Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 152



105 IV 152

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. Juni 1979 i.S.
Bundesanwaltschaft gegen H. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 98 VStrR.

    In einem Verwaltungsstrafverfahren kann der Kanton vom Bund die
Erstattung bestimmter Prozess- und Vollzugskosten fordern, zu denen der
Beschuldigte nicht verurteilt worden ist oder die der Verurteilte nicht
bezahlen kann. Der Kanton kann jedoch den Bund nicht durch gerichtlichen
Entscheid zur Kostentragung verpflichten, sondern hat auf administrativem
Weg die Vergütung zu verlangen.

Sachverhalt

    A.- Durch Urteil vom 7. März 1979 hat die Gerichtskommission des
Bezirksgerichts St. Gallen den wegen Hinterziehung der Warenumsatzsteuer
verfolgten H. von der Anklage der Übertretung des BRB über die
Warenumsatzsteuer freigesprochen und in Dispositiv Ziff. 2 folgenden
Kostenentscheid getroffen:

    "2. Die Kosten

    Gerichtsgebühr                 Fr.  300.-

    Zuschlag                       Fr.  150.-

    Urteilsausfertigung            Fr.   45.-
                                    ----------

    zusammen                       Fr.  495.-

    sowie die Verfahrenskosten der Verwaltung von Fr. 20.- bezahlt der Bund
   bzw. die Oberzolldirektion."

    B.- Gegen diese Kostenauflage führt die Bundesanwaltschaft
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, gemäss
Art. 98 VStrR könne der Bund nicht durch gerichtlichen Entscheid
zur Kostentragung verpflichtet werden, sondern diese Frage sei auf
administrativem Weg zu regeln, über Anstände entscheide die Anklagekammer
des Bundesgerichts (Art. 98 Abs. 2 VStrR).

    a) Im Abschnitt über die Kosten (Art. 94-98 VStrR) bestimmt Art. 98
VStrR, nach den Vorschriften über die Kostenauflage im Verwaltungsverfahren
(Art. 94-96) und im gerichtlichen Verfahren (Art. 97), unter dem Marginale
"III. Kostenvergütung an den Kanton" folgendes:

    "Der Kanton kann vom Bund die Erstattung der Prozess- und
Vollzugskosten
   fordern, zu denen der Beschuldigte nicht verurteilt worden ist oder
   die der

    Verurteilte nicht bezahlen kann. Besoldungen und Taggelder von Beamten
   sowie Gebühren und Stempel sind ausgenommen.

    Anstände zwischen dem Bund und einem Kanton über die Vergütung
der Kosten
   entscheidet die Anklagekammer des Bundesgerichtes (Art. 25 Abs. 1)."

    b) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, durch diesen
veränderten Wortlaut der früher in Art. 320 BStP enthaltenen Vorschrift
habe der Gesetzgeber klargestellt, dass die vom Bund an den Kanton zu
leistende Vergütung nicht durch gerichtliche Kostenauflage sondern auf
administrativem Wege festzusetzen sei. Die gleiche Auffassung wurde
von PETER in der Kriminalistik 1974, S. 511 und in der ZStR 93 (1977),
S. 374 vertreten.

    c) Art. 98 VStrR unterscheidet sich vom jetzt aufgehobenen Art. 320
BStP durch die Formulierung des ersten Satzes. Art. 320 BStP begann
mit der Feststellung "Die Bundeskasse vergütet dem Kanton die Prozess-
und Vollzugskosten, zu denen..." Dies ist in Art. 98 VStrR abgeschwächt
durch die Wendung: "Der Kanton kann vom Bund die Erstattung... fordern."

    d) Unter der Herrschaft der früheren Bestimmung wurde es für zulässig
erachtet, dass der kantonale Richter dem Bund durch Urteil Kosten
auferlegte (BGE 96 IV 34). Dass durch die Änderung des Wortlautes
von Art. 98 Abs. 1 VStrR diese Möglichkeit eines richterlichen
Kostenentscheides zu Lasten des Bundes ausgeschlossen werden sollte,
ist nicht ohne weiteres klar. Allerdings gibt diese Interpretation der
Neufassung der Vorschrift eine praktische Tragweite, während irgendein
anderer Sinn der sprachlichen Änderung sich nicht erkennen lässt. Zudem
ist dem BGE 96 IV 34 E. 5 zu entnehmen, dass die Bundesanwaltschaft
sich damals gegen eine richterliche Festlegung der Kostenvergütung
des Bundes wandte und für ein administratives Verfahren eintrat. Der
Schluss ist daher naheliegend, die Bundesanwaltschaft habe bei der
Vorbereitung des VStrR durch die abweichende Formulierung der Vorschrift
über Kostenvergütungen des Bundes die richterliche Kompetenz ausschalten
wollen. Die Entstehungsgeschichte und der Umstand, dass ein anderer Sinn
für die sprachliche Änderung nicht erkennbar ist, sprechen somit für die
von der Beschwerdeführerin vertretene Interpretation.
   e) Aber auch eine systematische Analyse weist in der gleichen Richtung.

    Während die unter Ziff. I und II zusammengefassten Bestimmungen die
Kostenauflage gegenüber Beschuldigten regeln, wird die Kostentragung
des Bundes für alle Verfahrensstufen (Verwaltungsverfahren, gerichtliches
Verfahren, Vollzug) unter Ziff. III in Art. 98 geordnet. Der Bund kann also
nicht gemäss Art. 97 VStrR vom Richter gestützt auf kantonale Vorschriften
mit Kosten belastet werden; denn die Frage der Kostenpflicht des Bundes
ist in Art. 98 separat geregelt.

    Art. 98 VStrR aber enthält keinen Anhaltspunkt für eine Zuständigkeit
des kantonalen Richters zur Festsetzung der vom Bund zu zahlenden
Kosten. Mit der Wendung, der Kanton könne "fordern", wird eher auf ein
administratives Verfahren hingewiesen.

    Damit stimmt auch überein, dass gemäss Art. 98 Abs. 2 VStrR die
Anklagekammer über Anstände entscheiden soll. Der Ausdruck "Anstände"
ist nicht gebräuchlich, wenn es um die Anfechtung eines gerichtlichen
Entscheides geht; hingegen passt er für die Ordnung der Erledigung
administrativer Differenzen. Wäre der Strafrichter gemäss Art. 97
VStrR zuständig zur Festlegung von Kostenvergütungen des Bundes,
so müsste dieser Punkt des Strafurteils - abweichend von dem auf das
Urteil an sich anwendbaren Rechtsmittelverfahren - an die Anklagekammer
weitergezogen werden (Art. 98 Abs. 2 VStrR). Ungelöst wäre dabei, ob der
kantonale Instanzenzug erschöpft sein müsste, oder ob der Bund schon
eine Kostenauflage durch eine untere Instanz direkt der Anklagekammer
unterbreiten könnte.

    f) Systematische und praktische Überlegungen sprechen somit für die
Auffassung der Beschwerdeführerin.

    Schliesslich ist noch zu beachten, dass der Bund gemäss Art. 98 VStrR
nicht wie irgendein anderer Beteiligter zur Zahlung eines Anteils der
nach üblichen Kriterien festgesetzten Verfahrenskosten verurteilt werden
darf. Der Bundesgesetzgeber hat den Bund von der Belastung mit Gebühren
(inkl. Gerichtsgebühr vgl. BGE 96 IV 34) und Stempel ausgenommen. Auch
Besoldungen und Taggelder von Beamten sollen nicht auf den Bund überwälzt
werden dürfen. In einem strafrichterlichen Kostenentscheid würden diese
speziellen Grenzen einer Kostenbelastung des Bundes wohl leicht übersehen,
wie gerade der vorliegende Fall zeigt.

Erwägung 3

    3.- Aus diesen Erwägungen ist der Hauptantrag der Beschwerde
gutzuheissen. Die Vorinstanz hat dadurch Bundesrecht verletzt, dass sie
in ihrem Urteil dem Bund gestützt auf Art. 97 VStrR die Verfahrenkosten
auferlegte. Der Kanton kann jedoch nur auf administrativem Wege im Rahmen
von Art. 98 VStrR vom Bund eine Erstattung von Prozesskosten fordern.

    Die Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde führt zur Aufhebung von
Dispositiv Ziff. 2 des angefochtenen Entscheides. Eine Rückweisung der
Sache ist nicht erforderlich. Der Kanton wird von sich aus zu prüfen
haben, ob und mit welcher Forderung er gemäss Art. 98 VStrR an den Bund
gelangen will.

Erwägung 4

    4.- Bei diesem Ausgang erübrigt sich die materielle Prüfung der
Frage, welche Verfahrenskosten richtigerweise vom Bund verlangt werden
dürfen. Gegebenenfalls wird die Anklagekammer die Tragweite der in Art. 98
VStrR enthaltenen Schranken genau zu bestimmen haben.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde wird Ziffer 2 des Dispositivs
des Urteils der Gerichtskommission des Bezirksgerichts St. Gallen vom
7. März 1979 aufgehoben.