Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IB 149



112 Ib 149

26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 7. Mai 1986 i.S. F. gegen Bundesamt für Polizeiwesen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Auslieferung; Betäubungsmitteldelikte.

    In Fällen von Betäubungsmitteldelikten steht der Umstand, dass wegen
der fraglichen Tatbestände bereits in der Schweiz eine Strafuntersuchung
eröffnet wurde, der Auslieferung nicht entgegen (E. 5a).

    Ein Begehren um Übernahme der Strafverfolgung durch den ersuchenden
Staat ist nicht erforderlich, wenn dieser wegen des im Drogenstrafrecht
massgebenden Universalitätsprinzips ohnehin für die Beurteilung des
gesamten Sachverhalts, auch soweit er sich in der Schweiz abgespielt hat,
zuständig ist (E. 5d).

Sachverhalt

    A.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich eröffnete gegen den kolumbianischen
Staatsangehörigen F. ein Verfahren wegen Finanzierung unerlaubten
Betäubungsmittel-Handels. In der Folge ergab sich, dass in den Vereinigten
Staaten von Amerika (USA) ein umfangreiches Verfahren gegen eine grössere
Gruppe von Personen hängig ist, die des Drogenhandels in dieser oder jener
Form beschuldigt werden und zu denen auch F. gehören soll. Am 12. November
1985 ersuchten die USA die Schweiz um Auslieferung von F. wegen Mitwirkung
beim Drogenhandel. Das Bundesamt für Polizeiwesen bewilligte mit Verfügung
vom 7. Januar 1986 die Auslieferung. Gegen diesen Entscheid erhob
F. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht weist sie ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, für die im
Auslieferungsgesuch genannten Tatbestände werde bereits in Zürich eine
Strafuntersuchung geführt.

    Es ist richtig, dass die Bezirksanwaltschaft Zürich gegen den
Beschwerdeführer ein Strafverfahren wegen Finanzierens des Drogenhandels
eröffnet hatte. Dass dies unzulässig gewesen wäre, behauptet der
Beschwerdeführer zu Recht selbst nicht: Nachdem die genannte Behörde
aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der USA ein Bankkonto im Hinblick
auf den Verdacht, es enthalte Erlös aus Drogenhandel, gesperrt hatte,
lag der Verdacht auf der Hand, derjenige, der dieses Geld abhebe, sei
ein Drogenhändler oder stehe mit Drogenhändlern in Verbindung. Unhaltbar
ist aber der Standpunkt des Beschwerdeführers, die Eröffnung dieser
Untersuchung habe gewissermassen zu einer endgültigen Festlegung des
international massgebenden Gerichtsstandes für die gesamte, ihm zur Last
gelegte strafbare Tätigkeit geführt. Eine solche perpetuatio fori ist dem
internationalen Strafrecht nicht bekannt. Es ergab sich im Laufe der in der
Schweiz geführten Untersuchung, dass in den USA schon früher ein Verfahren
gegen den Beschwerdeführer hängig war und dass dort der Schwerpunkt des
ihm zur Last gelegten strafbaren Verhaltens liegt. Zwar wäre es denkbar,
dass der Verfolgte auch für die in den Vereinigten Staaten begangenen
Delikte in der Schweiz verfolgt werden könnte, doch sieht das Gesetz
dieses Vorgehen nur für den Fall vor, dass der Betreffende - etwa wegen
schweizerischer Staatsangehörigkeit - nicht ausgeliefert wird (Art. 19
Ziff. 4 BetmG). Im übrigen hat das Bundesgericht im Urteil BGE 108 Ib
537 darauf hingewiesen, dass das New Yorker Einheits-Übereinkommen vom
30. März 1961 (SR 0.812.121.0, AS 1970, 802), dem sowohl die Schweiz als
auch die Vereinigten Staaten angehören, die Auslieferung in Fällen von
Betäubungsmitteldelikten als wünschenswert bezeichnet (Art. 36 Ziff. 2
lit. b). Daraus zu folgern, dass soweit möglich durch Auslieferung eine
Gesamtbeurteilung des Verfolgten am Schwerpunkt des deliktischen Verhaltens
erfolgen solle, drängt sich geradezu auf.

    Zum selben Ergebnis führt Art. 36 IRSG, das ergänzend neben dem
massgebenden Staatsvertrag heranzuziehen ist, soweit dieser keine
Bestimmungen enthält. Die Vorschrift sieht vor, dass es in Ausnahmefällen
zulässig ist, einen Angeschuldigten auszuliefern, obschon er auch in der
Schweiz verfolgt werden könnte, und zwar dann, wenn besondere Umstände,
namentlich die Möglichkeit einer besseren sozialen Wiedereingliederung,
dies rechtfertigen. Im vorliegenden Fall ist über die persönlichen
Verhältnisse des Beschwerdeführers zu wenig bekannt, als dass sich darüber,
wo eine Wiedereingliederung am ehesten denkbar ist, etwas Schlüssiges
aussagen liesse. Fest steht immerhin, dass er zu den Vereinigten
Staaten von Amerika ungleich engere Beziehungen besitzt als zur Schweiz,
wo er sich nur für die Durchführung seiner finanziellen Transaktionen
während jeweils kürzerer Zeit aufgehalten hat. Das Bundesgericht hat in
einem Fall ähnlicher Art (der allerdings nicht die USA, sondern Italien
betraf) auch die Tatsache als besonderen Umstand anerkannt, dass der
Schwerpunkt einer gewerbs- und bandenmässigen Tätigkeit im Ausland lag
und dass dort ein umfassendes Strafverfahren gegen sämtliche Beteiligten
im Gange war (nicht veröffentlichtes Urteil in Sachen C. vom 30. August
1985). Diese Voraussetzungen sind auch im vorliegenden Fall gegeben. Der
Umstand, dass vermutlich auch die Schweiz zur Verfolgung der fraglichen
Deliktstatbestände befugt wäre, steht demnach der Auslieferung nicht
entgegen (vgl. dazu auch BGE 105 Ib 294 ff.).

    b) Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, er habe im zürcherischen
Verfahren Anspruch auf Anklageerhebung oder Sistierung. Dem ist
beizupflichten, doch steht diese Frage mit derjenigen der Auslieferung
nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang. Es leuchtet ein, dass die
Bezirksanwaltschaft Zürich das Verfahren nicht einstellen konnte, bevor
über die Auslieferung Klarheit bestand, und es ist nicht daran zu zweifeln,
dass sie nach Ausfertigung des vorliegenden Urteils eine entsprechende
Verfügung erlassen wird. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten wird
hiervon allerdings nicht berührt werden.

    c) Weiter wird eingewendet, die Untersuchung in Zürich sei
von Anfang an nur eröffnet worden im Hinblick darauf, ein späteres
Auslieferungsverfahren zu ermöglichen. Dieses Vorgehen verletze Art. 2
Ziff. 1 lit. a des Staatsvertrages mit den USA über gegenseitige
Rechtshilfe in Strafsachen und bedeute eine missbräuchliche
Gesetzesumgehung.

    Der Einwand ist offensichtlich unbegründet. Am Anfang des
schweizerischen Verfahrens stand zwar ein Rechtshilfebegehren der USA;
doch bezog sich dieses nicht auf die Festnahme des Beschwerdeführers,
so dass nicht zu sehen ist, inwiefern der Rechtshilfevertrag verletzt
worden sein könnte. Die Verhaftung des Beschwerdeführers erfolgte nicht
aufgrund eines Begehrens der USA, sondern in eigener Zuständigkeit
der Bezirksanwaltschaft Zürich. Dass dazu Anlass bestand, ist bereits
dargelegt worden. Es ist eine häufige Erscheinung, das jemand zunächst
wegen Verdachts einer im Inland strafbaren Handlung in Untersuchung gezogen
wird und sich daran erst später ein Auslieferungsverfahren anschliesst;
denn es ist im Bereich der internationalen Kriminalität selten möglich,
die Frage, welcher Staat die Aburteilung des Verfolgten zu übernehmen
hat, auf den ersten Blick zu beantworten. Von einer missbräuchlichen
Gesetzesumgehung kann daher keine Rede sein. Vertretbar ist der Standpunkt
des Beschwerdeführers einzig insoweit, als sich die vor dem Eingang des
provisorischen Auslieferungsersuchens der USA erstandene Untersuchungshaft
rückblickend gleich wie die Auslieferungshaft auswirkt. Indessen ändert
dies nichts daran, dass es sich um von der Bezirksanwaltschaft Zürich in
eigener Zuständigkeit verhängte Untersuchungshaft handelte, die mit den
hiefür vorgesehenen Rechtsmitteln (allenfalls auch mit staatsrechtlicher
Beschwerde an das Bundesgericht) hätte angefochten werden können. Von
dieser Möglichkeit hat der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht. Der
Entscheid darüber, ob diese Haft analog zur eigentlichen Auslieferungshaft
an die Dauer einer in den USA allenfalls auszufällenden Strafe anzurechnen
sei, wird von der zuständigen amerikanischen Gerichtsbehörde zu treffen
sein.

    d) Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört die Rüge des
Beschwerdeführers, die Bezirksanwaltschaft Zürich habe ein Verfahren
betreffend Übernahme der Strafuntersuchung durch die USA eingeleitet. Zum
Entscheid über ein solches Begehren wäre das BAP zuständig. Da ein
entsprechender Entscheid nie eröffnet worden sei, liege eine Verweigerung
des rechtlichen Gehörs vor.

    In dieser Frage scheint ein Missverständnis vorzuliegen, und zwar
auch auf seiten der Bezirksanwaltschaft Zürich. Die Übernahme der
Strafverfolgung durch einen ausländischen Staat ist nicht Voraussetzung
der Auslieferung. Sie ist vielmehr ein selbständiges, in einem anderen
Abschnitt des IRSG geregeltes Rechtsinstitut, das unter Umständen -
nämlich dann, wenn dem ersuchenden Staat nicht ohnehin die Gerichtsbarkeit
hinsichtlich sämtlicher zu verfolgender Handlungen des Auszuliefernden
zusteht - auch neben die Auslieferung treten kann (Art. 88 lit. b
in Verbindung mit Art. 36 IRSG). Ist, wie sich aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt, die Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates wegen
des im Drogenstrafrecht massgebenden Universalitätsprinzips ohnehin für
den gesamten Sachverhalt gegeben, auch soweit er sich in der Schweiz
abgespielt hat, so bedarf es neben dem Entscheid über die Auslieferung
nicht noch eines solchen betreffend die Übertragung der Strafverfolgung. Es
kann in diesem Zusammenhang auch auf das bei den Untersuchungsakten
der Bezirksanwaltschaft befindliche und deshalb dem Beschwerdeführer
zugängliche Merkblatt des BAP vom 19. September 1985 hingewiesen werden,
wonach das Strafübernahmebegehren nicht als Mittel zur internationalen
Gerichtsstandsregelung vorgesehen ist. Bedurfte es somit hier entgegen
der Auffassung der Bezirksanwaltschaft Zürich keiner Verfügung betreffend
Übertragung des Strafverfahrens, so kann dem Beschwerdeführer diesbezüglich
auch das rechtliche Gehör nicht verweigert worden sein.