Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 53



108 Ib 53

8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
16. März 1982 i.S. Grossen gegen Verwaltungsgericht des Kantons Bern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Raumplanung; Ausnahmebewilligung.

    Begriff der teilweisen Änderung im Sinne von Art. 24 Abs. 2
RPG. Bedeutung für die Auslegung und Anwendung des kantonalen
Ergänzungsrechts.

Sachverhalt

    A.- Hans Grossen ist Eigentümer eines 1760 m2 grossen Grundstücks im
Weiler Unterbach, Gemeinde Meiringen. Die ausserhalb der Bauzone gelegene
Parzelle ist mit einem älteren Bauernhaus überbaut, das einen Wohn-
und einen Ökonomieteil mit Stall umfasst.

    Im Jahre 1979 begann Hans Grossen ohne Bewilligung einen Teil des
Ökonomietrakts abzubrechen und durch einen Anbau zu ersetzen, der die
bisherigen Gebäudemasse teilweise überschreitet. Er beabsichtigt, im
Erdgeschoss eine Garage sowie eine Zweizimmerwohnung und im Obergeschoss
ein Einzimmerstudio einzurichten. Auf Verlangen der Behörden stellte er
ein nachträgliches Baugesuch, das vom zuständigen Regierungsstatthalter
und auf Beschwerde hin vom Regierungsrat des Kantons Bern abgewiesen
wurde. Das darauf angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Bern erachtete
die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung als nicht erfüllt und
wies die Beschwerde mit Urteil vom 15. Juni 1981 ab.

    Gegen diesen Entscheid führt Hans Grossen Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils
und die Erteilung der nachgesuchten Ausnahmebewilligung. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Art. 24 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom
22. Juni 1979 (RPG) überlässt es dem kantonalen Recht, die Erneuerung,
die teilweise Änderung und den Wiederaufbau von Bauten und Anlagen zu
gestatten, sofern dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar
ist. Der Kanton Bern hat von dieser Ermächtigung in Form von Art. 3 Abs. 2
lit. b der regierungsrätlichen Verordnung zur vorläufigen Einführung des
Bundesgesetzes über die Raumplanung im Kanton Bern vom 19. Dezember 1979
(EV RPG) Gebrauch gemacht. Diese Bestimmung lautet:

    "2 Ausnahmen von den Nutzungsvorschriften der Landwirtschaftszone
   können bewilligt werden für

    a) ...;

    b) die Erneuerung, die teilweise Änderung oder den Wiederaufbau von

    Bauten und Anlagen, wenn das mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung
   vereinbar ist."

    Diese kantonale Ausführungsvorschrift wiederholt im wesentlichen die
Aussage von Art. 24 Abs. 2 RPG.

    b) Ob ein Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 2 RPG fällt, beurteilt
sich ausschliesslich nach dieser Vorschrift. Bei der Erneuerung,
dem Wiederaufbau und der teilweisen Änderung handelt es sich um
bundesrechtliche Begriffe. Das kantonale Recht kann nur bestimmen, ob und
allenfalls inwieweit bauliche Massnahmen innerhalb des bundesrechtlich
begrenzten Rahmens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG bewilligt werden dürfen
(BGE 107 Ib 241/242 E. 2b aa). Mit dieser Regelung will es das Bundesrecht
den Kantonen ermöglichen, ihren Verhältnissen Rechnung zu tragen (Botschaft
des Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die Raumplanung vom 27. Februar
1978, BBl 1978 I 1028).

    c) Beim Bauprojekt des Beschwerdeführers handelt es sich offensichtlich
weder um eine blosse Erneuerung noch um einen Wiederaufbau. Es kann sich
somit nur noch fragen, ob es als teilweise Änderung aufzufassen sei.

    Da das bernische Recht die Aussage von Art. 24 Abs. 2 RPG nahezu
wörtlich übernommen hat, setzte sich das Verwaltungsgericht mit dem
bundesrechtlichen Begriff der teilweisen Änderung auseinander. Es gelangte
dabei zu einer Auslegung, die gegenüber jener des Bundesgerichts (BGE
107 Ib 241/242 E. 2b aa) restriktiver ist. Seine Auslegungsformel lautet:

    "- Wird eine in der Landwirtschaftszone gelegene Liegenschaft
   einheitlich aber zonenfremd genutzt, so gilt eine Erweiterung des
   Gebäudes im Regelfall solange als teilweise Änderung, als sich der
   Ausbau ungefähr im Rahmen eines Viertels des bisherigen Bauvolumens
   hält und keine neue

    Nutzungseinheit geschaffen wird;

    - dient ein in der Landwirtschaftszone gelegenes Gebäude dagegen
   mehreren zonenfremden Nutzungen, so kann solange von einer teilweisen
   Änderung gesprochen werden, als keine neue Nutzungsart oder
   Nutzungseinheit hinzukommt und das Gebäudevolumen in der Regel nicht
   verändert wird.

    Unter einer Nutzungseinheit sind die zur fraglichen Nutzung bestimmten

    Räume zu verstehen, die über einen eigenen Zugang verfügen sowie
   hinsichtlich Ver- und Entsorgung (Wasser, Elektrizität, WC, Bad,
   Küche usw.) autonom sind."

    Das Bundesrecht steht einer solchen Schematisierung nicht entgegen,
wenn sie in Anwendung des kantonalen Rechts von der hiefür zuständigen
kantonalen Instanz geschaffen wird. Sie dient dem Interesse der
rechtsanwendenden Behörden, über Ausnahmegesuche rasch und klar entscheiden
zu können. Das kantonale Recht kann den bundesrechtlich begrenzten Rahmen
zulässiger Baumassnahmen enger festlegen oder sogar auf eine Regelung
gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG überhaupt verzichten.

    Angesichts der nahezu wörtlichen Übernahme von Art. 24 Abs. 2 RPG durch
das bernische Recht ist jedoch festzuhalten, dass das Bundesgericht keinen
Anlass hat, von seiner durch unbestimmte Kriterien gekennzeichneten
Auslegung des bundesrechtlichen Begriffs der teilweisen Änderung
abzuweichen, wie er für die Begrenzung des kantonalen Ergänzungsrechts
massgebend ist. Das gilt auch hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht
kritisierten Begriffs der Identität der Baute. Freilich hat das
Bundesgericht diesen Begriff nicht im Sinne der völligen Übereinstimmung
verstanden, sondern in seiner Bedeutung der Wesensgleichheit. Doch auch
den so verstandenen Identitätsbegriff lehnt das Verwaltungsgericht ab,
weil die Gefahr einer "weitgehend konturlosen und den Keim der Willkür in
sich tragenden Billigkeitsinterpretation" bestehe. Diese Gefahr ist in der
Tat nicht zu verkennen; sie darf aber nicht überbewertet werden. Immerhin
lässt das Rechtsmittel der Behördenbeschwerde (Art. 34 Abs. 2 RPG;
Art. 103 lit. b OG) erwarten, dass Ausnahmegesuche trotz verhältnismässig
unbestimmter Kriterien sachgerecht beurteilt werden. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass es den bernischen Behörden nicht verwehrt ist, die
mit dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 RPG nahezu übereinstimmende Norm des
kantonalen Rechts - Art. 3 Abs. 2 lit. b EV RPG - so auszulegen, wie es
das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid getan hat, doch wird das
Bundesgericht Art. 24 Abs. 2 RPG weiterhin weniger starr interpretieren.

    d) Der angefochtene Entscheid hält sich indessen in dem Rahmen,
den Art. 24 Abs. 2 RPG - in der Auslegung des Bundesgerichts - für das
kantonale Recht festlegt. Das Bauvorhaben des Beschwerdeführers kann
klarerweise nicht mehr als bloss geringfügige Erweiterung beziehungsweise
Zweckänderung bezeichnet werden. Der Bau der beiden neuen Wohnungen
vergrössert nicht nur das Gebäudevolumen, sondern bewirkt nahezu eine
Verdoppelung des bisherigen Wohnanteils der Liegenschaft. Sodann ist
das Gebäude nach dem Um- und Erweiterungsbau der ursprünglichen Baute
nicht mehr wesensgleich. Ein Bauernhaus wird zu einem reinen Wohnhaus
umgestaltet; der verbleibende Rest des Ökonomieteils nimmt kaum mehr
einen Viertel des Gebäudevolumens ein. Von einer Wahrung der Identität des
Bauwerks kann keine Rede sein. Das Bauvorhaben stellt somit keine bloss
teilweise Änderung dar und fällt demnach nicht unter Art. 24 Abs. 2 RPG;
es ist vielmehr wie ein Neubau nach Art. 24 Abs. 1 RPG zu beurteilen.

    Unter diesen Umständen kann die Frage offen bleiben, ob das Bauvorhaben
mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar sei (Art. 24 Abs. 2
RPG).