Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 III 119



108 III 119

33. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 11. August 1982 i.S. Palm Shipping Inc. (Rekurs) Regeste

    Arrestvollzug; Art. 2 ZGB.

    Aus einem wegen Rechtsmissbrauch aufgehobenen Arrest darf auch ein
Drittgläubiger keinen Nutzen ziehen. Hat er vom Rechtsmissbrauch Kenntnis,
darf er nicht die aus dem aufgehobenen Arrest stammenden und noch beim
Betreibungsamt liegenden Vermögenswerte des Schuldners zu seinen Gunsten
verarrestieren lassen.

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs hob am 17. Juni 1981 den von der
Schweizerischen Kreditanstalt gegen David C. Thieme erwirkten Taschenarrest
Nr. 68/1981 auf. Dieser Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich
als oberer kantonaler Aufsichtsbehörde am 8. Dezember 1981 bestätigt. Am
4. Januar 1982 erwirkte die Palm Shipping Inc. beim Einzelrichter im
summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich gegen David C. Thieme
einen Arrestbefehl, der sich auf Barschaft und Wertsachen bezog, die
aus dem aufgehobenen Arrest Nr. 68/1981 stammten und sich noch beim
Betreibungsamt Zürich 1 befanden. Der Arrest wurde vom Betreibungsamt am
gleichen Tag vollzogen.

    B.- Der Schuldner Thieme erhob beim Bezirksgericht Zürich als unterer
kantonaler Aufsichtsbehörde Beschwerde und beantragte die Aufhebung
des Arrestes. Das Bezirksgericht wies die Beschwerde am 26. Februar
1982 ab. Der Schuldner zog diesen Entscheid an das Zürcher Obergericht
als obere Aufsichtsbehörde weiter, welches den Rekurs mit Beschluss
vom 18. Juni 1982 guthiess und den angefochtenen Arrest Nr. 2/1982 des
Betreibungsamtes Zürich 1 aufhob.

    C.- Die Gläubigerin Palm Shipping Inc. reichte daraufhin bei der
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts Rekurs ein mit
dem Antrag, den Beschluss des Obergerichts vom 18. Juni 1982 aufzuheben
und den Arrest Nr. 2/1982 des Betreibungsamtes Zürich 1 zu bestätigen.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach der neuern Rechtsprechung ist der allgemeine Grundsatz
von Treu und Glauben, den das ZGB in Art. 2 festgehalten hat, auch
im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachten (BGE 105 III 19 mit
Hinweisen). Die Auffassung der Rekurrentin, das Bundesgericht wende
den Grundsatz von Treu und Glauben im Betreibungs- und Konkursrecht
nur mit Zurückhaltung an, ist daher unzutreffend. Vielmehr verdient
die Partei, welche die sich aus Art. 2 ZGB ergebenden Regeln verletzt,
ohne Rücksicht auf die Interessenlage zwischen Gläubiger und Schuldner
keinen Rechtsschutz.

    Die untere Aufsichtsbehörde hat in ihrem Entscheid den Grundsatz des
Handelns nach Treu und Glauben relativ eng ausgelegt. Sie betrachtete einen
Verstoss gegen diesen Grundsatz nur dann als gegeben, wenn die Rekurrentin
wegen ihrer Beziehungen zur Schweizerischen Kreditanstalt vom Taschenarrest
und dessen Rechtswidrigkeit erfahren und nun ihrerseits versucht hätte,
daraus für sich einen Vorteil zu ziehen. Rechtsmissbräuchlich wäre der
angefochtene Arrest danach nur, wenn er durch ein Zusammenwirken der
Schweizerischen Kreditanstalt mit der Rekurrentin ermöglicht worden
wäre. Konnte die Rekurrentin indessen aufgrund eigener Recherchen
ermitteln, dass sich aus dem aufgehobenen Arrest noch Werte des
Arrestschuldners beim Betreibungsamt befinden mussten, so steht nach
Auffassung der unteren Aufsichtsbehörde der Verarrestierung dieser Werte
auch durch Gläubiger, die um die Rechtswidrigkeit wussten, nichts entgegen.

    Die Vorinstanz stellt demgegenüber höhere Anforderungen an das Handeln
nach Treu und Glauben. Sie ist der Auffassung, dass sich ein Gläubiger,
der Werte verarrestieren lässt, die aus einem wegen Rechtsmissbrauch
aufgehobenen Arrest stammen und sich noch beim Betreibungsamt befinden,
weil sie dem Arrestschuldner noch nicht zurückgegeben werden konnten,
in gleicher Weise dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs aussetze wie der
frühere Arrestnehmer. Entscheidend sei, dass er von der Aufhebung des
früheren Arrestes wegen Rechtsmissbrauchs Kenntnis habe. Damit versuche
er nämlich den von einem Dritten geschaffenen rechtswidrigen Zustand
auszunützen und verdiene deshalb keinen Rechtsschutz.

Erwägung 3

    3.- Die Rekurrentin stellt sich auf den Standpunkt, ein rechtswidriger
Zustand habe nur bis zum Zeitpunkt ihres Zugriffs auf das Arrestsubstrat
bestanden. Diese Auffassung ist jedoch unhaltbar. Da die Rekurrentin in
Kenntnis des rechtswidrigen Zustandes gehandelt hat, ist dieser durch
den neuen Arrest nicht beseitigt worden. Daran ändert nichts, dass die
Rekurrentin völlig unabhängig von der Schweizerischen Kreditanstalt
vorgegangen ist. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt, dass
der Rekurrentin bekannt war, dass ein unrechtmässiger Zustand bestehe,
und sie aufgrund dieser Kenntnis versucht hat, für sich einen Vorteil zu
erlangen. Dabei braucht nicht auf das Immobiliarsachenrecht, namentlich das
Prinzip des bösen Glaubens bei abhanden gekommenen Sachen zurückgegriffen
zu werden, oder höchstens insoweit, als sich auch daraus die umfassende
Bedeutung des Gebots, nach Treu und Glauben zu handeln, ergibt. Im Grunde
genommen anerkennt auch die Rekurrentin diesen Grundsatz, sagt sie in
der Rekursschrift doch selbst, dass sie auf die Arrestnahme verzichtet
hätte, wenn die fraglichen Vermögenswerte sich bereits beim Anwalt des
Schuldners befunden hätten. Schliesslich vermag auch der Hinweis auf die
Güterabwägung zwischen den Interessen des Gläubigers an der Eintreibung
seiner Forderungen und den Absichten des Schuldners, seine Vermögenswerte
dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen, was im übrigen eine blosse
Behauptung darstellt, zu keinem andern Ergebnis zu führen.

    Die von der Rekurrentin vorgebrachten Einwendungen gegen die Auffassung
der Vorinstanz vermögen nach dem Ausgeführten nicht zu überzeugen. Die
Vorinstanz hat kein Bundesrecht und insbesondere nicht Art. 2 ZGB verletzt,
wenn sie das Verhalten nach Treu und Glauben nach strengeren Kriterien
beurteilt hat, als die untere Aufsichtsbehörde dies getan hat. Der
angefochtene Entscheid ist daher zu bestätigen.