung 4

    4.- Die Eidgenössische Steuerverwaltung verzichtet bei aus dem
Handel mit Briefmarken erzielten Umsätzen generell auf die Erhebung
der Warenumsatzsteuer. Die Steuerverwaltung begründet diese Praxis mit
erhebungstechnischen Schwierigkeiten und den sich daraus ergebenden
Rechtsungleichheiten zwischen den einzelnen Briefmarkenhändlern.

    Gemäss Art. 17 Satz 2 WUStB sind die inländischen amtlichen
Postwertzeichen - entsprechend den Wertpapieren - so lange von der
Qualifikation als warenumsatzsteuerpflichtige Waren ausgenommen, als
sie als solche verwendet werden. Folglich müssen alle inländischen
Briefmarken, die nicht als Postwertzeichen, sondern als Sammlerobjekte
gehandelt werden, und grundsätzlich sämtliche ausländische Briefmarken
aufgrund von Art. 17 Satz 1 WUStB als warenumsatzsteuerpflichtige Waren
angesehen werden. Soweit ein Briefmarkenhändler die in Art. 9 WUStB
umschriebenen quantitativen Voraussetzungen erfüllt, wäre er folglich als
steuerpflichtiger Grossist im Register der Warenumsatzsteuerpflichtigen
einzutragen. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vertretene
Auffassung, dass wegen erhebungstechnischer Schwierigkeiten auf die
Warenumsatzsteuer aus dem Briefmarkenhandel generell zu verzichten sei,
findet weder im Bundesratsbeschluss selbst noch in einem allgemeinen
Rechtsgrundsatz eine Stütze; insbesondere kann die Verwaltung nicht
aus Gründen der Praktikabilität vom Erfordernis der Gesetzmässigkeit
abweichen. Aufgrund des klaren Wortlautes von Art. 17 WUStB sind die
aus dem Handel mit Briefmarken zu Sammelzwecken erzielten Umsätze
als warenumsatzsteuerpflichtig anzusehen. Der von der Eidgenössischen
Steuerverwaltung gegenüber Briefmarkenhändlern generell gehandhabte
Verzicht auf die Erhebung der Warenumsatzsteuer erweist sich folglich
als gesetzwidrig.

    Sollten die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung behaupteten
erhebungstechnischen Schwierigkeiten tatsächlich bestehen, bestünde
im übrigen die Möglichkeit, im Rahmen von Art. 34 Abs. 2 WUStB eine
annäherungsweise Ermittlung des steuerpflichtigen Umsatzes vorzunehmen;
diese Möglichkeit kann jedoch nicht Grundlage für einen generellen Verzicht
auf die Steuererhebung bilden.

Erwägung 5

    5.- Unter Berufung auf die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung
gegenüber Briefmarkenhändlern gehandhabte gesetzwidrige Praxis verlangen
die Beschwerdeführer, dass sie für ihre aus dem Handel mit historischen
Wertpapieren erzielten Umsätze von der Warenumsatzsteuer befreit werden.

    Ein derartiger Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht setzt in
erster Linie voraus, dass sich für eine Ungleichbehandlung der Händler
mit historischen Wertpapieren gegenüber den Briefmarkenhändlern keine
sachlichen Gründe ergeben.

    a) Ein gewichtiges Indiz für eine Gleichbehandlung ergibt sich aus
dem Umstand, dass gemäss Art. 17 Satz 2 WUStB sowohl der Handel mit
Briefmarken als auch mit Wertpapieren, solange sie als solche verwendet
werden, nicht mit der Warenumsatzsteuer belastet werden soll. Während die
Ausnahmebehandlung bei den Briefmarken jedoch darauf zurückzuführen ist,
dass die von den öffentlichrechtlichen Körperschaften oder Anstalten in
Ausübung ihrer Amtsbefugnis erzielten Umsätze nicht der Warenumsatzsteuer
unterliegen sollen (LOOSLI, Der Begriff der Warenlieferung bei der
Eidgenössischen Warenumsatzsteuer, Diss. Zürich 1949, S. 33; GURTNER,
Die Umsatzsteuer auf baugewerblichen Leistungen, Diss. Bern 1947, S. 17;
vgl. dazu auch METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, 1983, S. 136),
soll bei den Wertpapieren eine allzu starke Belastung des mit der viel
geringeren Stempelabgabe belegten Effektenhandels vermieden werden. Aus
der gleichzeitigen Nennung von Briefmarken und Wertpapieren in Art. 17
Satz 2 WUStB kann folglich nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden,
dass für eine unterschiedliche Behandlung keine sachlichen Gründe gegeben
sind. Immerhin ist jedoch ersichtlich, dass für die Steuerbefreiung
der Briefmarken und Wertpapiere das Kriterium der Wertpapierqualität im
zivilrechtlichen Sinne ohne Bedeutung ist.

    b) Briefmarken und Wertpapiere haben insofern Gemeinsamkeiten,
als beide Objekte durch bestimmte Qualitäten - wie Alter, Seltenheit,
Aufmachung - von ihrer ursprünglichen Funktion entfremdet zum
Sammlerobjekt werden können und dabei Handelspreise erzielen, die vom
Wert als Postwertzeichen oder als Wertpapier in der eigentlichen Funktion
erheblich abweichen. Beide Sammlerobjekte zeichnen sich alsdann dadurch
aus, dass neben sehr seltenen und besonders wertvollen Objekten sog.
Massenware mit niedrigem Stückpreis angeboten wird. Aus den Akten ist
beispielsweise ersichtlich, dass die im September 1981 vom Beschwerdeführer
X. aus den USA eingeführten historischen Wertpapiere mit einem Kilopreis
von durchschnittlich ca. Fr. 6.-- (inklusive Frachtkosten) deklariert
worden sind.

    Im übrigen erscheint aufgrund dieser Angaben kaum zweifelhaft,
dass nicht nur bei Briefmarken - wie die Eidgenössische Steuerverwaltung
behauptet -, sondern auch bei historischen Wertpapieren bei der Einfuhr
in die Schweiz die Bewertung der Lieferung mit einem erheblichen
administrativen Aufwand verbunden sein kann und wertvolle Einzelstücke
leicht unbemerkt unter Hinterziehung der Steuern ins Inland mitgebracht
werden können.

    Hinsichtlich der gehandelten Objekte ist folglich davon auszugehen,
dass keine wesentlichen Unterschiede bestehen, die eine ungleiche
Behandlung hinsichtlich der Warenumsatzsteuer rechtfertigen könnten.

    c) Bezüglich der Marktsituation ergeben sich keine sachlichen Gründe
für eine Ungleichbehandlung: Der Tauschhandel privater Sammler schafft -
soweit überhaupt eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt und die quantitativen
Voraussetzungen des Art. 9 WUStB erfüllt sind - wegen der privaten
Abwicklung bei beiden Objekten die gleichen Erfassungsprobleme. Die
Beschwerdeführer sind jedoch nicht als private Tauschhändler anzusehen,
sondern als gewerbsmässige Händler mit einem Angebot, das sich an Sammler
bzw. an andere Händler von historischen Wertpapieren richtet. Im Rahmen
dieser Geschäftstätigkeit sind die Beschwerdeführer ohne weiteres mit
einem Briefmarkenhändler auf der Detail- bzw. auf der Engroshandelsstufe
zu vergleichen; auch der gewerbsmässige Briefmarkenhändler richtet sein
Angebot an Sammler bzw. an andere Händler von Briefmarken zu Sammelzwecken.

    Es ist der Eidgenössischen Steuerverwaltung zwar zuzugeben, dass
sich der Briefmarkenmarkt durch den Briefmarkenverkauf der PTT-Betriebe,
der Postwertzeichenstelle des Fürstentums Liechtenstein und der in
der Schweiz domizilierten internationalen Organisationen vom Markt mit
historischen Wertpapieren unterscheidet. Es ist jedoch nicht ersichtlich,
wie die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung in diesem Zusammenhang
erwähnten erhebungstechnischen Schwierigkeiten eine Ungleichbehandlung
von Händlern mit historischen Wertpapieren gegenüber privaten Händlern
mit Briefmarken zu Sammelzwecken zu begründen vermögen.

    d) Schliesslich ergeben sich auch bezüglich der Geschäftstätigkeit
keine Unterschiede, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen
könnten. Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung in diesem
Zusammenhang geschilderten Erfassungsprobleme - aufgrund der Vielzahl
von formlosen Einzelgeschäften mit kleinsten Beträgen - ergeben sich beim
Verkauf jeder Handelsware mit niedrigem Stückpreis und rechtfertigen keine
Sonderbehandlung der Briefmarkenhändler. Mit Hilfe einer gebräuchlichen
Registrierkasse wäre der Grossteil der steuerpflichtigen Briefmarkenhändler
ohne weiteres in der Lage, über den steuerpflichtigen Umsatz verlässliche
und überprüfbare Angaben zu liefern. Im übrigen ist aufgrund der
Zahlenangabe unter E. 5b davon auszugehen, dass auch historische
Wertpapiere teilweise zu niedrigen Stückpreisen gehandelt werden, sich
folglich die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung geltend gemachten
erhebungstechnischen Schwierigkeiten in einem gewissen Umfang auch im
Bereich der historischen Wertpapiere stellen würden.

    Probleme der Erfassung der steuerpflichtigen Umsätze ergeben sich bei
jeder weitgehend formlosen Geschäftstätigkeit. Ob diese jedoch Briefmarken,
historische Wertpapiere, Antiquitäten oder Trödlerwaren zum Gegenstand
hat, vermag für sich alleine keine unterschiedliche Behandlung in bezug
auf die Warenumsatzsteuer zu rechtfertigen.

    In ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht weist die Eidgenössische
Steuerverwaltung schliesslich auf die sich bei Briefmarkenhändlern
ergebenden besonderen Abgrenzungsprobleme zwischen ihrer Tätigkeit
als Händler- bzw. Herstellergrossist hin. Es ist indessen nicht
auszuschliessen, dass derartige Abgrenzungsprobleme im gleichen
Umfang auch bei den Beschwerdeführern bestehen. Auch der Händler mit
historischen Wertpapieren wird darum bemüht sein, seine Ware in einer
möglichst ansprechenden Aufmachung zum Verkauf anzubieten; dafür können
jedoch - entsprechend wie beim Briefmarkenhändler - Bearbeitungen der Ware
notwendig sein, die über den Rahmen der Tätigkeit eines Händlergrossisten
hinausgehen.

Erwägung 6

    6.- Für eine Ungleichbehandlung der Händler mit historischen
Wertpapieren gegenüber den Briefmarkenhändlern sind bezüglich der
Warenumsatzsteuer keine sachlichen Gründe ersichtlich. Der im Widerspruch
zu den Bestimmungen des WUStB stehende generelle Verzicht auf die
Erhebung der Warenumsatzsteuer beim Briefmarkenhandel stellt gegenüber
dem warenumsatzsteuerpflichtigen Handel mit historischen Wertpapieren
eine gegen Art. 4 BV verstossende Ungleichbehandlung dar.

    Die festgestellte Verletzung von Art. 4 BV führt vorliegend
jedoch nicht zur Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht der Grundsatz der
Gesetzmässigkeit der Verwaltung in der Regel der Rücksicht auf die
gleichmässige Rechtsanwendung vor. Der Umstand, dass das Gesetz in
anderen Fällen nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, gibt dem
Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ebenfalls abweichend vom
Gesetz behandelt zu werden. Das gilt jedoch nur, wenn lediglich in einem
einzigen oder in einigen wenigen Fällen eine abweichende Behandlung
dargetan ist. Wenn es hingegen die Behörden ablehnen, die in anderen
Fällen ausgeübte gesetzwidrige Praxis aufzugeben, kann der Bürger unter
bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung,
die dem Dritten zuteil wurde, auch ihm gewährt wird (BGE 110 II 400 E. 2;
BGE 108 Ia 214 mit Verweisungen).

    Die Eidgenössische Steuerverwaltung ging bisher zu Unrecht
davon aus, dass sich der Briefmarkenhandel wesentlich vom Handel
mit historischen Wertpapieren unterscheidet. Das Bundesgericht hatte
vorliegend auch erstmals die Gelegenheit, die von der Eidgenössischen
Steuerverwaltung gegenüber Briefmarkenhändlern gehandhabte Praxis auf ihre
Vereinbarkeit mit dem WUStB zu überprüfen. Aufgrund der bundesgerichtlich
festgestellten Gesetzwidrigkeit dieser Praxis ist nicht auszuschliessen,
dass die Eidgenössische Steuerverwaltung ihre Praxis ändern und auch bei
Briefmarkenhändlern - soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind
- die Warenumsatzsteuer erheben wird. Unter diesen Umständen besteht im
jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung, die Beschwerdeführer gestützt auf
Art. 4 BV für ihre Umsätze aus dem Handel mit historischen Wertpapieren
zu befreien. Die Eidgenössische Steuerverwaltung ging folglich zu
Recht davon aus, dass die Beschwerdeführer aufgrund der von ihnen
deklarierten Umsatzzahlen als steuerpflichtige Grossisten im Register
der Warenumsatzsteuerpflichtigen einzutragen seien.