Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 194



108 II 194

41. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. September 1982 i.S.
Stockwerkeigentümergemeinschaft "Chesa Violetta" gegen Edy Toscano AG
(Berufung) Regeste

    Verjährung. Art. 371 Abs. 2, 129 OR.

    Die fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 371 Abs. 2 OR
kann vertraglich verkürzt werden, wenn dem Gläubiger dadurch die
Rechtsverfolgung nicht in unbilliger Weise erschwert wird (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 31. Juli 1969 beauftragten die drei Gesellschafter der
"Baulandgesellschaft Viola" Ingenieur Edy Toscano mit Ingenieurarbeiten
für einen Neubau in St. Moritz. Das Appartementhaus "Chesa Violetta"
wurde 1969/70 erstellt und vor Weihnachten 1970 in Stockwerkeigentum
bezogen. Ab 1971 kam es zu Wassereinbrüchen für die das Ingenieurbüro
hauptverantwortlich erklärt wurde. Für die Kosten der zwischen 1976 und
1979 durchgeführten Sanierung wird nun die 1975 gegründete Edy Toscano
AG haftbar gemacht.

    Die "Stockwerkeigentümergemeinschaft Chesa Violetta", der die
Baulandgesellschaft Viola alle Rechte aus dem Ingenieurvertrag abgetreten
hatte, klagte am 8. September 1980 beim Kantonsgericht Graubünden als
vereinbarter einziger Instanz gegen die Edy Toscano AG auf Zahlung von Fr.
232'211.45 nebst 5% Zins seit 17. Oktober 1974. Das Kantonsgericht
beschränkte das Verfahren vorerst auf die Frage der Verjährung des
eingeklagten Anspruchs. Mit Urteil vom 18. Januar 1982 wies es die Klage
infolge Anspruchsverjährung ab.

    Die Klägerschaft beantragt mit eidgenössischer Berufung, dieses
Urteil aufzuheben und die Sache an das Kantonsgericht zur Fortsetzung
des Beweisverfahrens und Neubeurteilung zurückzuweisen.

    Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Das Kantonsgericht geht zutreffend davon aus, zwischen den
Parteien sei eine zweijährige Verjährungsfrist vereinbart worden, die
auch für versteckte Mängel gelte. Es stellt fest, dass die Bauherrschaft,
ebenfalls von einer zweijährigen Verjährungsfrist ausgehend, die Verjährung
wiederholt unterbrach, letztmals durch Betreibung vom 1. Oktober 1976;
in diesem Zeitpunkt sei ihr die Person des Schädigers bekannt und der
Schaden abschätzbar gewesen; weil gleichwohl bis zur Klageerhebung im
Mai 1980 keine weiteren Unterbrechungshandlungen erfolgt seien, sei der
Anspruch verjährt. Das alles wird mit der Berufung nicht bestritten,
doch wird geltend gemacht, nach Lehre und Rechtsprechung dürfe die
fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 371 Abs. 2 OR zumindest für
versteckte Mängel nicht unterschritten werden.

    a) Das Kantonsgericht lässt offen, ob dieser Einwand grundsätzlich
zutrifft. Es führt aus, er könne jedenfalls nur zugunsten eines
nichtfachkundigen Bauherrn gelten, nicht aber bei dem hier vorliegenden
Zusammenwirken von Architekt, Grossbauunternehmer und Rechtsanwalt. Die
Kläger widersprechen dem zu Recht. Ob die gesetzlichen Verjährungsfristen
zwingend sind oder vertraglich abgeändert werden können, darf aus Gründen
der Rechtssicherheit nicht von solchen subjektiven Gegebenheiten abhängen.

    Das Kantonsgericht meint im nämlichen Zusammenhang, dass die Mängel,
falls sie anfänglich versteckt gewesen sein sollten, spätestens ab
1. Oktober 1976 bekannt waren; ab diesem Zeitpunkt könne daher ohnehin nur
die zweijährige Frist gelten. Demgegenüber verweisen die Kläger zutreffend
auf Art. 137 Abs. 1 OR, wonach mit jeder Unterbrechung die Verjährung von
neuem beginnt. Sollte nach ihrer Darstellung von Anfang an zwingend die
gesetzliche Fünfjahresfrist statt der vereinbarten Zweijahresfrist gegolten
haben, müsste dies demnach auch für die Zeit nach dem 1. Oktober 1976
zutreffen und wäre die Klage im Mai 1980 rechtzeitig erhoben worden. Auf
den Einwand der Kläger ist daher einzugehen.

    b) Art. 129 OR schliesst eine vertragliche Abänderung nur der in
jenem Titel aufgestellten Fristen aus. Die herrschende Lehre lässt daher
für andere Bereiche des Gesetzes und damit auch für Art. 371 Abs. 2 OR
grundsätzlich abweichende Absprachen zu, wobei jedoch im allgemeinen der
Vorbehalt angebracht wird, dem Gläubiger dürfe durch eine Kürzung der
Frist die Rechtsverfolgung nicht in unbilliger Weise erschwert werden
(GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische Obligationenrecht, S. 452; VON
TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts,
Bd. II, S. 217; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar V/2, N. 1 zu Art. 371
OR; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, allgemeiner Teil S. 440,
bes. Teil S. 150; ENGEL, Traité des Obligations, S. 543; GAUTSCHI,
Berner Kommentar VI/2, 3, N. 5d und 28a zu Art. 371 OR; PEDRAZZINI,
in Schweizerisches Privatrecht VII/1, S. 530; GAUCH, Der Unternehmer im
Werkvertrag, 2. Aufl., N. 954; abweichend dagegen SPIRO, Die Begrenzung
privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I §
348). Dem entspricht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 99
II 188, 97 II 354 lit. d, 63 II 180).

    Die Anwendung der vertraglichen Zweijahresfrist hat somit nur dann
der gesetzlichen Frist zu weichen, wenn sich anders eine unbillige
Erschwerung der Rechtsverfolgung ergäbe. Das Kantonsgericht hat das in
einem älteren Urteil für den Fall versteckter Mängel angenommen (SJZ
51/1955 S. 212 Nr. 118; zustimmend GAUTSCHI, aaO). Das kann zutreffen,
wenn die vereinbarte Zweijahresfrist abläuft, bevor die Mängel genügend
erkannt sind, wie das im zitierten früheren Urteil der Vorinstanz der Fall
war. Vorliegend verhält es sich anders. Solange allenfalls von versteckten
Mängeln die Rede sein konnte, ist die zweijährige Frist wiederholt
rechtzeitig unterbrochen worden. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb
die Kläger - als die Mängel und die Verantwortlichkeit des Ingenieurs
festgestelltermassen bereits bekannt waren - nicht wie früher für Wahrung
der vertraglichen Frist besorgt waren, und es erscheint in keiner Weise
als unbillig, sie die Folgen dieses Verhaltens tragen zu lassen.

    Das Kantonsgericht hat daher zu Recht die Verjährungseinrede
geschützt. Die Berufung erweist sich als unbegründet.