Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 V 42



108 V 42

11. Urteil vom 26. April 1982 i.S. Wenk gegen Krankenfürsorge Winterthur
und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt Regeste

    Art. 30 Abs. 1 und 30bis Abs. 1 KUVG. Dem Versicherten in
Abweichung von den ordentlichen Kassennormen zugestandene individuelle
Sonderregelungen über Krankengeldansprüche werden ebenfalls vom
sozialen Krankenversicherungsrecht des Bundes beherrscht und haben sich
insbesondere nach den allgemeinen Grundsätzen des KUVG (namentlich Prinzip
der Gegenseitigkeit, Gebot der Gleichbehandlung) zu richten. Sie sind
unter die "eigenen Bestimmungen der Kasse" gemäss Art. 30bis Abs. 1 KUVG
einzuordnen. Im Streitfall ist der Sozialversicherungsrichter zuständig.

Sachverhalt

    A.- Verena Wenk hat Wohnsitz in der Schweiz, arbeitet aber
während etwa drei Vierteln des Jahres als Musikpädagogin in
Berlin. Seit dem 1. Juni 1977 ist sie im Rahmen des zwischen der
Krankenkasse "Krankenfürsorge Winterthur" (nachstehend Kasse genannt)
und dem Schweizerischen Musikpädagogischen Verband abgeschlossenen
Kollektivversicherungsvertrages für ein Kranken- und Unfallgeld von
Fr. 100.-- ab dem 1. Arbeitsunfähigkeitstag versichert. Dem Aufnahmegesuch
vom 18. Juni 1977 hatte sie die schriftliche Erklärung beigefügt, dass
sie sich nur etwa drei Monate jährlich in der Schweiz aufhalte und es
für sie wichtig sei, das Taggeld bei Erkrankung im Ausland nicht bloss
im Hospitalisierungsfall zu erhalten. In der Folge bezahlte die Kasse
bei Arbeitsunfähigkeitsperioden während der Tätigkeit der Versicherten
in Berlin, auch wenn diese nicht hospitalisiert war.

    Am 4. Dezember 1979 verfügte die Kasse, dass sie Verena Wenk
das versicherte Taggeld gestützt auf Art. 29 Abs. 2 AVB während der
Landesabwesenheit nur noch im Hospitalisierungsfall ausrichte; darüber
hinausgehende Leistungen habe die Kasse bisher lediglich auf freiwilliger
Basis erbracht, was indessen nicht mehr fortgesetzt werden könne. Die
hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt am 28. März 1980 gut mit der Begründung, dass zwischen der
Kasse und der Versicherten eine verbindliche Sonderregelung bestehe, die
als besondere Vertragsbedingung den allgemeinen Versicherungsbedingungen
(AVB) vorgehe. Die Kasse ergriff gegen diesen Entscheid kein Rechtsmittel.

    Mittels Verfügung vom 17. März 1981 kündigte die Kasse die
Sonderregelung mit Verena Wenk auf den 30. Juni 1981.

    B.- Verena Wenk liess diese Verfügung mit Beschwerde anfechten. Das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt trat darauf jedoch
nicht ein, da es zum Schluss gelangte, dass die Ansprüche aus der
fraglichen Sonderregelung zwischen Kasse und Versicherter nicht
im Sozialversicherungsrecht wurzle, sondern aufgrund einer rein
privatrechtlichen Abmachung bestehe. Es hielt daher den Zivilrichter für
zuständig, über die geltend gemachten Ansprüche zu befinden.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Verena Wenk die
Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Rückweisung der Sache an das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zur materiellen Beurteilung
beantragen.

    Die Kasse hat keine Vernehmlassung eingereicht. Das
Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Kasse mit ihrer
Verfügung vom 17. März 1981 über Ansprüche im Sinne von Art. 30bis Abs. 1
KUVG entschieden hatte. Nach Art. 30bis Abs. 1 KUVG bezeichnen die Kantone
als einzige kantonale Instanz ein für das ganze Kantonsgebiet zuständiges
Versicherungsgericht zur Beurteilung von Streitigkeiten der Kassen unter
sich oder mit ihren Versicherten oder Dritten über Ansprüche, die aufgrund
des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes (KUVG), der eidgenössischen
oder kantonalen Ausführungsvorschriften oder der eigenen Bestimmungen
der Kassen erhoben werden.

Erwägung 2

    2.- Die Krankengeldversicherung ist Teil der sozialen
Krankenversicherung (Art. 12 Abs. 1 und Art. 12bis KUVG), und zwar sowohl
in der Form der Einzelversicherung als auch der Kollektivversicherung
(Art. 5bis KUVG). Nichts deutet darauf hin, dass der vorliegende
Kollektivversicherungsvertrag anders einzuordnen wäre. Die Beurteilung
der daraus fliessenden Leistungsansprüche der Versicherten fällt daher
in die Zuständigkeit des Sozialversicherungsrichters gemäss Art. 30bis
Abs. 1 und 2 KUVG.

    Das trifft auch dann zu, wenn die Kasse einem Mitglied im Rahmen
einer individuellen Sonderordnung Taggeldansprüche einräumt, die
ihm aufgrund der ordentlichen statutarischen oder reglementarischen
Kassenbestimmungen eigentlich nicht zukommen könnten. Solche Sonderfälle
sind in der Regel ebenfalls vom sozialen Krankenversicherungsrecht des
Bundes beherrscht. Hiebei sind insbesondere die allgemeinen Grundsätze
des KUVG - beispielsweise das Prinzip der Gegenseitigkeit (Art. 3
Abs. 3 KUVG) und das darin enthaltene Gebot der Gleichbehandlung -
beachtlich. Gleiches gilt hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze des
übrigen Bundessozialversicherungsrechts und Verwaltungsrechts, worunter
namentlich auch das Prinzip von Treu und Glauben fällt. Derartige - in
Abweichung von den ordentlichen Kassennormen zugestandene - individuelle
Sonderregelungen sind unter die "eigenen Bestimmungen der Kassen" im
Sinne von Art. 30bis Abs. 1 KUVG einzuordnen. Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz vermag im vorliegenden Fall auch die Art des Zustandekommens der
individuellen Sonderordnung hinsichtlich der streitigen Angelegenheit an
der sozialversicherungsrechtlichen Natur des Rechtsverhältnisses zwischen
den Parteien nichts zu ändern.

    Aus dem Gesagten folgt, dass die Kasse die "Kündigung" der
Sonderregelung zu Recht in die Form einer beschwerdefähigen Verfügung
(Art. 30 Abs. 1 KUVG) kleidete. Die Vorinstanz hätte daher auf die hiegegen
erhobene Beschwerde eintreten müssen. Die Sache geht demzufolge an die
Vorinstanz zurück, damit sie materiell entscheide.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 11. September 1981
aufgehoben und es wird die Sache an dieses zurückgewiesen, damit es in
der Sache materiell entscheide.