Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 213



108 II 213

45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Juni 1982 i.S. Löwe
gegen Mazzetta und Mitbeteiligte (Berufung) Regeste

    Durchgriff im Gesellschaftsrecht, Art. 2 ZGB.

    Auf den Alleineigentümer einer liechtensteinischen Gesellschaft,
deren Haftung auf das Gesellschaftskapital beschränkt ist, kann nur
dann durchgegriffen werden, wenn sich die Berufung auf die rechtliche
Selbständigkeit als rechtsmissbräuchlich erweist (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Die Baugesellschaft Runs überbaute in Laax GR ein Grundstück
in der Absicht, die 16 Wohnungen in Stockwerkeigentum zu verkaufen.
Den Verkauf der Wohnungen übertrugen die Gesellschafter Herbert
Löwe als Mäkler. Weil der Verkauf stockte, wurde der Baufortschritt
gefährdet. Darauf kam es zu einer Vereinbarung der Gesellschafter mit
der von Löwe beherrschten Anstalt für Treuhandfunktionen und Revisionen
(ATR) in Vaduz, durch welche die Finanzierung sichergestellt wurde. In der
Folge entstanden Meinungsverschiedenheiten über den Erlös der inzwischen
verkauften Wohnungen. Die von den Gesellschaftern gegen Löwe angehobene
Klage über Fr. 585'679.80 wurde vom Bezirksgericht Glenner gänzlich,
vom Kantonsgericht von Graubünden teilweise gutgeheissen. Auf Berufung
des Beklagten verneint das Bundesgericht dessen Passivlegitimation und
weist deshalb die Klage ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- Schliesslich vertreten die Kläger den Standpunkt, dass selbst bei
gültigem Vertragsabschluss mit der ATR für deren Verbindlichkeiten auf
den Beklagten als wirtschaftlichen Eigentümer durchgegriffen werden könnte.

    a) Die wirtschaftliche Identität des Beklagten mit der ATR
ist unbestritten. Das Kantonsgericht behandelt jedoch die Anstalt
als vom Beklagten verschiedene Persönlichkeit mit eigenen Rechten und
Pflichten. Das ist ebenfalls nicht streitig und, soweit liechtensteinisches
Recht gilt, der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen. Anerkannt
ist sodann, dass im allgemeinen der Beklagte auch namens der ATR mit den
Klägern verhandelt hat, wobei aber in den Dokumenten eindeutig die Anstalt
als Partner erwähnt wurde und für sie auch andere Personen unterschrieben
haben.

    Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, ist im Verhältnis des
Beklagten zur ATR gleich wie im Verhältnis einer Aktiengesellschaft
zum Alleinaktionär die rechtliche Selbständigkeit grundsätzlich zu
beachten, es sei denn sie werde im Einzelfall rechtsmissbräuchlich,
entgegen Treu und Glauben geltend gemacht (BGE 102 III 170, 98 II 99,
97 II 293 mit Hinweisen; FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht, Band I,
§ 1 N. 84 ff.; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das Schweizerische
Aktienrecht, 2. Auflage, § 46 N. 19 ff.; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss
des Schweizerischen Gesellchaftsrechts, 4. Auflage, § 2 N. 29; MERZ,
N. 287 zu Art. 2 ZGB; HOMBURGER, in SJZ 67/1971, S. 249 ff.).

    Das Bezirksgericht nahm ohne nähere Erklärung an, der Beklagte habe
das Geschäft mit den Klägern unter dem Namen der ATR getätigt, um sich
seinen finanziellen Verpflichtungen zu entziehen. Das Kantonsgericht ist
dem nicht gefolgt, und es wird derartiges vor Bundesgericht auch gar nicht
behauptet. Dagegen anerkennt der Beklagte, dass er das Geschäft über die
ATR getätigt habe, um die Haftungsbeschränkung auf das Anstaltskapital
zu erreichen. Mit Recht hält er dies jedoch für legitim. Es steht
ausser Frage, dass das Gesellschaftsrecht ganz allgemein einer
Haftungsbeschränkung dienen kann, ja geradezu dienen soll. Das hat
selbstverständlich auch dann Geltung, wenn die Gesellschaft illiquid
wird. Was in dieser Weise mehreren Gesellschaftern zugute kommen kann,
muss grundsätzlich auch zugunsten des Alleineigentümers gelten, wie das
für den Alleinaktionär anerkannt ist (FORSTMOSER, aaO, § 1 N. 97 f.;
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, aaO, § 46 N. 19 und 23).

    b) Auch wenn also dieses Vorgehen grundsätzlich erlaubt ist, kann
es nach den besonderen Umständen des Einzelfalls einen Rechtsmissbrauch
darstellen (BGE 85 II 114 E. 3). Nach Ansicht der Vorinstanz fehlen
dafür in den Akten genügende Anhaltspunkte. In der Berufungsantwort
wird der Missbrauch darin gesehen, dass der Beklagte seine Anstalt in
Liquidation habe gehen lassen, obschon sie nach seinem Zugeständnis
den Klägern noch über Fr. 180'000.-- schuldig sei. Dass der Beklagte im
Zusammenhang mit dieser Liquidation unredlich vorgegangen wäre, deuten
die Kläger damit lediglich an. Dies ist nicht nur inhaltlich ungenügend,
sondern offensichtlich auch neu und unzulässig, wurde doch im Plädoyer
vor Kantonsgericht, auf das die Kläger verweisen, einzig die Tatsache
der Liquidation angeführt, ohne dass der Beklagte zusätzlich für diese
verantwortlich gemacht wurde.

    Im übrigen genügt der Umstand allein, dass sich die ATR seit 1975 in
Liquidation befindet, für die Zulassung des Durchgriffs auf den Beklagten
nicht. Die Kläger haben seinerzeit nicht nur mit dem Beklagten persönlich,
sondern auch mit seiner Anstalt Vereinbarungen getroffen und konnten über
diesen Unterschied angesichts der von ihnen damals unterzeichneten Urkunden
nicht im Unklaren sein. Es wäre ihre Sache gewesen, ein Geschäft mit der
ATR abzulehnen, wenn ihnen am Beklagten als Partner gelegen war; nachdem
sie davon absahen, können sie sich nicht mit Hilfe eines Durchgriffs
einfach über die von ihnen geschlossenen Verträge hinwegsetzen. Damit
erweist sich auch dieser Standpunkt der Kläger als unbegründet. Es braucht
daher nicht abgeklärt zu werden, ob sich in der Liquidation der ATR deren
Zahlungsunfähigkeit ergeben hat, was vom Beklagten bestritten wird.