Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 III 41



108 III 41

16. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Januar 1982 i.S. N. gegen P. AG
und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Frist für die Arrestprosequierungsklage, Nachfrist bei Unzuständigkeit
des Richters (Art. 278 Abs. 2 SchKG, 139 OR).

    Es ist nicht willkürlich, Art. 139 OR analog auf die Frist für die
Einreichung der Arrestprosequierungsklage anzuwenden.

Sachverhalt

    A.- Auf Begehren der P. AG erliess der Einzelrichter im summarischen
Verfahren am Bezirksgericht Zürich am 8. Dezember 1978 gegen N.
einen Arrestbefehl. Zur Prosequierung dieses Arrestes erhob die P. AG
beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Arrestschuldnerin, wobei sie
beantragte, das Verfahren zunächst auf die Frage der Zuständigkeit und die
Einrede der Rechtshängigkeit zu beschränken. Mit Beschluss vom 12. März
1980 bejahte das Bezirksgericht seine Zuständigkeit und verwarf die Einrede
der Rechtshängigkeit. Auf Rekurs der Beklagten hin hob das Obergericht
des Kantons Zürich diesen Entscheid mit Beschluss vom 1. Oktober 1980
auf und trat auf die Klage nicht ein. Es nahm an, die Parteien hätten
sich bezüglich der eingeklagten Forderung der Schiedsgerichtsbarkeit
der Internationalen Handelskammer in Paris unterworfen. Mit Beschluss
vom 3. April 1981 hiess das Kassationsgericht des Kantons Zürich eine
Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin gegen den obergerichtlichen Entscheid
teilweise gut und setzte der Klägerin in analoger Anwendung von Art. 139
OR eine Frist von zehn Tagen an, um die Klage vor dem Schiedsgericht der
Internationalen Handelskammer in Paris einzuleiten, wobei es festhielt,
der Arrestbeschlag bleibe bis zum unbenutzten Ablauf dieser Frist bestehen.

    Gegen den Beschluss des Kassationsgerichts hat N. staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben. Sie beantragt dessen
Aufhebung, soweit darin die Nichtigkeitsbeschwerde der P. AG gutgeheissen
wurde.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Willkür ist nach der Rechtsprechung erst dann gegeben, wenn ein
kantonaler Entscheid nicht nur unrichtig, sondern schlechthin unhaltbar
ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er eine Norm oder einen
klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 105 Ia 300,
322/323 E. 3b, 105 II 37 E. 2, 104 II 223 oben).

    a) In BGE 44 III 179 ff. hat das Bundesgericht entschieden,
die Frist des Art. 278 Abs. 2 SchKG werde nur durch rechtzeitige
Anrufung des örtlich und sachlich zuständigen Richters gewahrt. Da
es sich dabei um einen Grundsatz des Bundesrechts handle, sei eine
vom kantonalen Prozessrecht vorgesehene Nachfrist zur Anrufung des
zuständigen Richters unbeachtlich. Diese Rechtsprechung wurde in
BGE 75 III 73 ff. aufgegeben. Nach diesem Entscheid rechtfertigen
formelle Mängel der Klage den Hinfall des Arrestes nicht, sofern sie
sich nach dem anwendbaren kantonalen Prozessrecht ohne Unterbrechung der
Rechtshängigkeit beheben lassen. Zur Arrestprosequierung wurde daher auch
eine bei einem unzuständigen Richter angebrachte Klage geeignet befunden,
wenn das kantonale Recht vorsieht, sie könne unter Aufrechterhaltung
der Rechtshängigkeit innert einer Nachfrist beim zuständigen Richter
neu eingereicht werden. Das Bundesgericht stellte jedoch ausdrücklich
fest, aus Art. 139 OR könne eine bundesrechtliche Nachfrist für die
Arrestprosequierungsklage nicht abgeleitet werden (BGE 75 III 78/79 E. 4).

    In der Folge hat sich das Bundesgericht indessen wiederholt die
Frage gestellt, ob an dieser Praxis festgehalten werden könne, so etwa
in BGE 82 III 45 und in BGE 89 II 310/311, wo die Anwendbarkeit von
Art. 139 OR auf die Verwirkungsfristen des Bundeszivilrechts ausgedehnt
wurde. Unter Hinweis auf diesen letzteren Entscheid hat es in BGE 91
III 18/19 ausgeführt, die Rechtsprechung neige mehr und mehr dazu, die
Verwirkungsfristen den Verjährungsfristen anzunähern. Im Hinblick auf diese
Entwicklung könnten die Aufsichtsbehörden über die Betreibungsämter nicht
davon ausgehen, die analoge Anwendung von Art. 139 OR auf die Frist für die
Aberkennungsklage sei zum vornherein ausgeschlossen. Die Frage verdiene
vielmehr eine eingehende Überprüfung, die nur vom Richter vorgenommen
werden könne. In BGE 100 III 39 wurde die Frage erneut offen gelassen,
ob Art. 139 OR auf die Klagefristen des Betreibungsrechts - es ging in
jenem Fall um die Frist für die Einreichung der Kollokationsklage -
anwendbar sei. Eindeutig Stellung genommen hat das Bundesgericht in
neuerer Zeit nur zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 139 OR auf die
Beschwerdefrist des Art. 17 Abs. 2 SchKG. Es hat diese Frage verneint mit
der Begründung, Art. 139 OR geriete, wenn er auf solche Fristen angewandt
würde, mit den Bestimmungen des Verfahrensrechts in Konflikt, welche die
Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung von prozessualen Fristen
und die Frage regelten, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsmittel
wirksam sei, obwohl es bei einer zu seiner Behandlung nicht zuständigen
Stelle eingereicht worden sei (BGE 96 III 95/96 E. 2). Für die Klagefristen
des Betreibungsrechts kann daraus nichts abgeleitet werden.

    b) Beim heutigen Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung,
mit der sich das Kassationsgericht entgegen der Behauptung der
Beschwerdeführerin auseinandergesetzt und die es durchaus zutreffend
interpretiert hat, muss die Frage der Anwendbarkeit von Art. 139 OR auf
die Arrestprosequierungsfrist somit als offen betrachtet werden; die
Tendenz geht, wie ohne Willkür angenommen werden kann, eher in Richtung
Zulassung der Nachfrist. Die kantonale Rechtsprechung zu dieser Frage
ist nicht einheitlich. Während das Obergericht des Kantons Aargau bei
betreibungsrechtlichen Klagefristen keine Nachfrist im Sinne von Art. 139
OR einräumen will (SJZ 74/1978 S. 112 ff.), vertritt das Kantonsgericht
des Kantons Waadt die gegenteilige Auffassung (SJZ 70/1974 S. 334 f.),
ebenso das Obergericht des Kantons Zürich (ZR 64/1965 Nr. 167, SJZ 62/1966
S. 251 f.). In der Lehre wird die Zulassung der Nachfrist von namhaften
Autoren befürwortet (so z.B. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht,
3. Auflage, S. 274; SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. II S. 1046). Dass
das Kassationsgericht diese Autoren nicht ausdrücklich zitiert, macht
seinen Entscheid selbstverständlich nicht willkürlich. Lehrmeinungen im
gegenteiligen Sinn vermag die Beschwerdeführerin übrigens nicht anzuführen.
   c) In der Frage der Anwendbarkeit von Art. 139 OR auf die
Frist für die Arrestprosequierungsklage fehlt es demnach an einem klaren
und unumstrittenen Rechtsgrundsatz, gegen den das Kassationsgericht
verstossen haben könnte. Willkür kann ihm deshalb nicht vorgeworfen werden,
wenn es diese Frage bejahte.

Erwägung 4

    4.- Die weiteren Ausführungen der Beschwerdeführerin vermögen
an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Dass der Arrestgläubiger durch
die kurzen Arrestprosequierungsfristen angehalten werden soll, seine
behauptete Forderung, für die er Vermögenswerte des Arrestschuldners
blockieren konnte, möglichst rasch geltend zu machen, spricht nicht
zwingend gegen die Zulassung der Nachfrist. Mit diesem Einwand hat sich
das Bundesgericht bereits in BGE 75 III 76/77 auseinandergesetzt, wo
es die Neueinreichung einer Arrestprosequierungsklage beim zuständigen
Richter innert einer Nachfrist für zulässig erklärte, sofern dies nach dem
anwendbaren kantonalen Prozessrecht ohne Unterbrechung der Rechtshängigkeit
geschehen kann (vgl. auch BGE 82 III 44/45, 89 II 310). Eine Nachfrist
nach Art. 139 OR hat bezüglich der Verzögerung des Verfahrens keine anderen
Auswirkungen als eine solche nach kantonalem Prozessrecht. Ebensowenig ist
entscheidend, dass die Nichteinhaltung der Arrestprosequierungsfrist bloss
den Hinfall des Arrestes, nicht aber den Untergang des Anspruchs zur Folge
hat. Auch der Aberkennungskläger, auf dessen Klage wegen Unzuständigkeit
oder eines formellen Mangels nicht eingetreten wird, erleidet keinen
endgültigen Nachteil, da ihm die Rückforderungsklage gemäss Art. 86 SchKG
bleibt. Dennoch hat das Bundesgericht die Anwendbarkeit von Art. 139 OR auf
die Frist für die Aberkennungsklage nicht zum vornherein ausgeschlossen,
sondern ausdrücklich als erwägenswert bezeichnet (BGE 91 III 19). Im
übrigen kann der Verlust des Vollstreckungssubstrats, dessen Sicherung
mit dem Arrest bezweckt wird, den Arrestgläubiger so schwer treffen wie
der Untergang des Anspruchs selbst. Wohl kann er grundsätzlich jederzeit
einen neuen Arrest gegen den Arrestschuldner erwirken, doch können
die Arrestgegenstände inzwischen beiseite geschafft oder zugunsten von
andern Gläubigern verwertet worden sein. Könnte die Beschwerdegegnerin
im vorliegenden Fall den Arrest wirklich ohne Nachteil für sich selbst
erneuern, so hätte die Beschwerdeführerin gar kein Interesse am Hinfall
des bestehenden Arrestbeschlags. Schliesslich ist die analoge Anwendung
von Art. 139 OR auf die Frist für die Arrestprosequierungsklage auch
nicht deswegen willkürlich, weil im SchKG eine Art. 7 ZGB entsprechende
Bestimmung fehlt. Die analoge Rechtsanwendung ist nicht nur dort zulässig,
wo es im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist.

    Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, Art. 139 OR dürfe
jedenfalls im konkreten Fall nicht auf die Arrestprosequierungsfrist
angewendet werden, erschöpfen sich ihre Ausführungen in appellatorischer
Kritik, die nicht ausreicht, den Vorwurf der Willkür zu begründen. Dass
der angefochtene Entscheid in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderlaufen würde, lässt sich auf jeden Fall nicht sagen. Wäre für die
Klage ein schweizerisches Gericht zuständig, so hätte der Prozess nach §
112 ZPO ZH unter Aufrechterhaltung der Rechtshängigkeit an dieses Gericht
überwiesen werden können, ohne dass der Arrest dahingefallen wäre. Es
ist nicht unbillig, wenn die Klageerhebung beim unzuständigen Richter
auch dann ohne Hinfall des Arrestes geheilt werden kann, wenn eine
Prozessüberweisung nicht möglich ist, weil ein ausländisches Gericht
bzw. Schiedsgericht zuständig ist.