Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IB 305



108 Ib 305

56. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember
1982 i.S. Müller gegen Eidgenössisches Finanz- und Zolldepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Eidgenössische Versicherungskasse: Aufnahme mit Vorbehalt.

    1. Die Verfügung über eine Aufnahme in die EVK mit Vorbehalt ist nicht
vermögensrechtlicher Natur. Sie ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
anfechtbar (E. 1).

    2. Die EVK-Statuten stehen einer vorbehaltslosen Aufnahme eines
Zügers nicht entgegen. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Regelung in
der Freizügigkeitsvereinbarung ist ein Züger rechtlich und finanziell
gleich zu stellen, wie er es in der alten Kasse war (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Dr. Pierre Müller stand seit 1973 als Archäologe im Dienste des
Kantons Zürich. Mit Verfügung vom 11. Mai 1979 wurde er rückwirkend auf
den 1. Juli 1977 ohne Vorbehalt in die kantonale Beamtenversicherungskasse
(kurz Zürcher Kasse) aufgenommen. Seit dem 1. September 1980 ist Dr. Müller
für ein Forschungsprojekt tätig und wird vom Schweizerischen Nationalfonds
zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (kurz Nationalfonds)
besoldet. Dr. Müller ist stark kurzsichtig. Überdies wurde bei ihm eine
retinale Degeneration links festgestellt. Dieses Gebrechen wurde bei
der Aufnahme in die Zürcher Kasse gemeldet, vom Amtsarzt festgestellt
und als wenig bedeutungsvoll eingestuft, da bei einer Verschlimmerung
des Zustandes durch eine Lasercoagulation eine Invalidität verhindert
werden könne. Die Zürcher Kasse verzichtete deshalb auf die Anbringung
eines Vorbehalts. Nachdem der Projektleiter beim Nationalfonds Dr. Müller
zur Aufnahme als Mitglied der Eidg. Versicherungskasse (EVK) angemeldet
hatte, musste dieser sich der vertrauensärztlichen Aufnahmeuntersuchung
unterziehen. Der Ärztliche Dienst der allgemeinen Bundesverwaltung
(AeD) kam aufgrund dieser Untersuchung zum Schluss, Dr. Müller könne
wegen seiner Kurzsichtigkeit nur mit Vorbehalt in die EVK aufgenommen
werden. Nach Ansicht des AeD hätte sich bereits bei der Aufnahme in die
Zürcher Kasse ein solcher Vorbehalt gerechtfertigt.

    Mit Verfügung vom 10./29. April 1981 wurde Dr. Müller eröffnet,
er werde gestützt auf Art. 12 der Statuten der Eidgenössischen
Versicherungskasse vom 29. September 1950 (SR 172.222.1, EVK-Statuten)
als mit Vorbehalt versichertes Mitglied in die EVK aufgenommen. Als Ursache
für den Vorbehalt gab die EVK an: "Myopie und Folgen." Eine von Dr. Müller
gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wurde vom Eidg. Finanz- und
Zolldepartement (EFZD) mit Entscheid vom 31. August 1981 abgewiesen.

    Dr. Müller erhebt gegen diesen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er rügt unter anderem die unzutreffende
Auslegung der EVK-Statuten.

    Das EFZD schliesst in seiner Vernehmlassung vom 22. Oktober 1981 auf
kostenfällige Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Entscheid der Kassenverwaltung über die Aufnahme in die EVK ist
eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG. Die Verfügung über eine Aufnahme
mit Vorbehalt hat keinen eigentlichen vermögensrechtlichen Anspruch
zum Gegenstand, sondern eine Aufnahmebedingung. Eine Geltendmachung
des Anspruchs, ohne Vorbehalt in die EVK aufgenommen zu werden, auf dem
Wege der verwaltungsrechtlichen Klage im Sinne von Art. 11 Abs. 1 der
EVK-Statuten i.V.m. Art. 116 lit. a OG fällt deshalb zum vornherein
ausser Betracht. Verfügungen nicht vermögensrechtlicher Natur der
Kassenverwaltung sind vielmehr nach Art. 11 Abs. 3 der EVK-Statuten
mit Verwaltungsbeschwerde anzufechten. Das EFZD ist demnach auf die von
Dr. Müller mangels Rechtsmittelbelehrung bei der EVK eingelegte Beschwerde
zu Recht eingetreten. Gegen seinen Beschwerdeentscheid ist gemäss den
Art. 97 und 98 lit. b OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.

Erwägung 2

    2.- a) Die anwendbare Vereinbarung vom 1. Januar 1970 über die
Freizügigkeit zwischen den Pensionskassen des Bundes, der Kantone
und Gemeinden sowie anderer Institutionen des öffentlichen Dienstes
(Freizügigkeitsvereinbarung) bestimmt in Ziffer 3:

    "Die Kasse, in welche der Übertritt erfolgt, verpflichtet sich im

    Rahmen ihrer gesetzlichen, reglementarischen oder statutarischen

    Möglichkeiten,

    a) das ohne Vorbehalt versicherte Mitglied ohne Vorbehalt aufzunehmen
   und einen allfälligen Vorbehalt nicht zu erweitern.

    b) ..."

    Demnach musste die EVK den Beschwerdeführer als Züger grundsätzlich
ohne Vorbehalt aufnehmen. Es ist zu prüfen, ob sie nach Gesetz und ihren
Statuten auch dazu befugt war. Die EVK verneint diese Möglichkeit, weil
die EVK-Statuten in Art. 20 ausdrücklich den Vorbehalt bei Invalidität für
die Freizügigkeitsvereinbarung vorbehalte und weil sich gemäss Art. 12
Abs. 2 EVK-Statuten die Kassenverwaltung auf die Feststellungen des
verwaltungsärztlichen Dienstes (AeD) zu stützen habe. Der Beschwerdeführer
rügt die falsche Anwendung der EVK-Statuten.

    Art. 20 EVK-Statuten, welcher erst seit dem 1. Januar 1973 in Kraft
ist (AS 1973 33 bzw. 35 ff.; BBl 1972 II 617) lautet:

    "Freizügigkeit

    Die Kassenverwaltung kann mit andern Personalfürsorgeeinrichtungen

    Vereinbarungen über die Freizügigkeit bei Übertritt abschliessen. Darin
   bleiben besondere, für die Mitglieder verbindliche Bestimmungen über die
   anzurechnenden Beitrags- und Versicherungsjahre, über den Vorbehalt bei

    Invalidität sowie über die zu überweisenden Beträge vorbehalten."

    Da Sinn und Tragweite dieser Bestimmung umstritten sind, ist es
nützlich, sich bei der Auslegung auf alle drei amtlichen Texte zu
stützen. Die entsprechenden französischen und italienischen Texte lauten:

    "Libre passage

    L'administration de la caisse peut conclure, avec d'autres
   institutions de prévoyance du personnel, des conventions de libre
   passage en cas de transfert de membres. Ces conventions peuvent contenir
   des dispositions spéciales ayant caractère obligatoire pour les membres,
   relativement aux années de cotisation et d'assurance, à la restriction
   en cas d'invalidité ainsi qu'aux montants à transférer.

    Libero passaggio

    L'amministrazione della Cassa può conchiudere con altri istituti di
   previdenza del personale convenzioni di libero passaggio in caso
   di trasferimento dei membri. Queste convenzioni possono prevedere
   disposizioni speciali, vincolanti per i membri, circa gli anni di
   contribuzione e d'assicurazione, le limitazioni in caso di invalidità
   e le somme da trasferire."

    b) Der französische und der italienische Text zeigen Sinn und Tragweite
dieser Bestimmung besser auf als der schwerfällig formulierte und unklare
deutsche Text (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 20. Oktober 1982
i.S. M. c. Schweizerische Eidgenossenschaft, E. 3c). Zudem lässt der
Vergleich des deutschen Textes mit den Texten der beiden romanischen
Amtssprachen einen inhaltlichen Unterschied erscheinen. Während nämlich
der zweite Satz im deutschen Text scheinbar imperativ vorschreibt, dass
in diesen Freizügigkeitsvereinbarungen besondere Bestimmungen bezüglich
der Beitragsjahre, den Vorbehalt bei Invalidität und die zu überweisenden
Beiträge vorbehalten bleiben, enthalten die romanischen Texte nur eine
Kann-Vorschrift, wonach die Freizügigkeitsvereinbarungen solche besondere
Bestimmungen enthalten können. Es kann jedoch offen bleiben, welche genaue
Tragweite diese Bestimmung hat, denn jedenfalls steht fest, dass unter den
in Art. 20 EVK-Statuten vorbehaltenen Bestimmungen, Sonderbestimmungen in
den Freizügigkeitsvereinbarungen zu verstehen sind; mit anderen Worten,
Art. 20 EVK-Statuten behält vor, dass in den Freizügigkeitsvereinbarungen
Sonderbestimmungen, auch über Vorbehalte bei Invalidität gemacht werden
können. Die zur Frage stehende Freizügigkeitsvereinbarung enthält aber
keinen solchen Vorbehalt. Die einzige in Betracht fallende Bestimmung
dieser Freizügigkeitsvereinbarung, die zitierte Ziffer 3, enthält nur
eine Rückverweisung auf die jeweiligen gesetzlichen, reglementarischen
oder statutarischen Möglichkeiten.

    c) Es fragt sich, ob die Kassenstatuten überhaupt der vorbehaltlosen
Aufnahme eines Zügers aufgrund von Ziff. 3 der Freizügigkeitsvereinbarung
entgegenstehen können. Der Sinn der Freizügigkeit besteht nämlich
darin, den Züger in der neuen Kasse finanziell und rechtlich möglichst
gleich zu stellen, wie er es in der alten war. Mit dem Abschluss
der Freizügigkeitsvereinbarung nimmt es eine Kasse in Kauf, dass
sie Züger unter Bedingungen aufnehmen muss, die in ihren Statuten
und Versicherungsbedingungen für ihre Mitglieder vorgesehen sind,
unter denen aber ein Neueintretender ohne Freizügigkeitsanspruch nicht
aufgenommen würde. Mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Regelung
in der Freizügigkeitsvereinbarung folgt daraus, dass ein Züger, welcher
ohne Vorbehalt gegen das Risiko Invalidität versichert war, selbst dann
ohne Vorbehalt in die neue Kasse aufzunehmen ist, wenn eine vorbehaltlose
Aufnahme nach den Kassenstatuten nicht möglich wäre. Dabei ist allerdings
vorauszusetzen, dass die neue Kasse das Risiko Invalidität überhaupt
versichert.

    Dieses Problem stellt sich indessen im vorliegenden Fall nicht,
weil feststeht, dass Art. 20 EVK-Statuten kein Hindernis für die
vorbehaltlose Aufnahme des Beschwerdeführers darstellt. Auch andere
statutarische Hindernisse stehen nicht im Wege, namentlich nicht Art. 12
EVK-Statuten. Gemäss Absatz 2 dieser Bestimmung stellt der AeD fest, ob die
Versicherung gegen Invalidität ohne oder mit Vorbehalt möglich ist. Aus
dieser Bestimmung, welche 1957 in die EVK-Statuten aufgenommen wurde
(AS 1957 218 bzw. 216; BBl 1957 I 325) und deshalb Art. 20 EVK-Statuten
als lex posterior et specialis nachgeht, kann nicht geschlossen werden,
dass der ärztliche Dienst entscheidet, ob und bejahendenfalls für welche
Risiken und wie lange ein Vorbehalt anzubringen ist. Dieser Entscheid
obliegt vielmehr den zuständigen Kassenorganen. Der AeD gibt lediglich ein
Gutachten über die medizinischen Befunde. Zwar ist der medizinische Aspekt
der wichtigste für den Entscheid über einen Vorbehalt, aber er ist nicht
der einzige. Macht der AeD den Vorschlag, einen Vorbehalt anzubringen,
so hat das zuständige Kassenorgan zu prüfen, ob ein solcher Vorbehalt
auch juristisch möglich ist. Im Falle des Beschwerdeführers war die
Anbringung eines solchen Vorbehaltes nicht möglich, ohne die mit der
Zürcher Kasse getroffene Freizügigkeitsvereinbarung zu verletzen. Bei
dieser Sachlage ist die Beschwerde gutzuheissen und die EVK anzuweisen,
den Beschwerdeführer ohne Vorbehalt aufzunehmen.