Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IV 112



108 IV 112

28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Oktober 1982 i.S. S.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 33 Abs. 3 der Verordnung über Bau und Ausrüstung der
Strassenfahrzeuge (BAV). Fahrtschreiberaufzeichnungen als Beweismittel.

    Art. 33 Abs. 3 BAV, wonach bestimmte Motorfahrzeuge mit einem
Fahrtschreiber zur Kontrolle der Arbeits- und Ruhezeit und zur Abklärung
von Unfällen ausgerüstet sein müssen, enthält keine abschliessende
Aufzählung der zulässigen Verwendungsmöglichkeiten dieses Instruments und
verbietet nicht die Berücksichtigung von Fahrtschreiberaufzeichnungen zu
Zwecken, die in dieser Bestimmung nicht genannt sind, z.B. zum Beweis von
einige Stunden vor einem Unfall begangenen Übertretungen der Vorschriften
über die Höchstgeschwindigkeit (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Am 10. August 1981, kurz nach 08.00 Uhr, überquerte S.
mit seinem Sattelschlepper die Kreuzung Ringstrasse/Scalettastrasse in
Chur bei Rotlicht. Sein Fahrzeug kollidierte mit einem korrekt von links
herannahenden Personenwagen. Die Auswertung der dem Sattelschlepper zur
Unfallabklärung entnommenen Fahrtschreiber-Diagrammscheibe ergab, dass
dieses Fahrzeug an jenem Vormittag in der Zeit zwischen 04.05 Uhr und
08.00 Uhr mehrmals mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 km/h gefahren
worden war.

    Der Kreisgerichtsausschuss Chur sprach S. auf dessen Einsprache hin am
22. April 1982 vom Vorwurf der Überschreitung der für Sattelmotorfahrzeuge
auf Autobahnen und Autostrassen zulässigen Höchstgeschwindigkeit von
80 km/h (Art. 5 Abs. 2 VRV) frei und bestrafte ihn wegen Missachtung
des Lichtsignals mit einer Busse von Fr. 100.--. Auf Berufung der
Staatsanwaltschaft verurteilte der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
S. am 16. Juni 1982 wegen Missachtung eines Lichtsignals und Überschreitung
der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (Art. 5 Abs. 2 VRV) gestützt auf
Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer bedingt vollziehbaren Haftstrafe von 8 Tagen
und zu einer Busse von Fr. 200.--.

    Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S. die Aufhebung
der Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit,
eventuell die Herabsetzung der Strafe.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er gemäss den
Aufzeichnungen des Fahrtschreibers am Morgen des 10. August 1981 die
für Sattelmotorfahrzeuge auf Autobahnen und Autostrassen zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (Art. 5 Abs. 2 VRV) überschritten
hat. Er macht aber geltend, die Fahrtschreiber-Diagrammscheibe dürfe in
seinem Fall nicht als Beweismittel herangezogen und er könne daher wegen
der allein durch das Diagramm ausgewiesenen Überschreitung der zulässigen
Geschwindigkeit nicht bestraft werden. Zur Begründung beruft er sich auf
Art. 33 Abs. 3 BAV sowie auf die Weisungen des EJPD vom 11. September
1972 über Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr. Art. 33 Abs. 3
BAV lautet:

    "Mit einem Fahrtschreiber zur Kontrolle der Arbeits- und Ruhezeit und
   zur Abklärung von Unfällen müssen ausgerüstet sein:

    ..."
   bzw.

    "Doivent être équipés d'un tachygraphe permettant de contrôler la
   durée du travail et du repos et de déterminer les vitesses en cas
   d'accident:

    ..."
   bzw.

    "Devono essere muniti di un odocronografo che permetta di controlare
   la durata del lavoro e del riposo e di chiarire un infortunio:

    ..."

    Der Beschwerdeführer zieht aus dieser Bestimmung den
Umkehrschluss, "dass der Fahrtschreiber als Beweismittel für andere
als die bezeichneten Verkehrsregelverletzungen nicht Verwendung finden
darf". Der Fahrtschreiber darf seines Erachtens nicht zum nachträglichen
Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung herangezogen werden,
die zu keinem Unfall geführt hat. Art. 33 Abs. 3 BAV enthält nach
Ansicht des Beschwerdeführers "mithin eine gesetzliche Beschränkung der
grundsätzlich freien richterlichen Beweiswürdigung". Diese Auffassung,
die der Kreisgerichtsausschuss Chur namentlich gestützt auf die Weisungen
des EJPD vom 11. September 1972 über Geschwindigkeitskontrollen im
Strassenverkehr teilte, wurde von der Vorinstanz mit Recht verworfen.

    b) Art. 33 Abs. 3 BAV bestimmt nicht, zu welchen Zwecken bzw. in
welchen Fällen die Fahrtschreiberaufzeichnungen verwendet werden dürfen,
sondern gibt an, zu welchen Zwecken die dort genannten Fahrzeuge mit
Fahrtschreibern ausgerüstet sein müssen. Art. 33 Abs. 3 BAV deutet
die Gründe an, die den Gesetzgeber bewogen haben, für bestimmte
Fahrzeugkategorien ein Fahrtschreiber-Obligatorium einzuführen. Der
Fahrtschreiber ist ein allgemein anerkanntes Mittel zur Unfallabklärung
und zur Unfallbekämpfung. Der Fahrzeuglenker wird die Vorschriften über
die Arbeits- und Ruhezeit sowie die zulässige Höchstgeschwindigkeit eher
befolgen, wenn er weiss, dass deren Einhaltung mittels des Fahrtschreibers
überprüft werden kann. Der Gesetzgeber erachtete es als notwendig,
für bestimmte Fahrzeugkategorien, die aus verschiedenen Gründen - hohe
Kilometerleistung, Einsatz zu Erwerbszwecken, System der Entlöhnung der
Chauffeure usw. - verhältnismässig häufig in Unfälle verwickelt sind, den
Einbau von Fahrtschreibern anzuordnen (siehe zum Ganzen etwa den Bericht
des EJPD vom 31. August 1970 zum "Einbau des Fahrtschreibers in Taxis
mit städtischer Sonderregelung - Eine Notwendigkeit oder überspitzter
Perfektionismus?", insbes. S. 7 ff.). Art. 33 Abs. 3 BAV ist das Ergebnis
solcher Überlegungen. Aus dieser Bestimmung geht zudem hervor, dass die
Fahrtschreiber so beschaffen sein und in der Weise in Betrieb gehalten
werden müssen, dass die genannten Ziele erreicht werden können. Mehr
lässt sich Art. 33 Abs. 3 BAV nicht entnehmen.

    Die Bestimmung nennt somit jene Verwendungsmöglichkeiten
des Fahrtschreibers, die den Gesetzgeber zur Schaffung des
Fahrtschreiber-Obligatoriums für gewisse Fahrzeugkategorien
veranlassten. Indem der Gesetzgeber die für ihn massgebende Zweckbestimmung
des Fahrtschreibers in Art. 33 Abs. 3 BAV ausdrücklich bezeichnete, hat
er entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht zugleich die übrigen
Verwendungsmöglichkeiten dieses Instruments, die er allenfalls gar nicht
bedacht hatte und welche für ihn jedenfalls nicht bestimmend waren, als
unzulässig ausgeschlossen. Dass die Ausrüstung gewisser Fahrzeugkategorien
mit Fahrtschreibern "nicht vorgeschrieben (wurde), damit nachträglich nach
Geschwindigkeitsverletzungen gesucht werden kann, die nicht anderweitig
festgestellt wurden", wie in den bereits erwähnten Weisungen des EJPD
vom 11. September 1972 zutreffend festgehalten wird, ist demnach entgegen
der Ansicht des Departements insoweit unerheblich. Art. 33 Abs. 3 BAV
verbietet nicht die Berücksichtigung von Fahrtschreiberaufzeichnungen zu
Zwecken, die in dieser Bestimmung nicht genannt sind.

    Eine Einschränkung des fundamentalen Grundsatzes der freien
Beweiswürdigung durch ein Beweismittelverbot bedarf einer klaren und
eindeutigen gesetzlichen Regelung in dem Sinne, dass die in Art. 33
Abs. 3 BAV enthaltene Aufzählung der Verwendungszwecke ausdrücklich
als abschliessend bezeichnet oder jede anderweitige Verwendung des
Fahrtschreibers ausdrücklich als unzulässig erklärt würde. Das ist hier
nicht der Fall.

    Ob es zulässig wäre, anhand der Einlageblätter des Fahrtschreibers
nachträglich und systematisch die gefahrene Geschwindigkeit zu überprüfen
und einen Fahrzeuglenker wegen der sich aus den Einlageblättern
ergebenden Geschwindigkeitsüberschreitungen zu bestrafen, nachdem
die Behörden bei der Diskussion um Art. 33 Abs. 3 BAV mehrfach betont
hatten, dass es nicht um eine derartige systematische Kontrolle und
Erfassung aller Geschwindigkeitsüberschreitungen gehe (siehe etwa den
bereits zitierten Bericht des EJPD vom 31. August 1970, S. 10, 17),
braucht hier nicht untersucht zu werden. Die Vorinstanz bestrafte den
Beschwerdeführer lediglich wegen der von ihm am Unfalltag begangenen
Geschwindigkeitsüberschreitungen, die durch Auswertung der anlässlich
des Unfalls sichergestellten Diagrammscheibe festgestellt wurden. Weder
Art. 33 Abs. 3 BAV noch eine andere Bestimmung des Bundesrechts verbieten
ein solches Vorgehen.