Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 393



108 II 393

76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Juni 1982 i.S. X.
und Y. gegen Z. (Berufung) Regeste

    Familienstiftung (Art. 335 ZGB).

    Eine Familienstiftung, deren Zweck es ist, ein ihr gehörendes
Landhaus und weitere Vermögenswerte den Familienangehörigen des Stifters
zu erhalten, ist unzulässig, auch wenn das Haus nicht nur als Ferienhaus,
sondern auch als Zufluchtsstätte für Notzeiten dienen soll.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- Nach Art. 335 Abs. 1 ZGB kann ein Vermögen mit einer Familie
dadurch verbunden werden, dass zur Bestreitung der Kosten der Erziehung,
Ausstattung oder Unterstützung von Familienangehörigen oder zu ähnlichen
Zwecken eine Familienstiftung errichtet wird. Nach Absatz 2 der gleichen
Bestimmung ist die Errichtung von Familienfideikommissen nicht mehr
gestattet.

    a) Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die im Gesetz
enthaltene Aufzählung der Zwecke, zu denen Familienstiftungen errichtet
werden dürfen, abschliessend. Diese Zwecke stimmen darin überein, dass den
zum Kreise der Begünstigten gehörenden Familienangehörigen in bestimmten
Lebenslagen (im Jugendalter, bei Gründung eines eigenen Hausstandes
oder einer eigenen Existenz, im Falle von Not) zur Befriedigung der
daraus sich ergebenden besonderen Bedürfnisse Hilfe geleistet werden
soll. Unter den in Art. 335 Abs. 1 ZGB erwähnten "ähnlichen Zwecken"
können nur solche gemeint sein, die ebenfalls darin bestehen, den
Familiengliedern in bestimmten Lebenslagen jene materielle Hilfe zu
gewähren, die unter den gegebenen Umständen als nötig oder wünschbar
erscheint. Den Familienangehörigen ohne besondere Voraussetzungen dieser
Art den Genuss des Stiftungsvermögens oder der Erträgnisse desselben zu
verschaffen, ist nach dem Gesetz nicht zulässig. Sogenannte Unterhalts-
oder Genussstiftungen sind deshalb nach der Rechtsprechung ungültig.
Familienstiftungen, die den Begünstigten Vorteile aus dem Stiftungsvermögen
ohne besondere, an eine bestimmte Lebenslage anknüpfende Voraussetzungen
einfach deshalb zukommen lassen, um ihnen eine höhere oder angenehmere
Lebenshaltung zu gestatten, widersprechen dem Verbot der Errichtung von
Familienfideikommissen (BGE 93 II 448 ff. E. 4 mit Hinweisen; RIEMER,
Systematischer Teil, N. 142). Diese Rechtsprechung hat in der neueren
Literatur einhellige Zustimmung gefunden (vgl. die Zitate bei RIEMER,
Syst. Teil, N. 141), und es besteht kein Anlass, sie in Frage zu stellen.

    b) In BGE 93 II 451 E. 4b hatte das Bundesgericht zu entscheiden, ob
es einen nach Art. 335 Abs. 1 ZGB zulässigen Stiftungszweck darstelle,
eine Burgliegenschaft zu erhalten, um den Familiengliedern und ihren
Gästen dadurch zeitweise den Aufenthalt an einem schönen Ort in einer
im wahren Sinne feudalen Behausung zu ermöglichen und ihnen das mit der
Stellung von Burgherren verbundene Ansehen zu verschaffen. Das Gericht
verneinte dies, da es an einer besonderen, an eine bestimmte Lebenslage
anknüpfenden Voraussetzung fehle.

    c) Nach der durch einen Nachtrag präzisierten Siftungsurkunde besteht
der Zweck der beklagten Stiftung im Erwerb eines Grundstücks ... und
der Errichtung eines Landhauses daselbst sowie in der Erhaltung dieses
Eigentums und anderer Vermögenswerte zugunsten der Familienangehörigen
und Nachkommen der Familie... Die Art der Benützung des Landhauses durch
die Begünstigten wird in der Stiftungsurkunde und ihrem Nachtrag selbst
nicht geregelt. Bezüglich der Berechtigung im allgemeinen wird hingegen
auf ein vom Stiftungsrat zu erlassendes und jederzeit abänderbares
Stiftungsreglement verwiesen. In Ziffer 4 dieses Reglements wird
bestimmt, der Stiftungsrat könne auch einen gewissen Turnus in bezug
auf die Bewohnung des Chalets festsetzen, und zwar in der Weise, dass
jedes Glied der Familie oder seine Nachfolgerschaft gleichmässig zu
berücksichtigen sei.

    Aus der Stiftungsurkunde ergeben sich somit keinerlei besondere, an
bestimmte Lebenslagen anknüpfende Voraussetzungen für die Erlangung eines
Vorteils aus dem Stiftungsvermögen. Der Stiftungszweck beschränkt sich
vielmehr auf die blosse Erhaltung bestimmter Vermögenswerte zugunsten
der Angehörigen und Nachkommen der Familie des Stifters. Diese
Zweckumschreibung läuft auf eine unzulässige Unterhalts- oder
Genussstiftung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung hinaus. Da
bezüglich der Rechte der Begünstigten am Stiftungsvermögen lediglich
auf ein jederzeit abänderbares Reglement verwiesen wird, ist der
von den Begünstigten selber zu bestellende Stiftungsrat völlig frei,
durch entsprechende Ausgestaltung des Stiftungsreglements den Genuss am
Stiftungsvermögen nach seinem Gutdünken zu ordnen. Es besteht deshalb
rechtlich keine Gewähr dafür, dass das Stiftungsvermögen nicht zu einem
nach Art. 335 ZGB verpönten Zweck verwendet wird. Allein schon dieser Grund
muss zur Nichtigerklärung der beklagten Stiftung führen. Aber auch wenn
zur näheren Bestimmung des Stiftungszwecks auf das Stiftungsreglement
abgestellt werden wollte, was angesichts seiner jederzeitigen
Abänderbarkeit nicht unproblematisch ist, würde sich an der Rechtslage
nichts ändern. Nach diesem Reglement steht jedem Familienglied oder seinen
Nachfolgern ein gleicher Anspruch auf die Benützung des Chalets zu, und
zwar voraussetzungslos. Eine solche Genussberechtigung fällt nicht unter
die im Gesetz als zulässig bezeichneten Zwecke einer Familienstiftung.

    Die Beklagte ist nach dem Gesagten als unzulässige Familienstiftung
zu betrachten. Daran vermag nichts zu ändern, dass für die Auslegung
einer Stiftungsurkunde nach der Rechtsprechung nicht die Regeln
für die Auslegung von Verträgen, insbesondere die Vertrauenstheorie,
heranzuziehen sind, sondern dass eine solche Urkunde vielmehr wie eine
letztwillige Verfügung nach dem Willen des Urhebers auszulegen ist
(BGE 93 II 444 mit Hinweisen). Auch die Auslegung nach dem Willen des
Verfügenden setzt nämlich voraus, dass dieser Wille in irgend einer, wenn
auch vielleicht noch so unvollkommenen Weise in der Urkunde Ausdruck
gefunden hat. Andernfalls würde auf dem Wege der Auslegung etwas in
die Urkunde hineininterpretiert, was nicht darin steht. Dies würde dem
Formerfordernis widersprechen, von dem nicht nur die Gültigkeit einer
letztwilligen Verfügung, sondern nach Art. 81 Abs. 1 ZGB auch diejenige
einer zu Lebzeiten des Stifters errichteten Stiftung abhängt (vgl. BGE
104 II 340 E. 2c; 101 II 33 f. E. 2 mit Hinweisen; 83 II 435 f. mit
Hinweisen). Im vorliegenden Fall bietet die Stiftungsurkunde nicht
den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass die Rechte der Begünstigten am
Stiftungsvermögen von Voraussetzungen abhängig gemacht werden wollten,
die allenfalls den Erfordernissen des Art. 335 Abs. 1 ZGB genügen
könnten. Würde daher auf Grund von ausserhalb der Stiftungsurkunde
liegenden Umständen angenommen, der Wille des Stifters sei in Wirklichkeit
darauf gerichtet gewesen, die Genussberechtigung am Stiftungsvermögen
von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, so würde man etwas in
diese Urkunde hineinlesen, das darin keinen Ausdruck gefunden hat. Die
Beklagte ist demzufolge ungeachtet dessen, welches der wirkliche Wille
des Stifters war, als ungültige Familienstiftung zu betrachten.
   d) Selbst wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen auf
Grund ausserhalb der Stiftungsurkunde liegender Tatsachen ermittelt werden
wollte, welche Art von Genussberechtigung dem Stifter bei Errichtung der
Beklagten wirklich vorschwebte, könnte die Zulässigkeit des auf diese Weise
ergänzten Stiftungszwecks nicht bejaht werden. Würde in Übereinstimmung
mit der Beklagten angenommen, der Stifter habe mit der Errichtung
der Familienstiftung für seine Angehörigen und deren Nachkommen eine
Zufluchtsstätte für Notzeiten schaffen wollen, so hätte es sich dabei nur
um eine von zwei Möglichkeiten der Chaletbenützung handeln können. Näher
lag schon zur Zeit der Stiftungserrichtung die Verwendung des Chalets für
Ferienzwecke. Es ist unbestritten, dass die Liegenschaft bereits in der
Zeit des zweiten Weltkrieges mindestens teilweise zu diesem Zweck gebraucht
wurde und in der Folge sogar ausschliesslich. Dass dem Stifter selber von
allem Anfang an die Benützung des Landhauses ... als Ferienhaus nicht fern
lag, geht aus dem von ihm in seiner Eigenschaft als Stiftungsrat erlassenen
Reglement vom 7. Mai 1942 hervor. Die in Ziffer 4 dieses Reglements
vorgesehene Möglichkeit, dass der Stiftungsrat einen gewissen Turnus für
die Bewohnung des Chalets festsetzen könne, und zwar unter Wahrung des
Anspruchs auf gleichmässige Berücksichtigung jedes Familiengliedes oder
seiner Nachfolger, konnte, wie auch die Beklagte einräumt, nur auf die
Benützung des Hauses zu Ferienzwecken zugeschnitten sein.

    Den Angehörigen einer Familie ein Ferienhaus in schöner Umgebung
zu möglichst gleichmässiger Benützung zur Verfügung zu stellen, fällt
eindeutig nicht unter einen der in Art. 335 Abs. 1 ZGB als zulässig
bezeichneten Zwecke einer Familienstiftung. Das Verbringen von Ferien
in einem Chalet ... kann nicht als eine Hilfeleistung betrachtet werden,
die im Sinne der dargestellten Rechtsprechung an eine bestimmte Lebenslage
anknüpft. Ferien gehören heutzutage für jedermann zum normalen Leben. Wenn
eine Familienstiftung dafür ein Landhaus in einer schönen Gegend zur
Verfügung stellt, leistet sie deshalb einen allgemeinen Beitrag zur
Verbesserung des Lebensniveaus einer Familie. Von einer besonderen
Voraussetzung im Sinne von Art. 335 Abs. 1 ZGB, von der die Leistung
einer Familienstiftung abhängig sein muss, kann hier somit keine Rede sein.

    Dient bereits diese sich aus dem Stiftungsreglement ergebende
Benützungsart des Chalets keinem der in Art. 335 Abs. 1 ZGB vorgesehenen
Zwecke, erübrigt es sich, die Frage der Zulässigkeit der von der Beklagten
in den Vordergrund gestellten Verwendungsart des Hauses als Zufluchtsstätte
noch näher zu prüfen. Der Ferienhauscharakter des Chalets ist sowohl
nach dem Stiftungsreglement wie auch nach dem bisherigen Gebrauch derart
ausgeprägt, dass jene andere Verwendungsmöglichkeit in den Hintergrund
tritt.