Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 352



108 Ib 352

62. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 10. November 1982 i.S. Einwohnergemeinde Wohlen gegen Bergmann und
Mitbeteiligte und Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Staat Bern gegen
Bergmann und Mitbeteiligte und Verwaltungsgericht des Kantons Bern sowie
Bergmann und Mitbeteiligte gegen Staat Bern, Einwohnergemeinde Wohlen und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 5 Abs. 2 RPG; materielle Enteignung, Sonderopfer.

    1. Begriff des Sonderopfers (E. 4a).

    2. Auch die Annahme eines Sonderopfers setzt voraus, dass dem
Grundeigentümer eine in naher Zukunft sehr wahrscheinlich realisierbare
Nutzung entzogen wird (E. 4b).

    3. Liegt weder eine Enteignung noch eine enteignungsähnliche
Eigentumsbeschränkung vor, so kann ein allfälliger Anspruch auf Ersatz
nutzlos gewordener Planungskosten nicht auf Art. 22ter Abs. 3 BV
bzw. Art. 5 Abs. 2 RPG, sondern nur auf Art. 4 BV (Vertrauensschutz)
gestützt werden (E. 4b aa ff.).

Sachverhalt

    A.- Vorderdettigen ist eine an die Aare anstossende, im übrigen
von Wald umgebene Geländekammer auf dem Gebiet der Gemeinde Wohlen bei
Bern. Ernst Bergmann beabsichtigt seit den sechziger Jahren, seinen in
Vorderdettigen geführten Bauernbetrieb aufzugeben und das Land einer
Grossüberbauung zuzuführen. Während der Projektierungsarbeiten wurde
das ursprünglich der Wohnzone zugewiesene Land zunächst gestützt auf den
Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung
provisorisch unter Schutz gestellt und im Jahre 1977 ausgezont. Das Land
befindet sich heute im übrigen Gemeindegebiet.

    Die betroffenen Grundeigentümer und der beauftragte Architekt
verlangten von der Gemeinde eine Entschädigung aus materieller
Enteignung. Die Forderung umfasste einen Anspruch für den Minderwert des
Landes und einen Anspruch für die nutzlos gewordenen Planungskosten. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, das sich in zweiter Instanz
mit dem Begehren zu befassen hatte, kam zum Schluss, im Zeitpunkt der
provisorischen Unterschutzstellung habe nicht angenommen werden können,
dass eine in naher Zukunft realisierbare Überbauungschance bestanden
habe. Vom Entzug einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden
Befugnis könne daher nicht gesprochen und aus diesem Grund könne auch
keine Entschädigung für die geltend gemachte Wertverminderung des Bodens
ausgerichtet werden. Doch anerkannte das Gericht eine materielle Enteignung
in Form eines Sonderopfers, das der Eigentümer Ernst Bergmann und der
beauftragte Architekt wegen des Verlusts ihrer unnützen Aufwendungen
erbracht hätten. Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts verlangt die
Eigentumsgarantie, dass der auf Grund der geltenden Rechtsordnung plan-
und reglementskonform planende Grundeigentümer schadlos gehalten wird,
wenn das Gemeinwesen diese Nutzung durch eine zulässige Planungsmassnahme
verhindert.

    Die Einwohnergemeinde Wohlen, der Staat Bern und die Grundeigentümer
führen gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht. Dieses teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts in bezug
auf die Forderung aus Minderwert des ausgezonten Landes, gelangt jedoch in
der Frage des Sonderopfers zu einem andern Ergebnis; es weist das Begehren
der Grundeigentümer ab und heisst die Beschwerden der Einwohnergemeinde
Wohlen und des Staates Bern gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                  Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Somit verbleibt als zweites die Frage zu prüfen, ob die Auszonung
einen einzigen oder einzelne Grundeigentümer so betroffen hat, dass ihr
Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erschiene und es mit der
Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hiefür keine Entschädigung
geleistet würde (BGE 107 Ib 223 E. 2 mit Verweisungen).

    Das Verwaltungsgericht bejaht ein Sonderopfer des Eigentümers Ernst
Bergmann und des Architekten Jean Hentsch, dem Bergmann am 12. September
1969 ein bis zum 31. Dezember 1977 verlängertes Kaufsrecht eingeräumt
hatte. Es leitet aus diesem Sonderopfer einen Anspruch auf Schadenersatz
für den unnütz gewordenen Planungsaufwand her. Doch ist es sich - wie
sowohl aus seinem Entscheid als auch aus seiner Vernehmlassung hervorgeht
- bewusst, dass es damit "verfassungsrechtliches Neuland" beschritten
hat. Es möchte das Sonderopfer "sozusagen zu neuem Leben erwecken", wenn
es im Zusammenhang mit der materiellen Enteignung überhaupt noch einen
Sinn haben solle; andernfalls sei nicht einzusehen, wozu der Begriff
überhaupt taugen sollte.

    a) Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass seine Annahme
eines "besonders konzipierten Sonderopfers" nicht dem Tatbestand der
materiellen Enteignung entspricht, wie ihn die Rechtsprechung des
Bundesgerichts in konstanter Praxis umschreibt. Hat die Änderung eines
Zonenplans, namentlich eine Auszonung, nicht zur Folge, dass eine in naher
Zukunft sehr wahrscheinlich mögliche bauliche Nutzung entzogen wird,
so kann gemäss der bundesgerichtlichen Umschreibung des Tatbestandes
der materiellen Enteignung auch nicht von einem Sonderopfer gesprochen
werden. In beiden Fällen - sowohl dem Tatbestand des Entzuges einer
wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden Befugnis als auch demjenigen des
Sonderopfers - ist die Möglichkeit einer zukünftigen besseren Nutzung der
Sache nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen
war, diese lasse sich sehr wahrscheinlich in naher Zukunft verwirklichen
(BGE 108 Ib 351 E. 5a; 107 Ib 223 E. 2 mit Verweisungen. Trifft dies
nicht zu, so entfällt auch die Annahme eines Sonderopfers.

    Diese Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Eigentumsbeschränkung
nur dann einer Enteignung gleichkommen kann (Art. 22ter Abs. 3 BV), wenn
sie dem Eigentümer nicht bloss die Hoffnung auf eine ertragsreichere
Grundstücksnutzung nimmt, sondern wenn sie zufolge des Entzuges einer
realisierbaren Nutzungsmöglichkeit zu einer enteignungsrechtlich
erheblichen Wertminderung seines Eigentums führt. Wiegt der Eingriff
besonders schwer, weil eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende
Befugnis entzogen wird, so ist Entschädigung stets geschuldet. Geht der
Eingriff weniger weit, hat er jedoch eine stossende Rechtsungleichheit
gegenüber anderen Eigentümern in gleichen Verhältnissen zur Folge, so
ist zum Ausgleich dieser Ungleichheit Entschädigung geschuldet (vgl. die
seither stets wiederholte Klarstellung im Grundsatzentscheid Barret BGE
91 I 329 ff., 339 E. 3).

    Richtig ist, dass sich das Mass an Aufopferung und Zumutbarkeit,
das die Entschädigungspflicht auslöst, nicht generell umschreiben lässt
und dass die bisherige Rechtsprechung nur wenige Anhaltspunkte hierfür
erkennen lässt (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar zum Sachenrecht,
5. Aufl., IV, 1.1, N. 637 bis 639, S. 241/242). Doch ist deswegen der
Entschädigungstatbestand des Sonderopfers nicht wertlos, wird er doch
bereits dazu beitragen, dass bei Erlass von Eigentumsbeschränkungen darauf
geachtet wird, stossende Rechtsungleichheiten zu vermeiden. Denkbar wäre
eine derartige Ungleichheit - wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung
andeutet (BGE 102 Ia 249 E. 5c) - bei der Unterschutzstellung eines
Gebäudes in einem Strassenzug, der nach der Zonenordnung mit einer
grösseren Geschosszahl überbaut werden dürfte; diesfalls käme die
Unterschutzstellung einer Baubeschränkung gleich, die sich ebenso
auswirkt wie eine zugunsten des Gemeinwesens begründete, ausschliesslich
einen Eigentümer belastende Dienstbarkeit. Eine solche könnte auch
Gegenstand eines formellen Enteignungsverfahrens bilden. Führt die
Denkmalschutzanordnung zu einer erheblichen Wertminderung und wird diese
nicht durch staatliche Beiträge oder allfällige andere mögliche Massnahmen
in ausreichendem Masse ausgeglichen, so wäre die Zusprechung einer
Enteignungsentschädigung unter dem Gesichtspunkt des Sonderopferausgleichs
nicht auszuschliessen.

    Gleich verhält es sich, wenn im Rahmen eines speziellen
Überbauungsplans eine oder einzelne wenige baureife Parzellen zu rund
3/4 der Grundstücksfläche mit einem teilweisen Bauverbot belegt werden,
um im öffentlichen Interesse die Aussicht zu sichern. Auch ein derartiges
Bauverbot kommt - wie das Bundesgericht festgestellt hat (BGE 107 Ib
384 ff. E. 3) - einer Servitut gleich, die Gegenstand eines formellen
Enteignungsverfahrens bilden könnte. Führt in einem solchen Fall die
Belastung zu einer erheblichen Wertverminderung und kann diese nicht durch
sonstige Massnahmen wie etwa durch Wertausgleich im Umlegungsverfahren
ersetzt werden, so ist die im Verhältnis zu andern Eigentümern stossende
Belastung des einen oder der wenigen betroffenen Eigentümer durch eine
Sonderopferentschädigung auszugleichen.

    b) Im vorliegenden Fall liegt kein derartiges Sonderopfer vor. Die
Auszonung, die mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung über die
Zulässigkeit der Redimensionierung zu gross bemessener Bauzonen in Einklang
steht (BGE 105 Ia 235 E. 3c cc; 103 Ia 252 E. 2b; 102 Ia 433 E. 4b), hat
den Eigentümern keine in naher Zukunft sehr wahrscheinlich realisierbare
Baunutzung entzogen.

    Mit der neuen Konzeption des Sonderopfers möchte das Verwaltungsgericht
einen an die Auszonung anknüpfenden Schadenersatz für den Planungsaufwand
des Ernst Bergmann und des Architekten Jean Hentsch begründen, weil
dieser Aufwand aufgrund des Zonenreglementes der Gemeinde Wohlen aus
dem Jahre 1964 habe betrieben werden dürfen und die Gemeinde ausserdem
gewisse Kosten durch ihre teilweise widersprüchliche Haltung und ihre
Mitarbeit mitverursacht habe. Es fragt sich, ob der bundesrechtliche
Begriff der materiellen Enteignung, insbesondere das Tatbestandsmerkmal
des Sonderopfers, entsprechend erweitert werden soll.

    aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat ein Bauherr
keinen Anspruch auf Ersatz nutzlos gewordener Planungskosten, wenn sein
Vorhaben aufgrund der geltenden Bauvorschriften nicht bewilligt werden
kann. Dies gilt auch dann, wenn das Baugesuch im Zeitpunkt der Einreichung
dem geltenden Recht entsprach, dann aber bis zum Entscheid über die
Bewilligung die gesetzlichen Grundlagen zum Nachteil des Gesuchstellers
geändert wurden; der Grundeigentümer besitzt keinen Anspruch darauf, dass
das für sein Grundstück in einem bestimmten Zeitpunkt geltende Baurecht
auch in Zukunft unverändert bleibt. Hat jedoch gerade die Einreichung
eines bestimmten Baugesuchs Anlass zur Änderung der Bauordnung gegeben,
weil die Baubehörden die Ausführung des Vorhabens auf diese Weise
verhindern wollten, so kann eine Entschädigung für die nutzlos gewordenen
Aufwendungen ohne Verletzung von Art. 4 BV nicht verweigert werden, wenn
die Absicht der Baubehörden für den Grundeigentümer nicht voraussehbar
war. Ersatz muss sodann auch in denjenigen Fällen geleistet werden, in
welchen dem Bauwilligen vor Einreichung des Baugesuchs Zusicherungen auf
den Fortbestand der geltenden Bauvorschriften gegeben worden waren. Sind
diese Voraussetzungen erfüllt, muss Entschädigung auch dann ausgerichtet
werden, wenn keine Enteignung, weder eine formelle, noch eine materielle,
vorliegt. Im Falle einer Enteignung könnte die Vergütung der entsprechenden
Kosten zu den nach Enteignungsrecht zu entschädigenden Inkonvenienzen
zählen (BGE 102 Ia 252/253 E. 7 mit Verweisungen).

    Aus dieser Begründung ergibt sich, dass das Bundesgericht den
unter bestimmten Voraussetzungen bejahten Anspruch auf Ersatz von
Projektierungskosten in Fällen, in denen keine Enteignung vorliegt,
aus Art. 4 BV als Konsequenz des Prinzips des Vertrauensschutzes
herleitet. Der Verfassungsgrundsatz von Art. 22ter Abs. 3 BV gebietet
volle Entschädigung nur bei Enteignung und Eigentumsbeschränkungen, die
einer Enteignung gleichkommen; er enthält somit kein verfassungsrechtliches
Gebot zur Entschädigung in Fällen, in denen keine formelle oder materielle
Enteignung vorliegt.
   bb) An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die
Sonderopferentschädigung dient zwar auch der Respektierung des Art. 4
BV, indem sie eine Rechtsungleichheit ausgleichen will. Doch ist diese
Rechtsungleichheit darauf zurückzuführen, dass eine Eigentumsbeschränkung
als solche einen oder einzelne wenige Eigentümer gegenüber andern
Eigentümern in gleichen Verhältnissen in stossender Weise ungleich trifft.

    Soll hingegen zufolge einer Rechtsänderung Schadenersatz geleistet
werden, um Aufwendungen zu ersetzen, welche im Vertrauen auf den
Bestand früheren Rechts gemacht wurden, so geht es um eine umfassendere
öffentlichrechtliche Entschädigung für rechtmässiges staatliches Handeln,
das sich keineswegs nur auf Massnahmen der Raumplanung bezieht. Entgegen
der Annahme des Verwaltungsgerichts setzt die gemäss dem angeführten
bundesgerichtlichen Entscheid unter bestimmten Voraussetzungen gebotene
Vergütung der Projektierungskosten kein rechtswidriges Verhalten der
Behörden voraus.

    Richtigerweise hat sich daher eine entsprechende Entschädigungspflicht
nach den Anforderungen zu richten, die sich aus Art. 4 BV ergeben. Dabei
ist davon auszugehen, dass das Prinzip des Vertrauensschutzes gemäss
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts einer Änderung des
geltenden Rechts nicht entgegensteht (BGE 107 Ia 36 E. 3a mit Verweisungen,
insbesondere auf 102 Ia 336 E. 3c). Eine Entschädigung kann daher nur unter
qualifizierten Voraussetzungen in Frage kommen, wie sie gegeben sind, wenn
in wohlerworbene Rechte eingegriffen, von ausdrücklichen Zusicherungen des
Gesetzgebers abgewichen oder zur gezielten Verhinderung eines bestimmten
Vorhabens, das verwirklicht werden könnte, in nicht voraussehbarer Weise
eine Rechtsänderung beschlossen wird.

    cc) Die Beurteilung der vorliegenden Sache nach diesen Kriterien
führt zu folgendem Ergebnis:

    Die "Opération Vorderdettigen" konnte, wie dies auch das
Verwaltungsgericht festgestellt hat und vorne eingehend dargelegt wurde
(E. 3), aus rechtlichen Gründen zu keiner Zeit verwirklicht werden. Ein
Anspruch auf Ersatz von Projektierungskosten im Fall einer Rechtsänderung
besteht jedoch nur für Vorhaben, die nach bisher geltendem Recht hätten
ausgeführt werden können. Wer Studien für die Überbauung eines Areals
anfertigt, das noch nicht alle baurechtlichen Voraussetzungen zur
Bauausführung erfüllt, handelt auf eigenes Risiko (BGE 108 Ib 352 E. 5c).

    (Es folgt die Prüfung weiterer Begleitumstände der nutzlos gewordenen
Planung, die jedoch die Voraussetzungen einer Entschädigungspflicht nach
Art. 4 BV ebenfalls nicht zu erfüllen vermögen.)