Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 489



108 Ib 489

83. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
10. Juni 1982 i.S. Erben Bertschy-Ringier gegen SBB, Kreis 2, und Präsident
der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 9 Regeste

    Art. 76 EntG; vorzeitige Besitzeinweisung.

    Das mit der vorzeitigen Besitzeinweisung verbundene Risiko, bei
nachträglicher Gutheissung einer Einsprache den früheren Zustand -
ungeachtet des Kostenaufwandes - wiederherstellen zu müssen, trägt
ausschliesslich der Enteigner.

Sachverhalt

    A.- Die Schweizerischen Bundesbahnen haben im Rahmen eines
Sanierungsprogrammes in der luzernischen Gemeinde Meggen drei
Niveau-Übergänge (Bodenmattweg, Eiholzweg und Benzholzstrasse) aufgehoben
und beabsichtigen, die bereits bestehende Unterführung Habsburgstrasse, die
nunmehr auch den Fahrverkehr von der Benzholzstrasse aufnehmen muss, durch
ein neues, um einige Meter verschobenes und grösseres Unterführungs-Bauwerk
zu ersetzen. Gleichzeitig soll die Habsburgstrasse erweitert, mit einem
Trottoir versehen und ihre Linienführung auf einer Länge von knapp 200
m bis zur Einmündung in die Seestrasse verbessert werden.

    Für die durch die neue Unterführung bedingte Verlegung der
Habsburgstrasse benötigen die SBB ca. 875 m2 der Parzelle Nr. 257 (GB
Meggen) im Halte von insgesamt 24'559 m2, die zur Zeit zum übrigen
Gemeindegebiet gehört und im Eigentum der Erben Bertschy-Ringier
steht. Da sich die Grundeigentümer zur Abtretung dieser Fläche nicht
bereit erklärten, leitete der Präsident der Schätzungskommission, Kreis 9,
ein abgekürztes Enteignungsverfahren ein. Die Enteigneten erhoben gegen
das Projekt Einsprache und bestritten, dass den SBB für die Verlegung
der Habsburgstrasse das Enteignungsrecht zustehe; eventuell wurde eine
Planänderung beantragt.

    Nach Durchführung der Einigungsverhandlung bewilligte der
Schätzungskommissions-Präsident den SBB auf ihr Begehren hin die
vorzeitige Inbesitznahme jenen Teils des Grundstückes Nr. 257, der nach den
Enteignungsplänen nördlich des Querprofils 4 liegt. Gegen diesen Entscheid
haben die Erben Bertschy-Ringier Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben,
welche vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Präsident der Schätzungskommission hat im angefochtenen
Entscheid zunächst ausgeführt, dass die Entschädigungsforderung auch nach
der Besitzergreifung noch ohne Schwierigkeit beurteilt werden könne und
somit die in Art. 76 Abs. 4 Satz 1 EntG umschriebene Voraussetzung erfüllt
sei. Im weiteren sei auch dargelegt worden, dass dem Unternehmen ohne
die vorzeitige Inbesitznahme bedeutende Nachteile entstünden (Art. 76
Abs. 1 EntG), und erlitten die Enteigneten durch die Besitzergreifung
offensichtlich keine Schäden, die bei nachträglicher Gutheissung
ihrer Einsprache nicht wieder gutzumachen wären (Art. 76 Abs. 4 Satz
2 EntG). Indessen hat der Kommissions-Präsident präzisiert, dass die
Bedingungen für eine vorzeitige Inbesitznahme nur insoweit gegeben seien,
als der Bau des Unterführungswerkes selbst und des nördlichen Teils der
Habsburgstrasse bis zur Einmündung der Fridolin-Hofer-Strasse in Frage
stünde; die Erstellung des südlichen Teils der Gemeindestrasse sei hingegen
nicht dringend.

Erwägung 2

    2.- In ihrer Beschwerde weisen die Enteigneten darauf hin, dass sie in
ihrer Einsprache das Enteignungsrecht der SBB bestritten hätten und die
vorzeitige Besitzergreifung nicht bewilligt werden dürfe, bevor über die
Frage der Legitimation zur Enteignung rechtskräftig entschieden worden sei.
Dies trifft jedoch nicht zu.

    Bei der Revision des Enteignungsgesetzes im Jahre 1971 (in Kraft
seit 1. August 1972) hat der Gesetzgeber im Bestreben, das Verfahren
zu beschleunigen, neu die Möglichkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung
vor rechtskräftiger Erledigung der Einsprachen geschaffen (Art. 76
Abs. 4 EntG; Botschaft des Bundesrates vom 20. Mai 1970 BBl 1970 I
S. 1026 f., Kreisschreiben des Bundesgerichtes vom 8. September 1975,
publ. in BGE 101 Ib 173; vgl. zur alten Regelung HESS, N. 4 zu Art. 76
EntG). Vorausgesetzt wird einzig, dass bei nachträglicher Gutheissung der
Einsprache keine nicht wieder gutzumachenden Schäden entstehen (Art. 76
Abs. 4 Satz 2 EntG). Nun hätten im vorliegenden Verfahren, falls den
Einsprechern recht gegeben würde, die SBB einzig den früheren Zustand der
Wiesenparzelle wieder herzustellen - was ohne weiteres möglich wäre -
und den allenfalls durch die Inanspruchnahme der Parzelle entstandenen
Schaden zu vergüten. Nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden
offensichtlich nicht. Dass sich die Massnahmen zur Wiederherstellung
als kostspielig erweisen könnten, ist für die Beschwerdeführer ohne
Belang; Art. 76 Abs. 4 Satz 2 EntG schützt nur die Enteigneten, nicht den
Enteigner, der allein das mit der Besitzergreifung verbundene Risiko trägt
(vgl. nicht publ. Entscheide vom 7. September 1972 i.S. Vérolet und vom
8. Mai 1974 i.S. Stämpfli). Aus dem gleichen Grunde ist auch der Einwand
abzuweisen, die Ausführung des Werkes präjudiziere den Entscheid über die
Einsprache und das Planänderungsgesuch. Über die Begehren der Einsprecher
ist - erstinstanzlich durch das Departement, zweitinstanzlich durch das
Bundesgericht - ausschliesslich aufgrund der vorgetragenen rechtlichen
Argumente zu befinden, ohne Rücksicht darauf, ob die Bauarbeiten schon
in Angriff genommen worden seien oder nicht.

    Übrigens machen die Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend, die
Ausnahmebestimmung von Art. 51 EntG hätte Anwendung finden müssen
(vgl. BGE 101 Ib 173), und bestreiten auch nicht, dass die SBB im
Gegensatz zu anderen im öffentlichen Interesse tätigen Unternehmungen
das Enteignungsrecht schon von Gesetzes wegen besitzen (Art. 3 des
Eisenbahngesetzes; vgl. BGE 105 Ib 202 E. 1e).