Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 180



108 IV 180

46. Urteil des Kassationshofes vom 30. November 1982 i.S. Sch. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 251 StGB, Art. 15 VStrR.

    Die Straflosigkeit der Falschbeurkundung im verwaltungsrechtlichen
Bereich schliesst eine subsidiäre Anwendung von Art. 251 StGB aus.

Sachverhalt

    A.- Sch. wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit
Urteil vom 9. Juni 1982 der Urkundenfälschung und der Widerhandlung gegen
das AHVG schuldig erklärt und zu vier Monaten Gefängnis (unter Anrechnung
der Untersuchungshaft) verurteilt.

    B.- Sch. führt gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, die Sache sei zur Freisprechung von der Anklage der
Urkundenfälschung und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Zur Begründung wird geltend gemacht, die vom Beschwerdeführer
erstellte, inhaltlich unwahre Urkunde - ein fingierter Mietvertrag
über einen Sattelschlepper - sei ausschliesslich dazu bestimmt gewesen,
das von den italienischen Fiskalbehörden (Guardia di Finanza in Varese)
beschlagnahmte Fahrzeug herauszuverlangen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts komme aber auf Urkundendelikte, welche ausschliesslich einer
Schädigung des Fiskus dienen, Art. 251 StGB nicht zur Anwendung. Da im
vorliegenden Fall mit der falschen Urkunde ausländische Behörden getäuscht
wurden, sei auch eine Bestrafung nach schweizerischem Fiskalstrafrecht
nicht möglich.

    C.- Das Appellationsgericht hat unter Hinweis auf das motivierte
Urteil die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Staatsanwaltschaft
stellt mit einlässlicher Begründung ebenfalls in diesem Sinne Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach den für den Kassationshof verbindlichen (Art. 277bis Abs. 1
BStP) und zudem unbestrittenen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
sollte das in Frage stehende, inhaltlich unwahre Dokument (Mietvertrag)
dem Beschwerdeführer und den weitern Beteiligten dazu dienen, den von der
Guardia di Finanza zur Deckung von Ansprüchen des italienischen Fiskus
beschlagnahmten Sattelschleppers SO 24'145 wieder freizubekommen. Dass
die inhaltlich unwahre Urkunde zu irgendeinem andern Zweck hätte gebraucht
werden können und dass ein solcher anderweitiger, nicht der Täuschung der
Fiskalbehörden dienender Gebrauch zumindest in Kauf genommen worden sei,
wird von keiner Seite behauptet.

Erwägung 2

    2.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts werden Urkundendelikte,
welche ausschliesslich die ungerechtfertigte Reduktion der Steuerschuld
bezwecken, von den Spezialnormen des Fiskalstrafrechts erfasst; Art. 251
StGB kommt nicht zur Anwendung, wenn der angestrebte unrechtmässige
Vorteil ein Steuervorteil ist, Herstellung oder Gebrauch einer
unwahren oder gefälschten Urkunde sich also ausschliesslich auf das
Steuerveranlagungsverfahren beziehen (BGE 108 IV 27 vgl. auch BGE 106
IV 39; 103 IV 39; 101 IV 57). In der neueren Praxis ist die Abgrenzung
zwischen den fiskalstrafrechtlichen Spezialnormen und Art. 251 StGB
insofern präzisiert worden, als bei einem auch für nichtfiskalische
Zwecke verwendbaren Dokument nicht die objektive Möglichkeit, sondern der
Vorsatz des Täters das Kriterium für die Subsumtion unter Art. 251 StGB
bildet: Hat der Täter mit seiner Fälschung oder Falschbeurkundung nicht
nur einen steuerlichen Vorteil erstrebt, sondern auch eine Verwendung des
Dokumentes im nichtfiskalischen Bereich beabsichtigt oder zumindest in Kauf
genommen, so liegt Konkurrenz zwischen Steuerdelikt und gemeinrechtlichem
Urkundendelikt vor (BGE 108 IV 31/32). Fehlt es am Nachweis eines
solchen Vorsatzes, so erfasst die fiskalstrafrechtliche Ahndung des
nur zu Steuerzwecken begangenen Urkundendeliktes den gesamten Schuld-
und Unrechtsgehalt der Tat (im gleichen Sinne schon Pfund in ASA 1979
S. 21/22).

Erwägung 3

    3.- Die Grundsätze dieser Rechtsprechung werden weder von den
kantonalen Vorinstanzen noch von den Parteien kritisiert. Gegenstand der
Nichtigkeitsbeschwerde ist die Anwendung der vom Bundesgericht entwickelten
Regeln auf den vorliegenden Fall.

    a) Zu beurteilen ist hier nicht ein Sachverhalt, der nach
schweizerischem Recht in inländischen Verhältnissen als Steuerdelikt
erfasst würde, sondern eine Falschbeurkundung, welche der Täuschung einer
Verwaltungsbehörde dienen soll. Dass die in Frage stehende Handlung den
fiskalischen Bereich im weitern Sinn betrifft, ist für die Entscheidung
letztlich nicht massgebend. Es geht vielmehr darum, ob ein solches
Verhalten wegen seiner Angriffsrichtung (Verwaltung, Gemeinwesen)
nicht gemäss Art. 251 StGB, sondern ausschliesslich in Anwendung
allfälliger Spezialnormen zu beurteilen ist. Daher muss das Verhältnis
der allgemeinen Strafnorm (Art. 251 StGB) zu den verwaltungsrechtlichen
Spezialstrafbestimmungen etwas näher abgeklärt werden.

    b) Gemäss Art. 15 VStrR (BG über das Verwaltungsstrafrecht vom
22. März 1974; SR 313.0) werden Urkundendelikte, welche dazu dienen,
einen "nach der Verwaltungsgesetzgebung des Bundes unrechtmässigen
Vorteil zu verschaffen oder das Gemeinwesen am Vermögen oder an andern
Rechten zu schädigen", mit Gefängnis oder Busse bis zu 30'000 Franken
bestraft. Damit hat der Bundesgesetzgeber für die Verwaltungsgesetzgebung
des Bundes eine privilegierende Spezialnorm geschaffen und insoweit
das verwaltungsrechtliche Urkundenstrafrecht sinngemäss dem Art. 251
StGB entzogen.

    Die bisherige Praxis über die Einschränkung des Anwendungsbereichs von
Art. 251 StGB durch privilegierende Spezialnormen bezog sich durchwegs
auf Urkundendelikte im Zusammenhang mit Steuerveranlagungsverfahren
und wurde im wesentlichen nach dem Prinzip des Vorrangs der lex
specialis (Steuerdelikt) gegenüber der lex generalis (Art. 251 StGB)
entwickelt. Art. 15 VStrR erfasst jetzt nicht nur Urkundendelikte
im Steuerveranlagungsverfahren, sondern jede derartige Handlung,
welche sich gegen das Gemeinwesen richtet oder einen nach der
Verwaltungsgesetzgebung unrechtmässigen Vorteil bewirken soll. Abweichend
von der Tatbestandsumschreibung des Art. 251 StGB stellt Art. 15
VStrR die private Falschbeurkundung - das unrichtige Beurkunden einer
rechtlich erheblichen Tatsache - nicht unter Strafe (vgl. PFUND, Das
neue Verwaltungsstrafrecht des Bundes ... in ASA 1973 S. 174; GAUTHIER
in Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, No 46, 1975, S. 49).

    Die Auswirkungen von Art. 15 VStrR auf die Grenzen der Anwendung von
Art. 251 StGB lassen sich folgerichtig nicht einfach so bestimmen, dass
die generelle Norm des Strafgesetzbuches nur dann nicht anwendbar sein
soll, wenn der Tatbestand von Art. 15 VStrR erfüllt ist, aber stets zum
Zuge kommen kann, sobald die Voraussetzungen der Strafbarkeit nach der
Spezialnorm nicht gegeben sind. Eine solche Regelung des gegenseitigen
Verhältnisses der beiden Vorschriften hätte die absurde Konsequenz,
dass die vom Gesetzgeber im Verwaltungsstrafrecht straflos gelassene
Falschbeurkundung im Ergebnis nicht straffrei wäre, sondern sogar unter
eine strengere Strafdrohung (Art. 251 StGB) fiele als die gemäss Art. 15
VStrR zu ahndenden, eindeutig schwereren Verfehlungen. Eine solche
Interpretation stände im Gegensatz zur ratio legis von Art. 15 VStrR
und insbesondere zum Sinn der Nichterwähnung der Falschbeurkundung in
diesem privilegierten Tatbestand; denn damit wollte der Gesetzgeber
nicht die Beibehaltung der (strengern) Strafdrohung von Art. 251 StGB
für die Falschbeurkundung, sondern deren Straflosigkeit (im Bereich des
Verwaltungsstrafrechts) anordnen.

    c) Die Frage der begrenzenden Auswirkung von Art. 15 VStrR auf den
Anwendungsbereich von Art. 251 StGB lässt sich allgemeiner fassen: Muss
aus Art. 15 VStrR der Schluss gezogen werden, dass alle Urkundendelikte,
welche den in dieser Spezialnorm umschriebenen Zwecken dienen, auch
dann nicht gemäss Art. 251 StGB zu ahnden sind, wenn es sich nicht um
Verfehlungen im Bereich der Verwaltungsgesetzgebung des Bundes handelt,
sondern um analoge Taten zum Nachteil anderer Gemeinwesen (Kanton,
Gemeinde)? Die Kantone sind gemäss Art. 335 StGB befugt, im Bereich des
kantonalen Verwaltungsrechts und insbesondere zum Schutze des kantonalen
Steuerrechts Strafbestimmungen aufzustellen. Auf Inhalt und Grenzen dieser
kantonalen Zuständigkeit ist hier nicht näher einzutreten. Dass solche
Spezialstrafnormen gegenüber Art. 251 StGB den Vorrang beanspruchen können,
ist unbestritten. Offen ist aber nach der bisherigen Rechtsprechung,
ob Art. 251 StGB subsidiär auf verwaltungsrechtliche Urkundendelikte
anwendbar ist, soweit Art. 15 VStrR nicht zum Zuge kommt (weil es um die
Durchführung des kantonalen Verwaltungsrechts geht) und eine einschlägige
kantonalrechtliche Strafnorm fehlt. Bejaht man die subsidiäre Anwendbarkeit
von Art. 251 StGB auf die dem Tatbestand des Art. 15 VStrR entsprechenden,
verwaltungsrechtlichen Urkundendelikte im kantonalen Bereich, so bedeutet
dies im Ergebnis, dass eine solche Verfehlung, die sich gegen einen Kanton
oder eine Gemeinde richtet, sofern eine kantonale Spezialnorm fehlt, nach
Bundesrecht strenger bestraft wird als das gleiche Vorgehen gegenüber
der Bundesverwaltung. Diese Konsequenz dürfte sich kaum überzeugend
begründen lassen. Der gegenteilige Schluss, mit Art. 15 VStrR habe
der Bundesgesetzgeber die ganze Regelung der verwaltungsrechtlichen
Urkundendelikte aus dem Art. 251 StGB herausnehmen und gesamthaft der
Spezialgesetzgebung vorbehalten wollen (VStrR, kantonales Strafrecht),
liegt näher. Gegen eine solche Interpretation bestehen insbesondere auch
deswegen keine Bedenken, weil mit der herrschenden Lehre davon auszugehen
ist, dass der Kanton Widerhandlungen gegen sein Verwaltungsrecht auch mit
Vergehensstrafen bedrohen kann (THORMANN-V. OVERBECK II. S. 496; SCHULTZ,
Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., S. 72).

    d) Eine abschliessende Stellungnahme zum Verhältnis VStrR/StGB,
das nicht nur bezüglich der Urkundendelikte, sondern auch bezüglich
des Leistungs- und Abgabebetrugs (Art. 14 VStrR/Art. 148 StGB) der
weitern Klärung bedarf, ist im vorliegenden Fall nicht notwendig; denn
zu beurteilen ist ja nicht eine Handlung, die nach Art. 15 VStrR bei
Begehung gegenüber dem Bund strafbar wäre und nun mangels einer anwendbaren
speziellen Strafnorm allenfalls straflos bleibt, sofern nicht die strengere
lex generalis des Art. 251 StGB subsidiär zum Zuge kommen kann. Es geht im
konkreten Fall um die Herstellung einer echten, aber inhaltlich unwahren
Urkunde, also um eine Falschbeurkundung, welche, soweit sie sich gegen das
Gemeinwesen richtet oder zur Täuschung der Verwaltung dienen soll, durch
Art. 15 VStrR von der Bestrafung ausgenommen wird und aus den dargelegten
Gründen klarerweise nicht subsidiär gemäss Art. 251 StGB geahndet werden
darf. Ist aber bei einem entsprechenden rein inländischen Sachverhalt die
Strafbarkeit ausgeschlossen und eine subsidiäre Anwendung von Art. 251
StGB unzulässig, so muss selbstverständlich auch die zum Nachteil eines
ausländischen Gemeinwesens begangene Falschbeurkundung straflos bleiben.

    Das Appellationsgericht hat die Rechtslage verkannt, indem es
annahm, Art. 251 StGB komme auf alle einschlägigen Sachverhalte
zur Anwendung, soweit nicht eine Spezialnorm die Bestrafung regle
und Vorrang habe. Sinngemäss ergibt sich aber aus Art. 15 VStrR die
Straflosigkeit der Falschbeurkundung im verwaltungsrechtlichen Bereich
und damit der Ausschluss der Anwendung von Art. 251 StGB auf solche
Handlungen. Die Bestrafung des Beschwerdeführers gemäss Art. 251 StGB
wegen Urkundenfälschung in der Form der Falschbeurkundung verletzt daher
Bundesrecht. Zur Klarstellung sei festgehalten, dass die Straflosigkeit
der Falschbeurkundung gemäss Art. 15 VStrR die Kantone nicht hindert,
im Bereich des kantonalen Verwaltungsrechts (unter Einschluss des
Steuerrechts) Falschbeurkundungen allenfalls durch kantonale Spezialnormen
mit Strafe zu bedrohen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Appellationsgerichts-Ausschusses des Kantons Basel-Stadt vom 9. Juni 1982
wird aufgehoben, und die Sache wird zur Freisprechung des Beschwerdeführers
von der Anklage der Urkundenfälschung und zur Neufestsetzung der Strafe
an die Vorinstanz zurückgewiesen.