Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 148



108 IV 148

36. Urteil des Kassationshofes vom 18. Oktober 1982 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.

    Ob die verbüsste mehr als drei Monate dauernde Freiheitsstrafe auf eine
oder mehrere Verurteilungen zurückgeht, ist unbeachtlich. Ausschlaggebend
ist die Verbüssung in einem Zuge.

Sachverhalt

    A.- Das Strafgericht Basel-Land verurteilte M. am 11.  Dezember 1981
wegen fortgesetzter Vernachlässigung von Unterstützungspflichten zu
zwei Monaten Gefängnis und gewährte ihm den bedingten Strafvollzug mit
einer Probezeit von drei Jahren, obschon er in den letzten fünf Jahren
vor der Tat verschiedene Strafen verbüsst hatte (20 Tage Gefängnis wegen
Hehlerei, 2 1/2 Monate Gefängnis wegen Unzucht mit einem Kinde, 3 Wochen
Gefängnis wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten und 3 Monate
Gefängnis unter anderem wegen Diebstahls), davon einmal in einem Zuge
Strafen von zusammen mehr als drei Monaten Dauer. Das Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft bestätigte das Urteil am 24. August 1982.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft führt
Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil sei wegen Verletzung von Art. 41 Ziff. 1 StGB
aufzuheben und die Sache sei zur Verweigerung des bedingten Strafvollzugs
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ist der bedingte Strafvollzug zu
verweigern, wenn der Verurteilte innerhalb der letzten fünf Jahre vor der
Tat wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens eine
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von mehr als drei Monaten verbüsst hat.
Streitig ist lediglich, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall
gegeben sei.

    Der Verurteilte verbüsste in den letzten fünf Jahren vor der Tat
keine Strafe, die vom Richter auf mehr als drei Monate angesetzt worden
war. Dagegen verbüsste er um die Jahreswende 1979/80 in einem Zuge wegen
vorsätzlicher Vergehen zwei Gefängnisstrafen, die zusammen eine Strafdauer
von 111 Tagen - also mehr als drei Monate - ergaben.

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht führte in BGE 99 IV 134 unter anderem aus,
nach dem Sinn des Gesetzes solle der bedingte Strafvollzug nur einem
Verurteilten verweigert werden, der rückfällig geworden sei, obwohl
er vorher eine Strafe von erzieherischer Wirkung (peine éducative)
verbüsst habe; diese Voraussetzung fehle, wenn er getrennt (séparément)
mehrere kurze Gefängnisstrafen verbüsst habe, selbst wenn deren Dauer
zusammengerechnet drei Monate übersteige; in diesem Falle könne ihm der
bedingte Strafvollzug nur wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen
(Erwartung künftigen Wohlverhaltens) verweigert werden. Von dieser
Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlass.

    Entscheidend ist demnach die Frage, ob der Verurteilte in den letzten
fünf Jahren vor der Tat eine Strafe verbüsst habe, welche erziehend
auf ihn hätte einwirken sollen, mit anderen Worten ob er die Wirkungen
des resozialisierenden Vollzugs zu spüren bekommen habe. Strafen von
nicht mehr als drei Monaten Dauer gelten als Warnstrafen ohne besondere
erzieherische Wirkung (s. BGE 99 IV 134, 98 IV 81; SCHULTZ, Einführung
in den allg. Teil des Strafrechts, II, 4. Aufl., S. 102 unten). Werden
mehrere solche Strafen getrennt voneinander vollzogen, so sind auf jeden
einzelnen Strafvollzug die Bestimmungen über die Haft anwendbar (Art. 37bis
Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Der Verurteilte verbüsst in jedem einzelnen Falle
eine Warnstrafe ohne erzieherischen Einfluss. Die getrennte Verbüssung von
mehreren Gefängnisstrafen, von denen jede weniger als drei Monate beträgt,
vermag demnach objektiv die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs noch
nicht zu begründen, selbst dann nicht, wenn die verschiedenen Strafen
zusammengerechnet mehr als drei Monate ergeben.

    Anders verhält es sich indessen, wenn mehrere kurze Gefängnisstrafen
in einem Zuge verbüsst werden. Für diesen Fall verweist Art. 37bis Ziff. 1
Abs. 2 StGB auf Art. 397bis Abs. 1 lit. a StGB, welcher den Bundesrat
ermächtigt, ergänzende Bestimmungen aufzustellen. Der Bundesrat hat davon
Gebrauch gemacht und in Art. 2 Abs. 2 lit. a VStGB 1 angeordnet, mehrere
gleichzeitig zu verbüssende Gefängnisstrafen seien nach Art. 37 StGB zu
vollziehen, wenn ihre Gesamtdauer mehr als drei Monate betrage. Art. 37
Ziff. 1 Abs. 1 StGB bestimmt aber, dass derartige Gefängnisstrafen
erziehend auf den Gefangenen einwirken und ihn auf den Wiedereintritt
in das bürgerliche Leben vorbereiten sollen. Werden also mehrere kurze
Gefängnisstrafen von zusammen mehr als drei Monaten Dauer in einem Zuge
verbüsst, bekommt der Verurteilte die erzieherische Wirkung eines solchen
Vollzugs zu spüren. Wenn er dann innert fünf Jahren trotzdem erneut
delinquiert, rechtfertigt es sich, ihm den bedingten Strafvollzug aus dem
objektiven Grunde des Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB zu verweigern. Bei dieser
Betrachtungsweise kann es keine Rolle spielen, ob die mehr als drei Monate
dauernde Strafverbüssung auf eine oder mehrere Verurteilungen zurückgeht.

    Zum gleichen Ergebnis gelangt man im übrigen, wenn man sich die
Regelung von Art. 68 Ziff. 1 StGB vor Augen führt, welche Bestimmung
den Täter erfasst, der durch eine oder mehrere Handlungen mehrere
Freiheitsstrafen verwirkt hat. Nicht zweifelhaft kann dabei sein, dass der
vorangehende Vollzug einer nach Art. 68 Ziff. 1 StGB für mehrere Delikte
ausgefällten Strafe von über drei Monaten gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2
StGB den bedingten Strafvollzug ausschliesst. Es würde indessen jeder
vernünftigen Begründung entbehren, wenn zwar die durch gleichzeitige
Beurteilung erfolgte "Zusammenfassung" von Strafen für mehrere Delikte
(Art. 68 StGB) zum objektiven Ausschluss des bedingten Strafvollzugs
führen würde, bei getrennter Beurteilung der gleichen Delikte aber der
gemeinsame Vollzug der ausgefällten Strafen (Art. 2 VStGB 1) für eine
spätere Anwendung von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB nicht die gleiche
Wirkung hätte, d.h. nicht als eine Strafe zu werten wäre.

    Die Vorinstanz äusserte Bedenken, dass es bei dieser Regelung
von Zufälligkeiten oder Umständen, für welche der Verurteilte nicht
einzustehen und auf welche er keinen Einfluss habe, abhängen könne,
ob der Strafvollzug aus objektiven Gründen im Sinne der genannten
Bestimmung zu verweigern sei; wenn die verschiedenen Strafen auf
Drängen des Verurteilten oder auf Veranlassung der Vollzugsbehörden
(z.B. aus organisatorischen Gründen) getrennt vollzogen werden, sei der
bedingte Strafvollzug objektiv noch möglich, im andern Falle dagegen
nicht. Derartige Ungleichheiten werden indessen weitgehend vermieden,
wenn die Strafvollzugsbehörden die Bestimmungen der Art. 2 und 3 VStGB 1
über die gleichzeitig vollziehbaren Freiheitsstrafen beachten. Sollten
entgegen diesen Bestimmungen einmal mehrere kurze Gefängnisstrafen
von zusammen mehr als drei Monaten Dauer getrennt vollzogen werden,
so dass bei einer neuen Verurteilung die objektiven Voraussetzungen für
die Gewährung des bedingten Strafvollzugs gegeben wären, so müsste dies
nicht zwangsläufig eine ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber Fällen
bedeuten, in denen mehrere kurze Freiheitsstrafen zu einem drei Monate
übersteigenden Strafvollzug zusammengefasst werden. Sind nämlich die
neben den objektiven ebenso zu prüfenden subjektiven Bedingungen nicht
erfüllt, wäre der bedingte Strafvollzug immer noch aus diesem Grunde zu
verweigern. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die Sache ist zur
Verweigerung des bedingten Strafvollzugs infolge Fehlens der objektiven
Voraussetzungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.