Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 248



112 Ia 248

39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
15. Mai 1986 i.S. S. und L. gegen Bezirksgericht Schwyz und Kantonsgericht
des Kantons Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Persönliche Freiheit, Blutentnahme.

    Die Anordnung einer Blutentnahme zur Erstellung eines
serologisch-erbbiologischen Gutachtens stellt einen Eingriff in
die persönliche Freiheit dar, der vor der Verfassung standhält. Die
Verfassungsmässigkeit wird im vorliegenden Fall weder wegen des Alters
des Kindes noch aus konfessionellen Gründen beeinträchtigt.

Sachverhalt

    A.- Die vietnamesische Staatsangehörige L. gebar im Jahre 1981 die
Tochter L. Herr S. anerkannte die Tochter als sein Kind. Die Vaterschaft
wurde angefochten. Im Zivilverfahren ordnete das Bezirksgericht Schwyz
in den Jahren 1984/85 ein serologisch-erbbiologisches Gutachten an und
verpflichtete hierfür u.a. die Tochter L. zur Duldung einer Blutentnahme
durch das Gerichtsmedizinische Institut der Universität Zürich. Die
Mutter L. widersetzte sich dieser Massnahme an ihrer Tochter. Das
Kantonsgericht des Kantons Schwyz bestätigte auf Beschwerde hin die
Pflicht der Tochter L., die Blutentnahme zu dulden.

    Gegen diesen Entscheid reichte u.a. die Tochter L. beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der persönlichen Freiheit
ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde in diesem Punkte ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Eine Blutentnahme zur Erstattung eines serologisch-erbbiologischen
Gutachtens stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität der
Beschwerdeführerin und damit einen Eingriff in das ungeschriebene
Verfassungsrecht der persönlichen Freiheit dar. Solche Eingriffe
sind zulässig, soweit sie auf einer ausreichenden gesetzlichen
Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und dem Gebot der
Verhältnismässigkeit entsprechen; zudem darf die persönliche Freiheit weder
völlig unterdrückt, noch ihres Gehaltes als Institution der Rechtsordnung
entleert werden (BGE 109 Ia 281, mit Hinweisen). Von einer Beeinträchtigung
des Kerngehalts dieses ungeschriebenen Grundrechts kann bei der streitigen
Blutentnahme nicht gesprochen werden. Die gesetzliche Grundlage zur
Duldung von Blutentnahmen für die Feststellung der Abstammung findet
sich in Art. 254 Ziff. 2 ZGB. Die Mitwirkungspflicht der Parteien und
einzubeziehender Dritter ist hier so eindeutig geregelt, das Zweifel an
der Tragweite dieser Bestimmung und damit an der gesetzlichen Grundlage
ausgeschlossen sind. Das öffentliche Interesse daran, dass ein die
Vaterschaftsfrage betreffender Zivilprozess unter Ausschöpfung aller
bekannten Beweismittel durchgeführt und abgeschlossen werden kann, bedarf
keiner weiteren Begründung. Zur Beurteilung steht somit einzig noch die
Frage, ob die Blutentnahme im vorliegenden Falle verhältnismässig sei.

    Es ist unbestritten, dass die Blutentnahme namentlich bei Kleinkindern
nicht ausnahmslos in jedem Falle durchgesetzt werden kann. Indessen
sind Ausnahmen nur dann anzuerkennen, wenn eine konkrete Gefahr für die
Gesundheit dargetan ist und diese Gefahr nicht durch besondere Modalitäten
der Untersuchung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, was heute
fast immer möglich ist (vgl. CYRIL HEGNAUER, Berner Kommentar, 4. Auflage
1984, N. 90 zu Art. 254 ZGB; Bruno Hug, Die gerichtliche Feststellung der
Vaterschaft nach dem neuen Schweizer Kindesrecht, Freiburger Diss. 1977,
S. 175; nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes vom 30. April
1984 i.S. Ch.). Im vorliegenden Fall sind entgegen den Ausführungen
der Beschwerdeführerin solche besonderen Umstände, die eine konkrete
Gefährdung von Leben oder Gesundheit befürchten liessen, in keiner Weise
dargetan. Insbesondere kann daraus, dass die Mutter der Beschwerdeführerin
als Kind anlässlich einer Bluttransfusion ein traumatisches Erlebnis
hatte, nichts dafür abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführerin etwas
Ähnliches drohe; eine Bluttransfusion ist mit einer Blutentnahme nicht
gleichzusetzen, und darüber hinaus sind die näheren Umstände jenes
Vorfalles, der sich in Asien ereignete, nicht bekannt. Schliesslich
kann auch auf die Konfession der Mutter der Beschwerdeführerin
nichts ankommen. Liesse man Ausnahmen von der Mitwirkungspflicht
bei der Abstammungsfeststellung aus diesem Grunde zu, so ergäbe sich
schliesslich für die Angehörigen bestimmter Bekenntnisse ein materiell
von den allgemeinen Regeln des ZGB abweichendes Vaterschaftsrecht, was
nicht hingenommen werden kann. Die Mutter der Beschwerdeführerin, die in
der Schweiz wohnt, hat sich den hier geltenden gesetzlichen Bestimmungen
zu unterziehen. Darüber hinaus können die Verfahrensrechte der Kläger im
Zivilprozess nicht von der Konfession der Kindsmutter abhängig gemacht
werden (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte - Besonderer Teil,
Bern 1985, S. 50, mit Hinweis auf weitere Literatur). Bei dieser Sachlage
kann unter diesem Gesichtswinkel nicht gesagt werden, die angeordnete
Blutentnahme sei unverhältnismässig. ...

    Was schliesslich die Rüge anbelangt, die Gerichte des Kantons Schwyz
hätten zunächst Zeugen anhören und ein anthropologisch-biologisches
Gutachten einholen sollen, so genügt die Feststellung, dass
Zeugenvernehmungen in einem Fall der vorliegenden Art, wo es um den
negativen Vaterschaftsbeweis geht, abgesehen von ganz besonders gelagerten
Fällen ohnehin nutzlos sind und dass das anthropologische Gutachten mit
Rücksicht auf seine weit geringere Zuverlässigkeit heute nur noch als
Ergänzungsbeweis in Zweifelsfällen angeordnet wird (BGE 104 II 301;
101 II 16/17; HEGNAUER, aaO, N. 194-196 zu Art. 254 ZGB; HUG, aaO,
S. 172/173; BERNHARD SAGER, Die Begründung des Kindesverhältnisses
zum Vater durch Anerkennung und seine Aufhebung, Zürcher Diss. 1979,
S. 172). Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich demnach die Rüge
der Unverhältnismässigkeit als unbegründet.

    Demnach erweist sich die Beschwerde der Tochter L. als unbegründet
und ist abzuweisen.