Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 112 IA 124



112 Ia 124

22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30.
April 1986 i.S. X. gegen Einwohnergemeinde Luzern und Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter, Art. 4 BV. Volle Entschädigung bei Enteignung; Anspruch
auf Rückerstattung der Grundstückgewinnsteuer?

    Die Besteuerung der Enteignungsentschädigung als Grundstückgewinn
im Ausmass von 20% der Entschädigung ist mit Art. 22ter BV vereinbar,
weshalb sich aus dieser Verfassungsnorm kein Anspruch auf Rückerstattung
der geleisteten Grundstückgewinnsteuer ableiten lässt (E. 3).

    Die Verneinung der Rückerstattungspflicht ist auch im Vergleich mit
Fällen der tauschweisen Leistung von Realersatz nicht rechtsungleich,
da das luzernische Recht keine Befreiung von der Steuerpflicht, sondern
lediglich einen Steueraufschub gewährt (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 12. März 1975 verpflichtete das Obergericht des
Kantons Luzern die Einwohnergemeinde Luzern, X. für die Enteignung einer
grösseren Landfläche mit insgesamt Fr. 1'294'221.40 zu entschädigen. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern setzte am 23. November 1979 die vom
Enteigneten zu leistende Grundstückgewinnsteuer auf Fr. 250'697.70 und am
9. Januar 1981 die darauf zu bezahlenden Verzugszinsen auf Fr. 34'512.65
fest. Die Kosten einer von der Enteignerin verlangten Bankgarantie für
die Grundstückgewinnsteuer beliefen sich auf Fr. 13'000.--.

    X. forderte die Grundstückgewinnsteuer, den Verzugszins und die
Kosten für die Bankgarantie von der Einwohnergemeinde Luzern zurück. Die
kantonale Schätzungskommission Luzern wies das Begehren mit Entscheid vom
30. Mai 1984 ab, nachdem ein früher gefällter Nichteintretensentscheid
vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden war. Eine gegen diesen Entscheid
gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 27. Juni 1984 wurde vom
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 12. September 1985
abgewiesen.

    X. führt mit Eingabe vom 23. Oktober 1985 staatsrechtliche Beschwerde
beim Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung von Art. 4 und 22ter BV
und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 12. September 1985 aufzuheben und die Sache "zur grundsätzlichen
Gutheissung und masslichen Festsetzung der Enteignungsentschädigung"
an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der Eigentumsgarantie
gemäss Art. 22ter BV und § 9 KV geltend.

    a) Einer Garantie, die in einer Kantonsverfassung verankert ist,
kommt nur dann eigene Tragweite zu, wenn sie ein ausgedehnteres Recht
als die entsprechende Bestimmung der Bundesverfassung gewährt (BGE 104
Ia 435 E. 2 mit Hinweis). Das ist im Verhältnis von Art. 22ter BV und
§ 9 KV nicht der Fall (Urteil des Bundesgerichts vom 27. April 1977,
ZBl 79/1978 S. 20). Das Bundesgericht kann sich deshalb auf die Prüfung
beschränken, ob Art. 22ter BV in der vom Beschwerdeführer behaupteten
Hinsicht verletzt ist.

    b) Nach der Auffassung des Beschwerdeführers umfasst die durch
Art. 22ter BV gewährleistete volle Entschädigung auch die Rückerstattung
der Grundstückgewinnsteuer samt Nebenkosten wie Verzugszinsen und Kosten
für die Bankgarantie. Dieser Teil der Enteignungsentschädigung gehöre
zum vollen Verkehrswert im Sinne von § 18 lit. a EntG; evtl. falle der
unter die weiteren, dem Enteigneten verursachten Nachteile gemäss § 18
lit. c EntG. Indem das Obergericht seinerzeit bei der Festsetzung der
Entschädigung die Frage der Rückerstattung der Grundstückgewinnsteuer
offengelassen habe, habe es zum Ausdruck gebracht, dass mit seinem Urteil
vom 12. März 1975 nicht der volle Verkehrswert festgelegt worden sei. Die
Schmälerung der Entschädigung durch Steuern um mehr als 20% lasse sich
nicht mehr mit der Eigentumsgarantie vereinbaren.

    c) Die Annahme des Beschwerdeführers, das Obergericht habe in seinem
Urteil vom 12. März 1975 nicht den vollen Verkehrswert des enteigneten
Landes festgelegt, indem es die Rückerstattungsfrage offengelassen habe,
ist offensichtlich unrichtig. Aus diesem Entscheid geht klar hervor, dass
das Gericht die betreffende Frage einzig mangels sachlicher Zuständigkeit
offengelassen hat. Sodann ergibt sich aus dem Urteil, dass auf der
Grundlage der sogenannten statistischen Methode der volle Verkehrswert
entschädigt wurde. Damit wurden die Ansprüche des Beschwerdeführers
gemäss § 18 lit. a EntG in vollem Umfang abgegolten.

    d) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19
lit. c des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930,
der unbestrittenermassen § 18 lit. c EntG entspricht, ist die bei
einer Enteignung erhobene Grundstückgewinnsteuer dem Enteigneten nicht
zurückzuvergüten. Dieser Grundsatz gilt selbst dort, wo dem Enteigneten
infolge Landabtauschs kein Geldgewinn zufliesst. Er betrifft die gesamte
Steuer, also auch jenen Teil, um den sie höher ausfällt, weil wegen der
früheren Veräusserung ein höherer Steuersatz anzuwenden ist. Steuern sind
kein Schaden, sondern öffentliche Lasten, die jedermann nach Massgabe
der Gesetze zu tragen hat. Sie können deshalb auch nicht als "weiterer
Nachteil" aufgefasst werden, der zu entschädigen wäre. In der Regel
rechtfertigt es sich auch, dass der Enteignete die höhere Steuer zu leisten
hat, da er auch früher in den Besitz des Gegenwerts des Wertzuwachses
gelangt. Freilich kann der kantonale Gesetzgeber auf die Besteuerung von
Liegenschaftsgewinnen bei Enteignungen verzichten; hat er das aber -
wie im Kanton Luzern - nicht vorgesehen, so kann für die Steuer nicht
der Entschädigungspflichtige belangt werden. In Sonderfällen kann zwar
die Belastung des Enteigneten unbillig sein; stets unbillig wäre jedoch
die Belastung des Enteigners, müsste dieser doch für Steuern aufkommen,
die weder auf ihn zugeschnitten noch für ihn bestimmt sind. Hinzu kommt,
dass bei voller Überwälzung der Grundstückgewinnsteuer auf den Enteigner
der Enteignete mehr als den blossen Nachteilsausgleich erhalten würde; denn
durch die Bezahlung wird eine Steuerschuld gelöscht, die ohne Enteignung
weiterhin latent auf dem Grundbesitz des Enteigneten gelastet hätte,
auch wenn ungewiss ist, wann der Grundstückgewinn realisiert worden wäre
(BGE 102 Ib 182 ff.; 100 Ib 71 ff.).

    Diese im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entwickelten Grundsätze
sind ohne weiteres auch auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde
übertragbar. Sie zeigen, dass die Grundstückgewinnsteuern keinen weiteren
Nachteil im Sinne von § 18 lit. c EntG darstellen, und dass die Verneinung
einer Rückerstattungspflicht vor der Eigentumsgarantie grundsätzlich
standhält.

    g) Der Beschwerdeführer sieht indessen darin eine Verletzung
der Eigentumsgarantie, dass ihm als Architekten und Ingenieur die
Grundlage für ein anspruchsvolles Bauvorhaben und damit auch die
Basis für einen entsprechenden Verdienst bzw. Gewinn entzogen worden
sei. Er übersieht dabei, dass der entgangene Gewinn bei der Bemessung
der Expropriationsentschädigung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen
ist. Es stand ihm frei, sich mit der auf der Grundlage des Verkehrswerts
berechneten Enteignungsentschädigung Realersatz zu beschaffen, mit dem
er sich als Unternehmer wirtschaftlich betätigen kann (PETER WIEDERKEHR,
Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 105; RUDOLF MERKER,
Der Grundsatz der "vollen Entschädigung" im Enteignungsrecht, Diss. Zürich
1975, S. 37; vgl. BGE 103 Ib 293 ff.). Besondere Umstände, die zu einer
Abweichung von dieser Regel führen würden, sind nicht ersichtlich.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer erachtet es schliesslich als Verstoss
gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit, dass er die volle
Grundstückgewinnsteuer entrichten müsse und sie nicht zurückerstattet
erhalte, weil er das Ersatzgrundstück nicht im Kanton Luzern habe
beschaffen können und ein Tausch wegen der Ablehnung des entsprechenden
Vertrags durch den Grossen Stadtrat von Luzern nicht möglich gewesen sei.

    Diese Rüge ist unbegründet. Hätte der Beschwerdeführer im Kanton
Luzern tauschweise ein Grundstück als Realersatz erhalten, so wäre er
von der Grundstückgewinnsteuer nicht befreit worden; in diesem Fall wäre
ihm lediglich ein Steueraufschub gewährt worden (§ 4 Abs. 1 Ziff. 4 des
luzernischen Gesetzes über die Grundstückgewinnsteuer vom 31. Oktober
1961, Fassung vom 17. September 1974). Überdies bestand nach § 17 Abs. 1
EntG kein Anspruch auf Realersatz; der Grosse Stadtrat durfte deshalb
den vorgesehenen Realersatz durch Tausch ohne weiteres ablehnen. Dass
die betreffende kantonale Bestimmung als solche verfassungswidrig sei,
rügt der Beschwerdeführer zu Recht nicht.