Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 108 IA 203



108 Ia 203

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. April 1982
i.S. Frei gegen Bernhardsgrütter (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 87, 50 und 57 Abs. 5 OG.

    Ist gegen einen letztinstanzlichen Zwischenentscheid mit der
staatsrechtlichen Beschwerde zugleich eine nach Art. 50 OG zulässige
Berufung erhoben worden, so ist auf die Beschwerde gemäss Art. 87 OG
einzutreten.

Sachverhalt

    A.- Dr. Med. Otto Bernhardsgrütter macht den Landwirt Alfred Frei
für die Folgen eines Reitunfalls haftbar. Er klagt auf Fr. 104'242.05
nebst Zins, weil er wegen einer schweren Knieverletzung neun Wochen voll
und vier Wochen zur Hälfte arbeitsunfähig gewesen sei und dabei einen
Verdienstausfall als frei praktizierender Arzt und als Inhaber, Leiter und
Lehrer einer Arztgehilfinnenschule erlitten habe. Das Bezirksgericht Arbon
wies die Klage ab; der Beklagte sei zwar Tierhalter im Sinne von Art. 56
OR gewesen, habe jedoch alle gebotene Sorgfalt angewandt; der Unfall sei
ausschliesslich vom Kläger verschuldet. Das Obergericht liess demgegenüber
die Halterfrage offen, bejahte dagegen die Haftung des Beklagten aus
Verschulden gemäss Art. 41 OR und verneinte ein Selbstverschulden des
Klägers. Am 26. Mai 1981 erklärte es den Beklagten als voll haftbar,
beschränkte aber seinen Entscheid vorläufig auf ein Teilurteil über die
Haftungsfrage, weil bezüglich der Höhe des Schadens zu erwarten sei,
dass sich die Parteien hierüber nach rechtskräftiger Beurteilung der
Haftungsfragen gütlich einigen könnten.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV
beantragt der Beklagte, dieses Teilurteil aufzuheben. Der Kläger und das
Obergericht beantragen, die Beschwerde abzuweisen.

    Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Beklagte zudem Berufung
eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid erging wohl letztinstanzlich, er ist
aber kein Endentscheid, weil das Obergericht lediglich die Haftung des
Beklagten bejaht, ohne zugleich betragsmässig über die Klageforderung
zu entscheiden. Es handelt sich demnach um einen letztinstanzlichen
Zwischenentscheid, welcher nach Art. 87 OG nur dann mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV angefochten werden kann, wenn
er für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil
zur Folge hat.

    Diese Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit dient der
Prozessökonomie. Sie soll verhindern, dass das kantonale Verfahren unnötig
unterbrochen wird; auch soll das Bundesgericht im gleichen Prozess nicht
mehrmals angerufen werden können. Der nicht wiedergutzumachende Nachteil,
welcher demgegenüber die Anfechtung von Zwischenentscheiden erlaubt,
muss nach der Rechtsprechung ein solcher rechtlicher Natur sein; eine nur
tatsächliche Beeinträchtigung wie beispielsweise eine Verlängerung oder
Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 106 Ia 228 f., 233 f. mit
Hinweisen). Danach wäre die vorliegende Beschwerde nicht zulässig, weil
der Beschwerdeführer seine Rügen auch noch im Anschluss an den Endentscheid
des Obergerichts erheben könnte.

    a) Indes ficht der Beschwerdeführer den Zwischenentscheid des
Obergerichts zugleich mit Berufung an. Dies ist nach Art. 50 OG zulässig,
wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt und ein so bedeutender
Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart
werden kann, dass die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt
erscheint. Vorliegend sind streitig das Ausmass der unfallbedingten
Arbeitsunfähigkeit und der Verdienstausfall des Beschwerdegegners als
freiberuflich tätiger Spezialarzt und Leiter einer Arztgehilfinnenschule,
wozu beide Parteien sich auf Expertisen berufen. Erfüllt ist auch das
zweite Erfordernis, indem die Gutheissung der Berufung zur Abweisung der
Klage führen könnte. Das setzt indessen, jedenfalls in der Regel, die
Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde voraus (Art. 57 Abs. 5 OG);
dem steht jedoch wie dargelegt die Rechtsprechung zu Art. 87 OG entgegen.

    b) In diesem offensichtlichen Konflikt verdient Art. 50 OG, der
die Anfechtung von Zwischenentscheiden unter bestimmten Voraussetzungen
ausdrücklich zulässt, den Vorrang. Es kann nicht angenommen werden, diese
Berufungsmöglichkeit entfalle, wenn zugleich staatsrechtliche Beschwerde
erhoben ist. Das muss zur Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde
führen, sei es, dass in diesen Fällen auf das Erfordernis eines besonders
gearteten rechtlichen Nachteils im Sinn der Rechtsprechung verzichtet
wird, sei es, dass dieser im Verlust des Berufungsrechts aus Art. 50 OG
erblickt wird. Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts, welche in der
Sache ebenfalls betroffen ist, hat dieser Betrachtungsweise zugestimmt. Auf
die Beschwerde ist deshalb einzutreten.