Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 202



108 IV 202

50. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 17. September 1982 i.S. R.
gegen Bundesamt für Energiewirtschaft (Beschwerde) Regeste

    Art. 99 Abs. 1 VStrR; Anspruch auf Entschädigung für Nachteile aus
materiell ungerechtfertigtem Strafbescheid.

    Die Entschädigungspflicht gemäss Art. 99 Abs. 1 VStrR gilt analog
für nachteilige Folgen von Strafbescheiden nach Art. 62 VStrR (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 99 Abs. 1 VStrR ist dem Beschuldigten, gegen den das
Verfahren eingestellt wird, auf sein Begehren eine Entschädigung für
die Untersuchungshaft und für andere Nachteile, die er erlitten hat,
auszurichten; sie kann jedoch ganz oder teilweise verweigert werden, wenn
er die Untersuchung schuldhaft verursacht oder das Verfahren mutwillig
erschwert oder verlängert hat.

    a) Dass im vorliegenden Fall Verweigerungsgründe im letztgenannten
Sinne fehlen, wurde vom Bundesamt für Energiewirtschaft selber in
seiner Einstellungsverfügung anerkannt. Es hielt jedoch dafür, dass die
Untersuchungshandlungen für R. nicht objektiv schwer gewesen seien und
er dadurch keinen erheblichen Nachteil erlitten habe.

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht eine
Entschädigungspflicht im Sinne des Art. 99 Abs. 1 VStrR nicht schon für
jeden geringfügigen Nachteil; auch in einem Rechtsstaat hat der Bürger
grundsätzlich das durch die Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung
bedingte Risiko einer gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten
Strafverfolgung bis zu einem gewissen Grad auf sich zu nehmen. Die
Entschädigungspflicht setzt daher eine gewisse Schwere der
Untersuchungshandlungen und einen dadurch bedingten erheblichen Nachteil
voraus (BGE 107 IV 157 E. 5; 84 IV 46/47 E. 2c). Diese Erwägungen
haben zwar ausdrücklich bloss Bezug auf die nachteiligen Folgen einer
Untersuchung. Sie müssen aber analog auch für Nachteile gelten, die dem
Betroffenen aus einem im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Strafbescheid
(Art. 62 VStrR) erwachsen können; denn nach Art. 101 Abs. 1 VStrR hat
das Gericht auch über die Entschädigung für Nachteile im Verfahren
vor der Verwaltung zu entscheiden. Tatsächlich ist es im vorliegenden
Fall nicht bei Untersuchungshandlungen geblieben. Vielmehr wurden gegen
den Beschwerdeführer zwei auf Fr. 400.-- und Fr. 500.-- Busse lautende
Strafbescheide erlassen. Hierin lag für R. eine erhebliche Beschwer,
gegen die er sich legitimerweise im Sinne von Art. 67 VStrR zur Wehr
setzen durfte; hätte er es nämlich nicht getan, wären die Strafbescheide
in Rechtskraft erwachsen. R. wäre diesfalls verurteilt gewesen und hätte
den nicht geringen Bussenbetrag von insgesamt Fr. 900.-- und Kosten von
Fr. 172.-- bezahlen müssen. Soweit er Vorkehrungen traf, die zur Abwendung
jener Folge geboten erschienen und für ihn eine mehr als bloss unbedeutende
finanzielle Belastung zur Folge hatten, lag demnach in dieser ein Nachteil
im Sinne des Art. 99 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 101 Abs. 1 VStrR, für
den er eine Entschädigung fordern kann. Davon geht übrigens auch Art. 11
der Verordnung über Kosten und Entschädigungen im Verwaltungsstrafverfahren
(KEV) aus, der ausdrücklich an Art. 99 und 101 VStrR anschliesst und
eine Entschädigung für die Kosten des Verteidigers (Abs. 2 lit. a), für
insgesamt Fr. 50.-- übersteigende Barauslagen und andere Spesen (lit. b)
und für Verdienstausfall (lit. c) dem Beschuldigten nur versagt, wenn es
sich um unnötige oder übersetzte Kosten handelt (Abs. 3). Voraussetzung
für die Zusprechung einer Entschädigung ist allerdings in jedem Fall,
dass der Ansprecher den behaupteten Nachteil substantiiert (Art. 11 KEV;
BGE 107 IV 157 E. 5).