Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 190



108 II 190

40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. September 1982 i.S.
Paul Leimgruber & Co. gegen Gribi (Berufung) Regeste

    Art. 259 Abs. 2 OR, Art. 2 ZGB; Kündigungserklärung des Käufers einer
vermieteten Liegenschaft.

    1. Kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Mieters, der sich darauf
beruft, der Erwerber der Mietsache habe die Kündigungserklärung um rund
drei Wochen verspätet abgegeben (E. 2).

    2. Eine Kündigung, die der Käufer der Mietsache ausspricht, bevor er
als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, hat keine Rechtswirkung und
konvalesziert nicht (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Urs Gribi gab der Paul Leimgruber & Co. am 27. März 1980
bekannt, dass er die von ihr gemietete und an Karl Rüedi untervermietete
Liegenschaft Reinacherstrasse 80 in Basel von der Röchling AG erworben und
gemäss Kaufvertrag das Mietverhältnis nicht übernommen habe, er kündige
es deshalb auf den 30. Juni 1980.

    Gribi, der am 31. März 1980 als Eigentümer der Liegenschaft in das
Grundbuch eingetragen worden war, bestätigte am 17. April 1980 der Paul
Leimgruber & Co. gegenüber, den Mietvertrag nicht übernommen zu haben.

    Im April 1980 klagte die Paul Leimgruber & Co. beim Zivilgericht des
Kantons Basel-Stadt gegen Gribi mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass
die mit Schreiben vom 27. März 1980 ausgesprochene Kündigung des Beklagten
für das Mietverhältnis über die Liegenschaft Reinacherstrasse 80 ungültig
sei und demgemäss der Beklagte als in das Mietverhältnis eingetreten gelte.

    Das Zivilgericht hiess die Klage am 13. Januar 1981 gut, das
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt wies sie am 4. Dezember
1981 ab.

    Das Bundesgericht heisst die von der Klägerin gegen dieses Urteil
erhobene Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Appellationsgericht betrachtet den Standpunkt der Klägerin,
der Beklagte sei in den Mietvertrag eingetreten, da seine erste Erklärung
vor dem Eigentumserwerb und die zweite verspätet abgegeben worden sei, als
rechtsmissbräuchlich. Es bestehe ein Missverhältnis zwischen dem Interesse
der Klägerin, die Erklärung genau am 31. März 1980, dem letzten für eine
Kündigung auf den 30. Juni 1980 möglichen Termin, zu empfangen, und dem
Interesse des Beklagten an der Wirksamkeit einer seiner beiden Erklärungen.
Unter diesen Umständen stehe dem Richter gestützt auf Art. 2 Abs. 2 ZGB
die Befugnis zu, ein auf dem Wege richtiger Auslegung gewonnenes Ergebnis
zu korrigieren.

    Die Klägerin beanstandet diese Auffassung zu Recht. Das
Appellationsgericht stützt sie auf MERZ ab, der die Meinung vertritt,
dass bei geringfügigen Zeitüberschreitungen und unwesentlichem Interesse
an der Fristwahrung, dem ein sehr erhebliches Interesse am Nichteintritt
der mit der Säumnis verbundenen Folgen gegenübersteht, die Berufung auf
Rechtsmissbrauch nicht grundsätzlich abgewiesen werden soll (N. 384 zu
Art. 2 ZGB). Dieser Leitsatz könnte von vornherein einzig auf die zweite
Erklärung des Beklagten vom 17. April 1980 Anwendung finden. Offensichtlich
ist aber keine der von MERZ angeführten Voraussetzungen gegeben. Die
Verspätung war mit nahezu drei Wochen nicht geringfügig. Ein
Ungleichgewicht der Interessen wie in dem der Kommentarstelle zugrunde
liegenden Entscheid des Reichsgerichts (RGZ 117, 354) bestand nicht.
Vielmehr war für beide Parteien von grösster Wichtigkeit, dass eine
Kündigung innert Frist erfolge; für den Beklagten, damit er die Klägerin
dem Kaufvertrag entsprechend nicht in der Miete belassen musste, für diese,
damit sie bei ausbleibender fristgemässer Kündigung sicher sein konnte,
dass der Mietvertrag als übernommen gelte. Ist somit ein Missverhältnis
der Interessen zu verneinen, so helfen auch die vom Appellationsgericht
angeführten weiteren Kommentarstellen allgemeiner Natur (MERZ, N. 39 zu
Art. 2 ZGB; EGGER, N. 23 zu Art. 2 ZGB) nicht weiter.

Erwägung 3

    3.- Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung ist allein der Erwerber
der Mietsache zur Kündigung im Sinne des Art. 259 Abs. 2 OR berechtigt,
und seine Erklärung ist nur rechtswirksam, wenn sie erfolgt, nachdem er
als Eigentümer, als an der Sache dinglich Berechtigter in das Grundbuch
eingetragen worden ist (SCHMID, N. 20 zu Art. 259 OR; BECKER, N. 9 zu
Art. 259 OR; REYMOND, in Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, S. 228;
BGE 39 II 470, 42 II 284, Sem. jud. 70 (1948) S. 372). Da mit der Kündigung
ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird, tritt ihre Wirkung unmittelbar mit
dem Zugang beim Empfänger ein. Die Kündigungserklärung kann deshalb nicht
widerrufen werden (SCHMID, N. 14 und 17 zu Art. 267 OR). Aus diesen Gründen
müssen sämtliche Gültigkeitsvoraussetzungen einer derartigen Erklärung
im Zeitpunkt ihres Zuganges gegeben sein und nachträglich hinzutretende
Tatsachen ohne Einfluss auf sie bleiben. Eine Konvaleszenz der Kündigung,
die vom zukünftigen Eigentümer der Mietsache ausgesprochen wurde,
ist daher entgegen VON TUHR/PETER (Schweiz. Obligationenrecht, S. 146
Fussnote 18) ausgeschlossen. Diese Autoren verweisen zur Begründung ihrer
Auffassung auf eine andere Stelle ihres Werkes (§ 28 IV) und ein Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau (SJZ 20 (1923/24) S. 64 Nr. 52). Unter § 28
IV behandeln VON TUHR/PETER indessen lediglich zwei Fälle der Konvaleszenz
bei Verfügungen über fremde Ansprüche, von denen sich die Gestaltungsrechte
aber wegen ihrer unmittelbaren Wirkung gerade unterscheiden. Im Urteil des
Aargauer Obergerichts wird die hier interessierende Frage mit dem Argument
umgangen, da die Kündigung in Übereinstimmung mit den vertraglichen
Vereinbarungen erfolgt sei, könne dem Mieter gleichgültig sein, ob sie
vom Verkäufer oder vom Erwerbe ausgegangen sei. Der dort beurteilte Fall
unterscheidet sich demnach auch vom Sachverhalt her vom hier vorliegenden.

    Eine Konvaleszenz der Kündigungserklärung ist überdies darum
abzulehnen, weil Art. 259 Abs. 2 OR an die unterlassene Kündigung, der die
unwirksame gleichzusetzen ist, die unwiderlegbare Rechtsvermutung knüpft,
dass der Erwerber der Mietsache als in das Mietverhältnis eingetreten gilt
(SCHMID, N. 23 zu Art. 259 OR). Diese Rechtslage ist unvereinbar mit
einem Schwebezustand in bezug auf die Gültigkeit der Kündigung; vielmehr
muss für den Mieter auf den massgeblichen Zeitpunkt hin Klarheit darüber
herrschen, ob das Mietverhältnis gekündigt worden oder der Erwerber der
Mietsache in dieses eingetreten ist.

    Der Beklagte ist nach der unbestrittenen tatsächlichen Feststellung des
Appellationsgerichts am 31. März 1980 als Eigentümer der Liegenschaft im
Grundbuch eingetragen worden. Die von ihm am 27. März 1980 ausgesprochene
Kündigung war demnach unwirksam. Die Bestätigung vom 17. April 1980,
den Mietvertrag nicht übernommen zu haben, erfolgte verspätet; denn
bei einem Erwerb der Liegenschaft am 31. März 1980 hätte der Beklagte
gemäss Art. 267 Abs. 2 Ziff. 1 OR gleichentags auf den 30. Juni 1980,
das nächste ortsübliche Ziel, kündigen müssen, und galt nach Art. 259
Abs. 2 OR als in das Mietverhältnis eingetreten, wenn er dies unterliess.

    Die Auffassung des Appellationsgerichts, vom Beklagten habe nicht
verlangt werden können, der Klägerin die Kündigung noch am 31. März
1980 zuzustellen, hält näherer Prüfung nicht stand. Wie der Beklagte
in der Klageantwort an das Zivilgericht selbst ausgeführt hat, stand
es im Belieben der Vertragsparteien, die Vertragsfertigung und den
Grundbucheintrag früher vornehmen zu lassen, womit dem Beklagten genügend
Zeit für die Kündigungserklärung im Sinne des Art. 259 Abs. 2 OR zur
Verfügung gestanden hätte. Unbehelflich ist schliesslich die Behauptung
des Beklagten, er sei zur Kündigung im Namen der Röchling AG berechtigt
gewesen, wie aus der von dieser ebenfalls unterzeichneten Erklärung vom
27. März 1980 hervorgehe. Die Röchling AG selbst konnte das Mietverhältnis
nicht gestützt auf Art. 259 Abs. 2 OR nach den gesetzlichen Vorschriften
kündigen, sondern war an den vertraglichen Beendigungstermin gebunden.