Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 II 156



108 II 156

32. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Juni 1982 i.S. Nihon
Nohyaku Co. Ltd. gegen Bundesamt für geistiges Eigentum
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Wiedereinsetzung in den früheren Stand, Art. 47 PatG.

    Dem Verschulden des Patentbewerbers ist ein solches seines
bevollmächtigten Stellvertreters und der von diesem beigezogenen
Hilfspersonen in analoger Anwendung von Art. 101 Abs. 1 OR gleichzusetzen
(Erw. 1).

    Für die in Art. 113 PatG vorgesehene Frist besteht keine Nachfrist
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 7. März 1980 liess die japanische Firma Nihon Nohyaku
Co. Ltd. beim europäischen Patentamt in München (EPA) durch ein deutsches
Patentanwaltsbüro eine europäische Patentanmeldung einreichen. Am
4. August 1981 stellte das EPA dem genannten Patentanwaltsbüro die
Erteilung des Patentes in Aussicht und gab diesem u.a. bekannt, dass bis
zum Tag, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung des Patentes
hingewiesen werde, für das in englischer Sprache erteilte Patent in der
Schweiz eine Übersetzung in eine schweizerische Amtssprache eingereicht
werden müsse, ansonst die Wirkung des europäischen Patentes dort nicht
eintrete. Nach Zahlung der Gebühren wurde das Patent am 29. Dezember 1981
mit der Nr. 0 015 577 erteilt. In der entsprechenden Mitteilung an das
Patentanwaltsbüro wies das EPA darauf hin, dass die Veröffentlichung
im Europäischen Patentblatt am 3. Februar 1982 erfolgen werde. Mit
Schreiben vom 14. Januar 1982 stellte das deutsche Patentanwaltsbüro einem
Patentanwaltsbüro in Bern eine französische Übersetzung der Patentschrift,
eine Vollmacht und eine Fotokopie der Mitteilung des EPA vom 29. Dezember
1981 zu und ersuchte, die Übersetzung fristgerecht beim schweizerischen
Patentamt einzureichen. Das schweizerische Patentanwaltsbüro trug die
am 3. Februar 1982 ablaufende Frist in seinem Fristenbordereau vom 18.
Januar 1982 unter dem Stichwort "Übersetzung" ein. Am 22. Januar 1982
stellte es dem Bundesamt für geistiges Eigentum (BAGE) zwar die Vollmacht
zu, nicht aber die französische Übersetzung der Patentschrift. Es führt
diese Unterlassung auf das Versehen einer Kanzleiangestellten zurück. Das
BAGE eröffnete ihm am 26. Februar 1982 den Nichteintritt der Wirkung des
Patentes in der Schweiz.

    B.- Das Gesuch um Wiedereinsetzung gemäss Art. 47 PatG, das namens der
Nihon Nohyaku Co. Ltd. am 4. März 1982 eingereicht wurde, wies das BAGE
am 8. März 1982 ab. Gegen diese Verfügung richtet sich die vorliegende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die das BAGE abzuweisen beantragt.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 47 Abs. 1 PatG ist einem säumigen Patentbewerber
die Wiedereinsetzung in den früheren Stand zu gewähren, wenn er glaubhaft
macht, dass er ohne sein Verschulden an der Einhaltung einer durch Gesetz
oder Verordnung vorgeschriebenen oder vom Amt gesetzten Frist verhindert
worden ist. Dem Verschulden des Patentbewerbers ist ein solches seiner
Hilfspersonen, namentlich seines bevollmächtigten Stellvertreters und
der von diesem beigezogenen Hilfspersonen, gleichzusetzen (BGE 94 I
249, 90 I 53 und 188, 87 I 219). Das Verschulden bemisst sich nach der
Sorgfalt, die bei gleicher Sachlage von einem achtsamen Geschäftsmann
angewendet worden wäre (BGE 85 I 69/70). Dazu wurde zwar in BGE 85 I 71
ausgeführt, Schuldlosigkeit im Sinne von Art. 47 Abs. 1 PatG lasse sich
zur Not allenfalls noch annehmen, wenn der Erfinder die Besorgung seiner
Patentangelegenheiten einem Patentanwalt übertragen habe und dieser die
Fristenkontrolle durch einen zuverlässig und gewissenhaft befundenen
Angestellten vornehmen lasse, dem dann ein Versehen unterlaufe. In der
Folge ist das Bundesgericht jedoch von dieser Betrachtungsweise abgewichen
und hat wiederholt entschieden, auch ein einmaliges Verschulden einer
sonst zuverlässigen Hilfsperson sei dem Patentbewerber zuzurechnen
und schliesse die Wiedereinsetzung aus; der Patentinhaber oder sein
Vertreter müsse die erforderlichen Vorkehren treffen, damit auch einer
sonst zuverlässigen Hilfsperson kein Versehen unterlaufe (BGE 94 I
251, 90 I 55, 87 I 221). Dabei ist das Bundesgericht bewusst von der
deutschen Rechtsprechung abgewichen (BGE 90 I 192). Diese betrachtete
das Verschulden eines sonst zuverlässigen und erprobten Büroangestellten
unter gewissen Voraussetzungen als "unabwendbaren Zufall" im Sinne von §
43 des deutschen Patentgesetzes in der Fassung vom 9. Mai 1961 (BENKARD,
Kommentar zum deutschen Patentgesetz, 4. Aufl. 1963, N. 4 zu § 43);
das geltende deutsche Patentgesetz in der Fassung vom 16. Dezember 1980
verlangt in § 123 ebenfalls, dass die Frist ohne Verschulden versäumt
worden sei; dabei wird ein Versehen von Hilfskräften dem Patentbewerber
oder seinem Vertreter dann nicht zum Verschulden angerechnet, wenn er seine
Angestellten sorgfältig ausgewählt und überwacht und alle notwendigen
Vorkehren getroffen hat, um eine sichere Fristwahrung zu gewährleisten
(BENKARD, Kommentar zum deutschen Patentgesetz, 7. Aufl. 1981, N. 19 zu §
123). Auf schweizerische Verhältnisse übertragen, würde das bedeuten,
dass der Patentbewerber oder sein Vertreter nach den Grundsätzen
der Geschäftsherrenhaftung von Art. 55 OR für das Verhalten seiner
Hilfspersonen einzustehen hätte. Das hat das Bundesgericht indessen seit
jeher abgelehnt und festgehalten, der Patentbewerber oder sein Vertreter
müsse sich das Tun und Unterlassen seiner Hilfspersonen im Sinne von
Art. 101 OR anrechnen lassen, wie wenn er selbst gehandelt hätte; es sei
stets zu prüfen, ob dem Geschäftsherrn eine Verletzung seiner Pflichten
vorgeworfen werden könnte, wenn er sich selber so verhalten hätte wie
die Hilfsperson (BGE 94 I 251 mit Hinweisen). Diese Betrachtungsweise
entspricht auch der ständigen Rechtsprechung zu Art. 35 OG (BGE 107 Ia 169,
96 I 164, 85 II 48).

    b) Aufgrund dieser Rechtsprechung erweist sich die Beschwerde als
offensichtlich unbegründet. Die Beschwerdeführerin legt dar, eine von
ihr nicht näher bezeichnete Hilfskraft des Patentanwaltsbüros habe am
22. Januar 1982 dem EPA die Vollmacht der Patentbewerberin zugestellt,
dabei aber übersehen, dass gemäss ausdrücklicher und klarer Weisung
des deutschen Patentanwaltsbüros auch die von diesem Büro übermittelte
französische Übersetzung der Patentschrift hätte beigelegt werden
müssen. Das ergab sich auch aus dem Stichwort "Übersetzung", das im
Fristenbordereau des schweizerischen Patentanwaltsbüros eingetragen
war. Nach der angeführten Rechtsprechung ist es unerheblich, ob es sich
dabei um eine zuverlässige Hilfskraft handelte und wie diese instruiert und
überwacht wurde. Entscheidend ist, dass das Verhalten dieser Hilfskraft
dem Patentbewerber oder dem von ihm bevollmächtigten Patentanwalt zum
Verschulden gereichen würde, wenn er selbst die fragliche Unterlassung
begangen hätte. Das aber ist ohne jeden Zweifel zu bejahen.

Erwägung 2

    2.- Was in der Beschwerde vorgebracht wird, vermag zu keinem
andern Ergebnis zu führen. Der vom Amt angestellte Vergleich mit der
Prioritätsfrist, dem sich die Beschwerdeführerin widersetzt, gibt für
den Entscheid darüber, ob diese die Frist schuldhaft versäumt habe, in
der Tat nichts her. Ebenso unbeachtlich sind jedoch die Ausführungen
der Beschwerdeführerin hinsichtlich der schweren Konsequenzen bei
Nichtbeachtung der in Art. 113 PatG vorgesehenen Frist. Das Verschulden
des Patentanwaltsbüros wird dadurch nicht beseitigt, ebensowenig dadurch,
dass der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation sich veranlasst
gesehen hat, für gewisse Fristen des Europäischen Patentübereinkommens
Nachfristen vorzusehen. Für die von der Beschwerdeführerin verpasste
Frist des schweizerischen Patentgesetzes besteht keine solche Nachfrist,
und es liegt nicht im Ermessen des BAGE oder des Gerichts, eine solche in
Abweichung vom klaren Wortlaut des Gesetzes auf dem Wege der Auslegung
einzuführen. Auch der von der Beschwerdeführerin angerufene Entscheid
der Juristischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes vom
7. Juli 1981 (Amtsblatt des Europäischen Patentamts, 4/1981 S. 343
ff.) ist vorliegend nicht massgeblich, weil er auf die Materialien zum
Europäischen Patentübereinkommen abstellt, die offenbar in der Frage,
wieweit ein Patentbewerber oder sein Vertreter für das Verhalten von
Hilfspersonen einzustehen hat, von der bereits erwähnten Rechtsprechung
in Deutschland beeinflusst waren. Diese ist aber, wie dargelegt, vom
Bundesgericht für das schweizerische Recht ausdrücklich abgelehnt worden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.