Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 228



108 II 228

49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Juli 1982
i.S. Denner AG gegen Schweizerischer Bierbrauerverein und Mitbeteiligte
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 9 Abs. 2 UWG. Umstände, unter welchen ein nicht leicht ersetzbarer
Nachteil angenommen werden kann (Erw. 2b).

    Abwägung der Interessen beider Parteien, insbesondere wenn mit einer
vorsorglichen Massnahme nicht allein der bisherige Zustand sichergestellt,
sondern bereits die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs verlangt wird,
über dessen Bestand der Zivilrichter im ordentlichen Verfahren erst in
Zukunft wird befinden müssen (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- Um die unter ihnen vereinbarte Preisbindung der zweiten
Hand durchzusetzen, hatten der Schweizerische Bierbrauerverein (SBV)
und seine Mitglieder im Herbst 1969 die Denner AG erstmals mit einer
Liefersperre belegt. Am 28. November 1972 erklärte das Bundesgericht
diese Massnahme als zulässig, solange die Denner AG sich der Preisbindung
nicht unterziehe, soweit diese für die 6 dl (heute 58 cl) Mehrwegflasche
Lagerbier einen Minimal-Detailverkaufspreis (Interventionspreis) von 80
bzw. bei harassweisem Verkauf 75 Rp. festsetzte (BGE 98 II 365).

    Ab Herbst 1980 belieferten SBV-Mitglieder die Denner AG erneut mit
ihrem Markenbier, nachdem sich diese verpflichtet hatte, den vom SBV
festgesetzten Interventionspreis von damals Fr. 1.-- einzuhalten. Mit
Wirkung auf 1. November 1981 erhöhte der SBV den Interventionspreis
auf Fr. 1.10. Die Denner AG weigerte sich, dieser Erhöhung zu folgen
und verkaufte die 58 cl Mehrwegflasche Lagerbier weiterhin zu Fr. 1.--,
worauf der SBV sie wiederum mit einer Liefersperre belegte.

    B.- Die Denner AG verlangte beim Einzelrichter im summarischen
Verfahren des Handelsgerichts des Kantons Zürich eine vorsorgliche
Massnahme und beantragte im wesentlichen, der SBV und seine Mitglieder
seien zu verpflichten, den Boykott zu widerrufen. Der Einzelrichter wies am
14. Januar 1982 das Begehren um Erlass vorsorglicher Massnahmen ab. Eine
gegen diese Verfügung gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Denner AG
wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. März 1982 ab.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Denner AG, der
Beschluss des Kassationsgerichts und die Verfügung des Einzelrichters
seien aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 10 KG in Verbindung mit Art. 9 UWG ordnet der
Richter auf Antrag eines Klageberechtigten vorsorgliche Massnahmen
unter anderem zur vorläufigen Vollstreckung streitiger Ansprüche an,
sofern der Antragsteller glaubhaft macht, dass die Gegenpartei eine
vom Kartellgesetz untersagte Wettbewerbsbehinderung begeht und dass ihm
dadurch ein nicht leicht ersetzbarer Nachteil droht, der nur durch eine
vorsorgliche Massnahme abgewendet werden kann.

    a) Der Einzelrichter weist das Gesuch der Denner AG ab, weil der
Gesuchstellerin lediglich ein finanzieller Schaden im Sinne eines ihr
entgehenden Gewinnes drohe; ein solcher Nachteil sei aber nur dann
nicht leicht ersetzbar, wenn die Zahlungsfähigkeit der Gegenpartei zu
Zweifeln Anlass gebe, was im vorliegenden Falle nicht zutreffe. Sodann
führt der Einzelrichter aus, die Gesuchstellerin hätte den drohenden
Schaden abwenden können, indem sie sich für die Dauer des Prozesses den
Preisvorschriften der Gesuchsgegner unterzogen hätte; ausserdem erscheine
ihr Verhalten als rechtsmissbräuchlich, da sie den verhängten Boykott
weitgehend selbst verschuldet und keinerlei Versuche unternommen habe,
mit den Gesuchsgegnern Verhandlungen aufzunehmen.

    Das Kassationsgericht erachtet die Auffassung des Einzelrichters,
wonach die Beschwerdeführerin bis zum Abschluss des Prozesses die
Interventionspreise hätte einhalten können, für unhaltbar; die beiden
anderen Begründungen des Einzelrichters beurteilt es dagegen als jedenfalls
nicht gegen klares Recht verstossend.

    b) Wie der Einzelrichter und das Kassationsgericht zutreffend
ausführen, besteht in Lehre und Rechtsprechung keine einhellige Meinung
darüber, ob und unter welchen Umständen ein bloss finanzieller Schaden
einen nicht leicht ersetzbaren Nachteil im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UWG -
bzw. gleich oder ähnlich lautender Vorschriften in Prozessordnungen
(z.B. Art. 79 Abs. 1 lit. b BZP) und anderen Spezialgesetzen
des Bundes (z.B. Art. 77 PatG, 53 URG, 28 MMG oder 31 MSchG) -
darstelle. Das Bundesgericht hat sich in einem Urteil vom 14. Februar
1968 i.S. Esso/Hafner AG und Konsorten (E. 8a und b, in BGE 94 I 11
nicht, wohl aber in Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen
Rechtsschutz, 1968, S. 48/49, veröffentlicht) auf den Standpunkt
gestellt, entgangener Gewinn, der auf dem Wege der Schadenersatzklage
geltend gemacht werden könne, stelle keinen im Sinne des Gesetzes nicht
wiedergutzumachenden Nachteil dar; in einem weiteren, unveröffentlichten
Urteil vom 20. Juni 1974 i.S. Granax SA/Konventionsreedereien hat es
ausgeführt, diese Auslegung des nicht leicht ersetzbaren Nachteils sei
jedenfalls vertretbar und keineswegs willkürlich. Zum gleichen Ergebnis
sind auch verschiedene kantonale Gerichte und namhafte Autoren gelangt
(Cour de Justice Genève in: Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen
Rechtsschutz, 1975, S. 56; Appellationshof des Kantons Bern, ebenda 1978,
S. 186 E. 3b, sowie Appellationsgerichtspräsident Basel-Stadt in: BJM
1975, S. 199; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2. Aufl. Bd. II, S. 1203;
LEUCH, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons Bern, 3. Aufl.,
N. 6 zu Art. 326, S. 304; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, N. 8 zu § 110, S. 194; VOGEL, in SJZ 1980, S. 96,
Ziff. 1). Lehre und Rechtsprechung nehmen im allgemeinen einen nicht
leicht wiedergutzumachenden Nachteil an, wenn die Zahlungsfähigkeit der
Gegenpartei zu Zweifeln Anlass gibt; LEUCH (aaO) und STRÄULI/MESSMER
(aaO) möchten einen solchen Nachteil auch dann bejahen, wenn der
drohende Schaden nicht leicht zu beweisen sein wird. Etwas weniger strenge
Anforderungen an die Unersetzbarkeit des Nachteils stellen BLUM/PEDRAZZINI
(Das Schweizerische Patentrecht, 2. Aufl., Bd. III, S. 654, lit. c),
und der Obergerichtspräsident des Kantons Basel-Landschaft scheint in
einem Entscheid vom 22. Juni 1979 (Schweizerische Mitteilungen über
gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, 1981, S. 30, E. 3) bereits
das Erfordernis einer Schadenersatzklage als unersetzlichen Nachteil
anzusehen. Dieser Entscheid war zwar Gegenstand einer staatsrechtlichen
Beschwerde an das Bundesgericht; indessen war dort (wie auch im Falle
BGE 96 I 302 und im unveröffentlichten Urteil der I. Zivilabteilung vom
6. Dezember 1977 i.S. Dumex AG/Hoffmann-La Roche) die Frage, ob ein
nicht leicht ersetzbarer Nachteil drohe, nicht mehr streitig (Urteil
der I. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1979 i.S. Inpharzam SA/Beecham
Group, veröffentlicht in Schweizerische Mitteilungen über gewerblichen
Rechtsschutz und Urheberrecht, 1981, S. 32 ff.).

    c) Schon diese Übersicht zeigt, dass die Auffassung des Einzelrichters
und des Kassationsgerichts im vorliegenden Fall jedenfalls nicht als
willkürlich betrachtet werden kann; dies umsoweniger, als - wie bereits
der Einzelrichter in seiner Verfügung darlegt - an die Unersetzbarkeit des
Nachteils grössere Anforderungen gestellt werden müssen, wenn mit einer
vorsorglichen Massnahme nicht allein der bisherige Zustand sichergestellt,
sondern bereits die vorläufige Vollstreckung eines Anspruchs verlangt wird,
über dessen Bestand der Zivilrichter im ordentlichen Verfahren erst in
Zukunft wird befinden müssen. In solchen Fällen müssen die Interessen
beider Parteien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Vorliegend
ergibt sich dabei einerseits, dass die Beschwerdeführerin, sollte sich ihr
Anspruch im Hauptprozess als begründet erweisen, eine finanzielle Einbusse
erleidet, welche die solventen Beschwerdegegner zu ersetzen imstande
sein werden. Dem steht auf Seiten der Beschwerdegegner das Interesse
gegenüber, die Preisbindung der zweiten Hand - die das Bundesgericht
1972 als zulässig erklärt hat - aufrechtzuerhalten. Eine Gutheissung des
Massnahmebegehrens würde einen weitgehenden Zusammenbruch des Preiskartells
zur Folge haben; es müsste nämlich jedem Kunden der Beschwerdegegner
das Recht zugestanden werden, die Interventionspreise zu unterbieten,
sollte er dies beanspruchen. Ob das Preiskartell nach einem allfälligen
Obsiegen der Beschwerdegegner im Hauptprozess wiederhergestellt werden
könnte, scheint fraglich. Die Interessenabwägung fällt somit eindeutig
zu Gunsten der Beschwerdegegner aus. Daran ändert auch die Behauptung
einer drohenden Marktverwirrung nichts. Würde nämlich das Begehren der
Beschwerdeführerin im summarischen Verfahren gutgeheissen, ihre Klage
im Hauptprozess aber abgewiesen, so würde der drohende Zusammenbruch
des Preiskartells eine weit grössere Marktverwirrung schaffen, als sie
allenfalls mit der Abweisung des Massnahmebegehrens eintreten kann.

    Die Beschwerdeführerin hat demnach den drohenden, nicht leicht
ersetzbaren Nachteil nicht glaubhaft gemacht. Das Fehlen dieser
Voraussetzung gemäss Art. 9 Abs. 2 UWG genügt aber, um das Begehren um
Erlass vorsorglicher Massnahmen abzuweisen. Der Einzelrichter und das
Kassationsgericht haben somit Art. 4 BV in keiner Weise verletzt.