Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 311



112 Ia 311

47. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. November
1986 i.S. X. gegen Kanton BL und Verwaltungsgericht des Kantons BL
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Rechtsgleiche Besteuerung von Ehegatten und Konkubinatspaaren;
ausnahmsweise zulässige Anwendung verfassungswidriger Bestimmungen.

    Erhebliche steuerliche Mehrbelastung (25%) eines in ungetrennter
Ehe lebenden Steuerpflichtigen gegenüber einem im Konkubinat lebenden
Pflichtigen in gleichen Einkommensverhältnissen. Bestätigung der
Veranlagung durch das kantonale Verwaltungsgericht, obwohl es die
Mehrbelastung im Lichte von BGE 110 Ia 7 ff. für verfassungswidrig hält.

    Verfassungswidriges Recht darf von den kantonalen Gerichten
grundsätzlich nicht angewendet werden. Gründe, unter denen dies
ausnahmsweise doch zulässig ist.

Sachverhalt

    A.- X., der als Jurist arbeitet, und dessen Ehefrau, die in
den Bemessungsjahren 1981/82 als Sekundarlehrerin tätig war, leben
seit ihrer Heirat am 11. September 1981 in ungetrennter Ehe. Auf
Ende 1982 gaben die Ehegatten X. ihren bisherigen Wohnsitz in einer
Gemeinde des Kantons Basel-Landschaft auf und zogen in den Kanton
Basel-Stadt. Am 25. April 1984 erliess die Steuerverwaltung des Kantons
Basel-Landschaft drei Staatssteuer-Rechnungen für die Steuerjahre
1981-1983. Die Erwerbseinkommen der beiden Ehegatten wurden dabei für
die Steuerbemessung zusammengerechnet. Gegen diese Besteuerung erhob
X. Einsprache mit dem Antrag, die Staatssteuer-Rechnungen seien aufzuheben
und er sei so zu veranlagen, wie wenn er mit seiner Ehefrau im Konkubinat
leben würde. Mit Entscheiden vom 11. Mai bzw. 13. Juni 1984 lehnte die
kantonale Steuerverwaltung die Einsprache ab.

    Eine gegen die Einspracheentscheide gerichtete Beschwerde wurde von
der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Landschaft abgewiesen. Diesen
Entscheid zog X. erfolglos an das Verwaltungsgericht weiter.

    Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 12. Februar 1986 hat X.
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt,
die Einkommensbesteuerung der Ehegatten beruhe nach geltendem
basellandschaftlichem Steuerrecht auf dem Prinzip der Faktoren-Addition,
d.h. das Einkommen der in ungetrennter Ehe lebenden Ehefrau werde
unter jedem Güterstand dem Ehemann zugerechnet (§ 8 Abs. 1 StG). In
Verbindung mit dem progressiv ausgestalteten Einheitstarif (§ 34
StG) führe dieses Steuersystem in der Regel zu einer Mehrbelastung
von Doppelverdiener-Ehepaaren im Vergleich zu Konkubinatspaaren mit
gleich hohem Einkommen und gleicher Einkommensverteilung. Im Falle des
Beschwerdeführers mache dieser Belastungsunterschied rund 25% aus.

    Das Verwaltungsgericht sieht darin eine im Lichte von BGE 110 Ia 7 ff.
verfassungswidrige Benachteiligung des Beschwerdeführers. Trotzdem hat
es dessen Beschwerde abgewiesen. Zur Begründung führt es sinngemäss
aus, eine Beschwerdegutheissung könnte nicht zur Folge haben, dass
der Beschwerdeführer überhaupt keine Steuern zu bezahlen hätte. Es
müsste vielmehr eine Neuveranlagung vorgenommen werden, wobei die §§
8 und 34 StG nicht anzuwenden wären. An deren Stelle müssten andere
Bestimmungen treten. Der Erlass solcher Vorschriften sei aber aus Gründen
der Gewaltentrennung dem Gesetzgeber zu überlassen. Es stelle sich daher
höchstens die Frage, ob die Neuveranlagung vorerst aufzuschieben und erst
vorzunehmen sei, nachdem der Gesetzgeber gehandelt habe. Das gehe indes
nicht an. Es bleibe daher nichts anderes übrig, als die Beschwerde zwar
abzuweisen, gleichzeitig aber festzustellen, dass die angefochtenen,
unter Anwendung der §§ 8 und 34 StG ergangenen Steuerveranlagungen
verfassungswidrig seien.

    b) Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht Willkür
vor. Indem es sich weigere, die festgestellte Verfassungswidrigkeit
einer Norm im Anwendungsfalle zu beseitigen, verkenne es die Funktion der
inzidenten Normenkontrolle. Dieses Rechtsinstitut diene nicht lediglich
der Feststellung von Verfassungswidrigkeiten, vielmehr solle es einem
konkreten Ansprecher im Einzelfall und ungeachtet sekundärer Folgen
für Gesetzgeber oder Fiskus zu einer verfassungskonformen Behandlung
verhelfen. Diese sieht er in seinem Fall darin, dass er und seine Ehefrau
steuerlich wie ein Konkubinatspaar behandelt werden, also so, wie wenn
sie alleinstehend wären.

    c) Das Bundesgericht hat verschiedentlich erkannt, dass kantonale
Gerichte unmittelbar gestützt auf die Bundesverfassung verpflichtet sind,
das von ihnen anzuwendende kantonale Recht auf seine Übereinstimmung
mit der Bundesverfassung zu überprüfen (BGE 91 I 314, 104 Ia 82). Damit
verbunden ist grundsätzlich auch die Pflicht, als verfassungswidrig
erkanntes Recht im Einzelfall nicht anzuwenden. Bei Vorliegen
besonderer Gründe kann dieser Grundsatz jedoch Ausnahmen erleiden
(vgl. BGE 110 Ia 7 ff., 109 Ib 81 ff., ferner die unveröffentlichten
Entscheide vom 31. Oktober 1985 i.S. R. und S. bzw. vom 10. Oktober 1986
i.S. B. sowie WEBER-DÜRLER, ZSR 1985, Bd. I, S. 21 f.). Das übersieht
im Grunde auch der Beschwerdeführer nicht, nimmt er doch auf die
erwähnten Urteile ausdrücklich Bezug. Er ist aber der Meinung, im
vorliegenden Fall würde kein Grund bestehen, die vom Verwaltungsgericht
als verfassungswidrig angesehenen §§ 8 und 34 StG anzuwenden. Auf die
Anwendung dieser Bestimmungen könne schlicht und einfach verzichtet
und so die Benachteiligung gegenüber einem Konkubinatspaar in gleichen
Einkommensverhältnissen eliminiert werden.

    Diese Auffassung verkennt, dass die Individualbesteuerung von
Ehepaaren ihrerseits verfassungswidrig wäre, indem sie ebenfalls
stossende Ungleichheiten schaffen würde. Namentlich würde sie zu einer
ungerechtfertigten Bevorzugung doppelt verdienender Ehepaare gegenüber
alleinverdienenden führen (BGE 110 Ia 17). Den Beschwerdeführer
antragsgemäss zu veranlagen, würde somit darauf hinauslaufen, eine
Verfassungswidrigkeit durch eine andere zu ersetzen. Dazu war das
Verwaltungsgericht nicht gehalten. Es ging daher zu Recht davon aus,
dass es im Falle einer Aufhebung der in Frage stehenden Steuerrechnungen
nicht einfach auf die Anwendung der §§ 8 und 34 StG hätte verzichten
dürfen, sondern gegebenenfalls an deren Stelle andere Bestimmungen hätte
zur Anwendung bringen müssen. Ob es solche Regeln - wie die Kantonale
Rekurskommission Solothurn für das solothurnische Recht (ZBl 1985, S. 536
ff.) - selbst hätte schaffen dürfen, braucht hier nicht entschieden zu
werden. Fraglich ist einzig, ob es dazu von Verfassung wegen verpflichtet
war. Das ist zu verneinen.

    Bei der Vielzahl der möglichen Varianten zur Beseitigung der
steuerlichen Benachteiligung der Ehepaare gegenüber Konkubinatspaaren
(Doppeltarif, Vollsplitting usw.) kann dem Verwaltungsgericht kein
Vorwurf gemacht werden, wenn es diese Aufgabe dem Gesetzgeber überlassen
wollte; dies um so weniger, als sich eine absolute Gleichstellung
von Konkubinats- und Ehepaaren wegen der faktischen Unmöglichkeit,
nicht-eheliche Haushaltsgemeinschaften gemeinsam zu veranlagen, nicht
verwirklichen lässt (vgl. BGE 110 Ia 19) und somit die Steuerausgestaltung
letztlich weitgehend eine politische Aufgabe bleibt.

    Freilich darf dem Gesetzgeber zur Beseitigung eines verfassungswidrigen
Zustandes nicht unbeschränkt Zeit gelassen werden, vielmehr hat der
Rechtsunterworfene Anspruch darauf, dass nach angemessener Frist gehandelt
wird (vgl. die Entscheide vom 1. November 1985 i.S. Ch. und A.). Im
vorliegenden Fall ist dies indes geschehen, hat doch der Landrat des
Kantons Basel-Landschaft schon am 25. Juni 1986, also kurz nach Ergehen des
angefochtenen Entscheids, eine vom Volk in der Abstimmung vom 28. September
1986 angenommene Teilrevision des Steuergesetzes verabschiedet, um den
Forderungen von BGE 110 Ia 7 ff. Rechnung zu tragen. Es könnte sich somit
nur fragen, ob das Verwaltungsgericht von Verfassung wegen verpflichtet
gewesen wäre, die angefochtenen Verfügungen aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese nach dem Inkrafttreten des
revidierten Steuergesetzes eine Neuveranlagung vornehme. Das macht der
Beschwerdeführer - zu Recht - nicht geltend.