Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 154



112 Ib 154

27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23.
April 1986 i.S. X. und Y. gegen Gemeinde Obfelden, Zürcher Planungsgruppe
Knonaueramt, Spross Ga-La-Bau AG und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Immissionen aus dem Betrieb einer Abfalldeponie; Legitimation Dritter
zur Ergreifung von Rechtsmitteln im kantonalen Beschwerdeverfahren.

    1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht gegen den kantonalen Entscheid, der den Beschwerdeführern
die Legitimation im kantonalen Verfahren abspricht (E. 1a). Legitimation
der Beschwerdeführer vor dem Bundesgericht (Art. 103 lit. a OG - E. 1b).

    2. Die nähere Erfassung noch nicht existierender, erst zukünftiger
Immissionen ist nicht eine reine Rechtsfrage, sondern wesentlich eine
Frage der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes (E. 2).

    3. Anwohner einer Dorfstrasse, auf welcher der Lastwagenverkehr
infolge des Betriebs einer 900 m entfernten Abfalldeponie zunimmt, sind
von diesen Lärmimmissionen nicht stärker betroffen als jedermann. Sie
sind deshalb nicht legitimiert, die Bau- und Betriebsbewilligung für
die Abfalldeponie, welche unter anderem aufgrund von Art. 24 RPG erteilt
worden ist, anzufechten (E. 3).

Sachverhalt

    A.- In der Gemeinde Obfelden wurde im Gebiet "Tambrig", das gemäss
geltendem Zonenplan im übrigen Gemeindegebiet liegt, in früheren
Jahren eine Kiesgrube betrieben, die nun wieder aufgefüllt werden
soll. Die Spross Ga-La-Bau AG (hiernach: Firma Spross) erwarb vom
Grundeigentümer als Personaldienstbarkeit das alleinige Auffüllrecht
mit Muldenmaterial. Die Baudirektion des Kantons Zürich bewilligte am
15. August 1983 der Firma Spross unter Hinweis auf § 26 EG zum GSchG
vom 8. Dezember 1974 und gestützt auf § 2 lit. h der Verordnung des
Regierungsrates über den Gewässerschutz vom 22. Januar 1975 den Betrieb
einer Multikomponentendeponie. Der Gemeinderat Obfelden erteilte daraufhin
der Firma Spross am 18. Oktober 1983 die baurechtliche Bewilligung für
diese Deponie. Die Baubewilligung wurde von der Baudirektion gestützt
auf § 2 der Einführungsverordnung zum Bundesgesetz über die Raumplanung
(EV RPG) am 28. März 1984 genehmigt. Gegen diese Bewilligung erhoben
X. und Y. Rekurs. Die Baurekurskommission II des Kantons Zürich bejahte
die Legitimation der Beschwerdeführer, hiess das Rechtsmittel gut und
hob die angefochtene Baubewilligung auf. Darauf führten die Gemeinde
Obfelden, die Zürcher Planungsgruppe Knonaueramt und die Firma Spross
Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses verneinte die
Beschwerdebefugnis von X. und Y., hob den Entscheid der Baurekurskommission
II auf und stellte die vom Gemeinderat Obfelden erteilte Baubewilligung
wieder her. Das Gericht prüfte die Beschwerdebefugnis nach den Kriterien
von § 338a des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht
vom 7. September 1975 (PBG). Es anerkannte trotz der Distanz von ca. 900
m zwischen der Deponie und den Wohnhäusern von X. und Y. eine gewisse,
wenn auch nur indirekte räumliche Beziehung. Doch verneinte es, dass
der deponiebedingte zusätzliche Lastwagenverkehr auf der Dorfstrasse in
Obfelden merkliche, X. und Y. in rechtserheblichem Ausmass berührende
Sekundärimmissionen auslöse. Es fehle daher an einem schutzwürdigen
Anfechtungsinteresse, weshalb die Baurekurskommission die Legitimation
der beiden Einsprecher zu Unrecht bejaht habe.

    X. und Y. führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit
dem Begehren, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und
die Sache sei an dieses zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen. Die
Beschwerdeführer machen im wesentlichen geltend, das Gericht habe ihre
Legitimation im kantonalen Verfahren zu Unrecht verneint.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts ist auf
der Basis kantonalen Ausführungsrechts zum BG vom 8. Oktober 1971
über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung (GSchG) und zum
BG vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (RPG) ergangen. Soweit das
Raumplanungsgesetz des Bundes in Frage steht, fällt der Entscheid in den
Sachbereich von Art. 24 RPG, da die streitige Deponie nach der zur Zeit
geltenden kommunalen Zonenplanung im übrigen Gemeindegebiet liegt. Eine
Baubewilligung nach Art. 22 RPG, gegen die nur die staatsrechtliche
Beschwerde gegeben wäre, liegt deshalb nicht vor, weil die kantonale
Gesamtplanung mit der Festlegung des streitigen Gebietes als Auffüllgebiet
in der kommunalen Nutzungsplanung noch keine Konkretisierung erfahren
und mithin noch keine Verbindlichkeit für den Grundeigentümer erhalten
hat. Der Entscheid in der Sache wäre somit gemäss Art. 34 Abs. 1 RPG mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weiterziehbar. Die
Beschwerdeführer machen vor Bundesgericht geltend, das Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich habe Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG verletzt. Gemäss dieser
Bestimmung müsse das kantonale Recht in solchen Fällen die Legitimation
mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vor Bundesgericht gewährleisten. Sie rügen damit eine Verletzung von
Bundesrecht; die vorliegende Beschwerde ist zulässig.

    b) Die Beschwerdeführer sind Adressaten des angefochtenen
Entscheides. Indem dieser ihnen die Beschwerdebefugnis abspricht, sind
sie durch ihn beschwert und in ihren schutzwürdigen Interessen betroffen
(Art. 103 lit. a OG). Die übrigen Prozessvoraussetzungen sind gegeben;
auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Das Verwaltungsgericht ist gestützt auf eine Prognose zum Schluss
gekommen, der durch die Deponie "Tambrig" bedingte Lastwagenverkehr
mache eindeutig weniger als einen Zehntel der gesamten Bewegungen
dieses Fahrzeugtyps auf der Dorfstrasse von Obfelden aus. Zudem sei
die fahrzeugbedingte Lärmzunahme quantitativ auf weniger als 5% zu
veranschlagen. Die Beschwerdeführer machen gegen diese Voraussage geltend,
sie beruhe auf Annahmen, die aufgrund der Umstände des Falles auch anders
formuliert werden könnten. Sie sind der Meinung, das Verwaltungsgericht
hätte diejenigen als die massgebenden in Betracht ziehen müssen, die im
schlimmsten Fall mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Die
herrschende Ungewissheit dürfe sich nicht zulasten der Betroffenen
auswirken.

    Die nähere Erfassung noch nicht existierender, erst zukünftiger
Immissionen ist nicht eine reine Rechtsfrage, sondern wesentlich eine
Frage der Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes (vgl. dazu
FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 273
ff.). Da im vorliegenden Fall ein Gericht als Vorinstanz entschieden hat,
bindet dessen Sachverhaltsfeststellung das Bundesgericht, es sei denn,
jenes habe diesen offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt (Art. 105
Abs. 2 OG). Dass die letztgenannte Voraussetzung zutreffe, wird nicht
geltend gemacht. Es kann sich daher nur fragen, ob das Verwaltungsgericht
den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unvollständig festgestellt
hat. Das ist indessen nicht der Fall. Vorerst ist festzustellen,
dass es keine bundesrechtliche Regel gibt, die bei der Ungewissheit
künftiger Entwicklungen die Annahme derjenigen Variante vorschriebe,
die im schlimmsten Fall zu erwarten sei. Die vom Bundesrat bei der
Beurteilung der Auswirkungen von Kernkraftwerken in VPB 42/1978, Nr. 96,
E. 4, S. 429 ff. angestellten Überlegungen sind nicht als solche auf die
Erfassung aller zukünftiger Tatbestände anwendbar. Atomanlagen bringen
spezifische Risiken mit sich und enthalten ein Gefährdungspotential für
Leib und Leben der in ihrer Umgebung lebenden Menschen, das als besonders
hoch einzuschätzen ist. Die zu erwartenden Immissionen aus dem Betrieb
der Abfalldeponie "Tambrig" sind damit überhaupt nicht zu vergleichen. Es
ist deshalb keineswegs unhaltbar, wenn das Verwaltungsgericht seinen
Berechnungen nicht die schlimmstmöglichen Annahmen zugrunde gelegt hat,
sondern von statistisch ermittelten Durchschnitts- und Prozentzahlen
ausgegangen ist. Es versteht sich von selbst, dass dabei von gewissen,
auch noch möglichen Differenzierungen abgesehen werden muss. Im übrigen
behaupten die Beschwerdeführer selbst nicht, dieses Vorgehen des Gerichts
sei willkürlich.

    Hält aber die Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts vor
Art. 105 Abs. 2 OG stand, so hat das Bundesgericht in den folgenden
Erwägungen davon auszugehen, dass die zu erwartende Zunahme des
Lastwagenverkehrs auf der Dorfstrasse von Obfelden weniger als einen
Zehntel ausmacht, und dass die Lärmzunahme auf weniger als 5% zu
veranschlagen ist.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, ob das Verwaltungsgericht die Legitimation der
Beschwerdeführer zu Recht verneint hat. Es hat sich dabei auf § 338a PBG
gestützt. Dies ist vorliegend jedoch ohne Belang, da gemäss Art. 33 Abs. 3
lit. a RPG das kantonale Recht die Legitimation mindestens im gleichen
Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
zu gewährleisten hat (ZBl 86/1985, S. 505 E. 1). Die Beschwerdeführer
machen nicht geltend, das zürcherische Recht ziehe die Grenzen der
Beschwerdebefugnis weiter als das Bundesrecht.

    Nach Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
legitimiert, wer durch den angefochtenen Entscheid berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Dieses
Interesse kann rechtlicher oder auch bloss tatsächlicher Natur sein und
braucht mit dem Interesse, das durch die vom Beschwerdeführer als verletzt
bezeichneten Normen geschützt wird, nicht übereinzustimmen. Immerhin
wird verlangt, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen
Entscheid stärker als jedermann betroffen sei und in einer besonderen,
beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht (BGE 110 Ib 400
E. 1b, 100 E. 1a; je mit Hinweisen). Diese Anforderungen sollen die
Popularbeschwerde ausschliessen. Ihnen kommt deshalb dann eine ganz
besondere Bedeutung zu, wenn wie hier nicht der Verfügungsadressat im
materiellen Sinn, sondern ein Dritter den Entscheid anficht (vgl. dazu
FRITZ GYGI, Vom Beschwerderecht in der Bundesverwaltungsrechtspflege,
in recht 1986, S. 8 ff., S. 9). Ist auch in einem solchen Fall ein
unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so
hat der Beschwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse daran,
dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder geändert wird. Dieses
Interesse besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde
dem Beschwerdeführer eintragen würde, d.h. in der Abwendung eines
materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene Entscheid für
ihn zur Folge hätte (ZBl 86/1985, S. 505, E. 2 mit Hinweisen). Diese
Formulierungen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung lassen erkennen,
dass es keine begrifflich fassbare Eingrenzung der Legitimation Dritter
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde geben kann (FRITZ GYGI, aaO, S. 11). Es
bleibt in Grenzfällen ein Beurteilungsspielraum, bei dessen Ausübung
einerseits eine kaum mehr zu begrenzende Öffnung des Beschwerderechts zu
vermeiden ist und andererseits die Schranken auch nicht zu eng gezogen
werden dürfen, um nicht die vom Gesetzgeber bewusst gewollte Überprüfung
der richtigen Rechtsanwendung in Fällen, in denen der Beschwerdeführer
ein aktuelles und schützenswertes Interesse besitzt, auszuschliessen
(BGE 109 Ib 200 E. 4b).

    Das Bundesgericht hat bereits entschieden, die Tatsache allein, dass
der Verkehr auf einer Kantonsstrasse infolge des Baus einer Autobahn und
eines Halbanschlusses in 1 km Entfernung zunehmen könnte, begründe noch
kein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung des Ausführungsprojektes;
der Nationalstrassenbau führe bekanntlich weitherum auf dem bestehenden
kantonalen und kommunalen Strassennetz zu Änderungen des Verkehrsflusses
(BGE 111 Ib 290 ff.). In gleicher Weise hat es die Legitimation von
Einwohnern eines Dorfes gegen einen Quartiergestaltungsplan verneint. Weder
der Mehrverkehr, der durch die künftigen Bewohner des Quartierplangebietes
ausgelöst wird, noch die Quartierzugehörigkeit allein vermag ein
schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a OG zu begründen
(ZBl 82/1981, S. 183; nicht veröffentlichte Erwägung 2b von BGE 107 Ib 112
ff.; vgl. auch 111 Ib 160 E. 1b). Andererseits wird die Beschwerdebefugnis
dann weit gezogen, wenn die Auswirkungen eines Werkes deutlich als solche
wahrnehmbar und ohne technisch aufwendige und kostspielige Abklärungen
festgestellt und von den allgemeinen Immissionen geschieden werden können
(z.B. Schiessplatzlärm, BGE 110 Ib 100 E. 1c; Flugplatzlärm, BGE 104
Ib 318 E. 3b). Dabei besteht die Tendenz, materiellen Immissionen mehr
Bedeutung zuzumessen als rein ideellen, d.h. diese müssen ein ungleich
stärkeres Mass annehmen als jene, damit die Legitimation bejaht werden kann
(vgl. dazu ZBl 85/1984, S. 379 f.; BGE 111 Ib 160 E. 1b).

    Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der vorliegende Fall zu
entscheiden. Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, sie seien von
der ca. 900 m entfernten Deponie direkt betroffen. Doch stützen sie
ihr Interesse an der Rekurserhebung auf ihre Betroffenheit durch den
deponiebedingten zusätzlichen Lastwagenverkehr auf der Dorfstrasse,
an der sie wohnen. Der Sachverhalt lässt sich somit grundsätzlich mit
demjenigen in den zitierten Urteilen i.S. Nationalstrassenzubringer und
Quartiergestaltungsplan vergleichen. Indessen ist zu beachten, dass der
Lärm aus dem Lastwagenverkehr eine ganz bestimmte Ursache hat, nämlich
den Betrieb der Abfalldeponie "Tambrig", der einen quantifizierbaren,
nicht unerheblichen Schwerverkehr bedingt. Dies würde eher für
eine weitherzige Anerkennung der Beschwerdelegitimation sprechen.
Andererseits ist nicht zu verkennen, dass die beanstandeten Auswirkungen
dort, wo die Beschwerdeführer wohnen, weitgehend mit den allgemeinen
Strassenimmissionen vermischt sein werden. Sie wären deshalb kaum
als eigenständige Belastung feststellbar. Mit zunehmender Entfernung
vom Primärbetrieb nimmt diese ab, und gleichzeitig schieben sich die
Auswirkungen des allgemeinen Verkehrs immer mehr in den Vordergrund. Unter
diesen Umständen lässt sich nicht sagen, die Beschwerdeführer stünden in
einer besonderen, beachtenswerten Beziehung zur Streitsache und hätten
deshalb ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung der
Bau- und Betriebsbewilligung für die Deponie "Tambrig". So wie die Dinge
hier liegen, handelt es sich um ein Problem von allgemeiner Tragweite,
zu dessen Lösung die politischen Behörden aufgrund ihrer Funktion und
Kompetenz besser geeignet sind als die gerichtlichen Instanzen.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat die Legitimation der
Beschwerdeführer daher ohne Verletzung von Bundesrecht verneint. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich somit als ungerechtfertigt
und ist abzuweisen.