Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 48



108 IV 48

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. März
1982 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 312 StGB; Amtsmissbrauch.

    Unter diese Bestimmung können nur jene unzulässigen Verfügungen
und Massnahmen fallen, die der Beamte kraft seines Amtes, in Anwendung
seiner hoheitlichen Gewalt, trifft. Der Polizeibeamte, der einer von
ihm festgenommenen Person spontan ins Gesicht schlägt, weil sie ihn mit
Schimpfwörtern in seiner Ehre als Mensch verletzte, begeht daher keinen
Amtsmissbrauch, sondern ist allenfalls wegen Tätlichkeit strafbar.

Sachverhalt

    A.- In der Nacht vom 17. zum 18. April 1980 waren die
Polizeibeamten X. und Y. beauftragt, Personen anzuhalten, die der
Beteiligung an Schmierereien an der Fassade des Gebäudes des britischen
Generalkonsulats in Zürich verdächtig waren. Den beiden Beamten gelang
es, Frau B. und W. zu stellen. W. konnte fliehen. Er wurde von X. nach
einer Verfolgungsjagd über rund einen Kilometer durch das Seefeldquartier
gefasst und zum Streifenwagen zurückgebracht, bei dem in der Zwischenzeit
der Polizeibeamte Y. mit Frau B. gewartet hatte. Nachdem X. den W. auf
die Sinnlosigkeit seiner Flucht und die Gefahr des Schusswaffengebrauchs
aufmerksam gemacht hatte, äusserte Frau B. sinngemäss, es wäre nicht
das erste Mal, dass jemand von der Polizei grundlos abgeknallt würde,
das kenne man inzwischen, das sei das Einzige, was die Polizei machen
könne. Darüber hinaus beschimpfte Frau B. den Polizeibeamten X. und
seinen Kollegen mit Wörtern wie "Dreckhüng", "Dreckchaibe", "Dreckmore",
"Drecksau", "Sauhund". Auf diese Beschimpfungen reagierte X. mit einem
Schlag mit dem Handrücken der offenen Hand gegen das Kinn von Frau B.

    B.- Am 7. Juli 1981 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichts Zürich X. von der Anschuldigung des Amtsmissbrauchs und -
in Anwendung von Art. 177 Abs. 3 StGB - der Tätlichkeit frei, überband
ihm aber die Verfahrenskosten.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft sprach das Obergericht des Kantons
Zürich X. am 10. November 1981 des Amtsmissbrauchs und der Tätlichkeit
schuldig. Für den Amtsmissbrauch bestrafte es ihn mit einer bedingt
vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 300.--; hinsichtlich der Tätlichkeit
nahm es in Anwendung von Art. 177 Abs. 3 StGB (Retorsion) von einer
Bestrafung Umgang.

    C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben und die
Sache zu seiner Freisprechung von der Anschuldigung des Amtsmissbrauchs
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 312 StGB werden Mitglieder einer Behörde oder
Beamte, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen
unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil
zuzufügen, mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Gefängnis bestraft. Der
Kassationshof hat diesen namentlich in bezug auf die Tathandlung sehr
allgemein umschriebenen Tatbestand einschränkend ausgelegt und erkannt,
dass nur derjenige im Sinne von Art. 312 StGB die Amtsgewalt missbraucht,
welcher die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig
anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt (Zwang ausübt), wo es nicht
geschehen dürfte (BGE 76 IV 286; 104 IV 22, 101 IV 410, 99 IV 13, 88 IV
70; s. auch LOGOZ, Commentaire, N. 4 zu Art. 312, S. 750, STRATENWERTH,
BT II, S. 340).

Erwägung 2

    2.- a) Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass der Polizeibeamte
X. und sein Kollege auch dann noch "in amtlicher Funktion tätig" waren,
als sie mit den festgenommenen B. und W. auf das Eintreffen des per Funk
herbeigerufenen Gefangenenwagens warteten, und dass von einer "zwanglos
verbrachten Wartezeit" (so das Urteil des Einzelrichters) keine Rede sein
kann. Aus dem Umstand allein, dass die beiden Polizeibeamten auch während
dieser Wartezeit in amtlicher Funktion tätig waren, zumal sie ja die
beiden Festgenommenen zu bewachen hatten, lässt sich jedoch entgegen der
Auffassung des Obergerichts nicht ableiten, der inkriminierte Schlag stelle
- wie die Verfolgung, Festnahme und Bewachung usw. - eine "dienstliche
Verrichtung" dar und erfülle, da er unter den gegebenen Umständen
unzulässig war, den objektiven Tatbestand von Art. 312 StGB. Diese
Bestimmung erfasst nicht sämtliche pflichtwidrigen Handlungen, die ein
mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter bei Gelegenheit der Erfüllung
seiner Pflichten ausführt; unter den Tatbestand des Amtsmissbrauchs können
nach der bereits erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur jene
unzulässigen Verfügungen und Massnahmen fallen, die der Beamte kraft
seines Amtes, in Anwendung seiner hoheitlichen Gewalt, trifft.

    b) Nach der von der Vorinstanz in einem andern Zusammenhang
vertretenen Auffassung stellt der inkriminierte Schlag eine "geradezu
klassische Retorsion" dar. Damit bringt das Obergericht zum Ausdruck,
die Maulschelle sei eine spontane Reaktion des durch die Schimpfwörter wie
"Sauhund", "Drecksau" usw. in seiner Ehre als ehrbarer Mensch verletzten
Polizeibeamten X. gewesen. Wie im erstinstanzlichen Urteil und in
der Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausgeführt wird, deutet nichts
darauf hin, dass X. die Frau B. mit dem Schlag an der Flucht hindern
oder sie veranlassen wollte, irgendwelche Aussagen oder Zugeständnisse
zu machen, in den Polizeiwagen einzusteigen oder sonstige Anordnungen
zu befolgen. Der Beschwerdeführer übte mithin nicht kraft seines Amtes
Zwang aus, als er Frau B. den Schlag versetzte. Art. 312 StGB ist daher
entgegen der Ansicht des Obergerichts nicht anwendbar. Die Beschwerde ist
demnach gutzuheissen, womit indessen nicht gesagt ist, dass der erteilte
Schlag zu billigen sei. Der Beschwerdeführer wurde deswegen zu Recht der
Tätlichkeit schuldig gesprochen, und das vorinstanzliche Urteil blieb in
diesem Punkte unangefochten.