Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 47



112 Ia 47

9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 7. Januar 1986 i.S. Theiler gegen Grosser Rat des Kantons Bern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 6b KV-BE; Art. 85 lit. a OG; Finanzreferendum; Gebäuderenovation.

    Der Sinn eines negativen Volksentscheides lässt sich im allgemeinen
nicht in einen positiven umdeuten; es ist daher zulässig, dass die
kantonalen Behörden nach Ablehnung einer ersten Vorlage durch das Volk ein
neues, reduziertes Projekt ausarbeiten und der nach dem neuen Kreditbetrag
zuständigen Instanz (hier: dem Grossen Rat) unterbreiten (E. 4a).

    Frage offengelassen, ob ein allfälliger Widerspruch zu
den Zusicherungen in einer früheren Abstimmungsbotschaft auf die
Referendumspflicht einer neuen Vorlage von Einfluss wäre, da ein solcher
Widerspruch nicht besteht (E. 4b).

Sachverhalt

    A.- Der Grosse Rat des Kantons Bern beschloss am 14. Mai 1985,
für die Renovation des Gebäudes Münstergasse 2 in Bern (Diesbachhaus,
Sitz der kantonalen Justizdirektion) sei ein Kredit von Fr. 1'576'000.--
zu bewilligen. Er beschloss gleichzeitig mehrheitlich, das Geschäft sei
nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen.

    Luzius Theiler erhob hiergegen staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, der angefochtene Beschluss sei als "dem fakultativen Referendum
unterstellt zu erklären". Er stützt seine Beschwerde auf Art. 6b der
bernischen Staatsverfassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Der Beschwerdeführer erblickt im angefochtenen Beschluss des
Grossen Rates einen Verstoss gegen den Volkswillen, weil die Stimmbürger
des Kantons Bern am 23. September 1984 einen Kredit für den Ausbau des
Diesbachhauses abgelehnt hätten. Zweifellos wäre es unzulässig, einen
in der Volksabstimmung abgelehnten Kredit nachträglich unter Umgehung
des Referendums durch den Grossen Rat bewilligen zu lassen. Allein dieser
Fall liegt hier nicht vor. Es wurde vor allem auf zwei nicht unwesentliche
Teile des ursprünglichen Bauvorhabens, deren Kosten mindestens zum Teil
als neue Aufwendungen hätten betrachtet werden müssen, verzichtet, nämlich
auf den Einbau eines Liftes und auf die Umwandlung der Hauswartwohnung
in Büros. Dadurch ergab sich eine Senkung der Gesamtkosten um immerhin
rund Fr. 400'000.--. Dem Beschwerdeführer kann sodann nicht beigepflichtet
werden, wenn er annimmt, mit der Ablehnung der ersten Kreditvorlage habe
"sich das Bernervolk ohne jeden Zweifel für die Wiederaufwertung der
Altstadt als Wohngebiet im allgemeinen und für Wiederherstellung des
Diesbachhauses als Wohnhaus ausgesprochen". Der Sinn eines negativen
Volksentscheides lässt sich im allgemeinen nicht in einen positiven
umdeuten, weil die Motive, welche die einzelnen Stimmberechtigten zu
ihrer Stimmabgabe bewogen haben, nicht ermittelt werden können (vgl. dazu
JEAN-FRANÇOIS AUBERT, Le referendum populaire, in: ZSR 91/1972 I S. 504,
und HANS NEF, Erneuerung des Finanzreferendums, in: Der Staat als Aufgabe:
Gedenkschrift für Max Imboden, Basel 1972, S. 261). Das Bundesgericht hat
im Urteil BGE 101 Ia 583 ff. ausgeführt, nach Ablehnung einer Vorlage
durch das Volk sei die Rechtslage die nämliche, wie wenn diesem gar
keine Vorlage unterbreitet worden wäre. Mag auch diese Formulierung, die
eine sofortige Wiederholung der Abstimmung über den nämlichen Gegenstand
nicht ausschlösse, vielleicht etwas zu absolut ausgefallen sein, so ist
jedenfalls kein Grund ersichtlich, weshalb nicht unverzüglich ein neues,
in der Regel reduziertes Projekt ausgearbeitet und der nach dem neuen
Kreditbetrag zuständigen Instanz unterbreitet werden sollte. Das Vorgehen
der Behörden des Kantons Bern ist somit auch unter diesem Gesichtswinkel
nicht zu beanstanden.

    b) Schliesslich hält der Beschwerdeführer dafür, die streitige
Kreditvorlage stehe im Widerspruch zur erwähnten Botschaft des Grossen
Rates für die Volksabstimmung vom 5. April 1981 betreffend Krediterteilung
für ein neues kantonales Bürogebäude an der Reiterstrasse in Bern. Darin
sei zugesichert worden, nach der Errichtung des neuen Bürohauses
ursprünglich für Wohnzwecke bestimmte Bauten in der Altstadt, die für
die kantonale Verwaltung umgestaltet worden seien, wieder für Wohnungen
einzurichten.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Widerspruch der behaupteten Art
auf die Referendumspflicht von Einfluss wäre, denn ein solcher Widerspruch
ist hier klarerweise zu verneinen. In der erwähnten Botschaft aus dem
Jahre 1980 wird zwar bemerkt, die Erstellung eines neuen Bürogebäudes
an der Reiterstrasse werde es der Verwaltung ermöglichen, ungeeignete
Mietobjekte zu verlassen "und ursprüngliche Wohnbauten wieder zu
Wohnzwecken" verwenden zu lassen. Indessen ergibt sich aus einer mit einem
Plan versehenen Aufstellung auf der nämlichen Seite der Botschaft (S. 11),
dass an eine Aufgabe des "Hauptzentrums Rathaus/Münster" nie gedacht
worden war. Unter den Direktionen, die nicht verlegt werden sollten, war
die Justizdirektion (der das Diesbachhaus dient) ausdrücklich erwähnt. Wenn
der Regierungsrat in der Vernehmlassung zur heutigen Beschwerde ausführt,
der Hinweis auf staatliche Gebäude, die wieder der Wohnnutzung zugeführt
werden sollten, habe sich auf die Gebäude Münstergasse 1, 3, 24 und 32
bezogen, befindet er sich deshalb in Einklang mit der Abstimmungsbotschaft
für das Verwaltungsgebäude an der Reiterstrasse.

    Aus allen diesen Erwägungen erweist sich die staatsrechtliche
Beschwerde als unbegründet, und sie ist abzuweisen.