Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IV 142



105 IV 142

37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. April
1979 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 14 Abs. 1 TSG; Art. 11.11, 11.15 TSV in der Fassung vom
15. Dezember 1967.

    Werden Tiere der Rinder-, Schaf-, Ziegen- oder Schweinegattung in
einen andern Viehinspektionskreis transportiert, so ist zur Einholung
der Verkehrsscheine verpflichtet, wer den Transport anordnet.

Sachverhalt

    A.- F. ersteigerte am 26. November 1977 auf dem Hof des R. in
Basswil 25 Stück Vieh. 24 Stück hievon verbrachte 10 Tage später T.,
Transportunternehmer, von Ballwil nach Merenschwand, wo es von B., dem
Betriebsleiter von F., in Empfang genommen wurde. Auf dem Transport waren
die Tiere nicht von Verkehrsscheinen begleitet.

    B.- Auf Einsprache gegen die Strafverfügung des Amtsstatthalters
von Hochdorf vom 5. Juni 1978 sprach das Amtsgericht Hochdorf F. mit
Urteil vom 13. September 1978 der Widerhandlung gegen Art. 14 Abs. 1
TSG und Art. 11.11 TSV durch Orts- und Handänderungen mit Tieren ohne
die erforderlichen Verkehrsscheine schuldig und büsste ihn mit Fr. 200.-.

    Eine dagegen eingereichte Kassationsbeschwerde wies die II. Kammer
des Obergerichts des Kantons Luzern am 3. November 1978 ab.

    C. F. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung, eventuelle
zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt Abweisung der
Beschwerde.

    Eine von F. eingereichte staatsrechtliche Beschwerde hat der
Kassationshof als Staatsgerichtshof am 4. April 1979 im Sinne der
Erwägungen gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 14 Abs. 1 des Tierseuchengesetzes vom 1.
Juli 1966 in der Fassung vom 19. Dezember 1975, in Kraft seit 1. Juli
1977 (TSG, SR 916.40) muss jedes Tier der Rinder-, Schaf-, Ziegen- oder
Schweinegattung, das in einen andern Viehinspektionskreis gebracht oder im
eigenen Viehinspektionskreis auf den Markt oder eine Ausstellung geführt
wird, von einem Verkehrsschein begleitet sein, der dem Viehinspektor
am neuen Standort abzugeben ist. Art. 11.11 der Tierseuchenverordnung
vom 15. Dezember 1967 (TSV, SR 916.401) führt diese Vorschrift aus und
ergänzt sie. Art. 11 TSV wurde durch V vom 15. März 1978, in Kraft seit
1. Mai 1978 (AS 1978 325) in verschiedenen Punkten abgeändert. Da die
Tat vor dieser Änderung verübt wurde und das neue Recht, das vor dem
Urteil des Amtsgerichts Hochdorf in Kraft trat, nicht das mildere ist
(Art. 2 Abs. 2 StGB i.V.m. Art. 333 Abs. 1 StGB; s. BGE 97 IV 237),
findet im vorliegenden Fall Art. 11.11 TSV in einer alten Fassung (im
folgenden aTSV), der weitgehend dem am 1. Mai 1978 in Kraft getretenen Art.
11.9 TSV (im folgenden nTSV) entspricht, Anwendung. Er lautet:

    "1) Wer ein Tier aus irgendeinem Grunde von einem Viehinspektoratskreis
   in einen andern verbringen will, muss beim Viehinspektor des ersten
   Kreises einen Verkehrsschein einholen. Das Original des ausgefüllten

    Verkehrsscheines wird ihm oder seinem Beauftragten übergeben.

    Dieser Verkehrsschein hat das Tier zu begleiten und ist dem Übernehmer
des

    Tieres zu übergeben...

    2) Wer ein Tier übernimmt, hat den Verkehrsschein dem Viehinspektor des
   neuen Standortes spätestens am folgenden Tag abzugeben. Findet keine
   Übernahme statt, obliegt diese Pflicht dem Begleiter des Tieres."

    b) Die Pflicht, den Verkehrsschein einzuholen, obliegt also demjenigen,
der "ein Tier aus irgendeinem Grunde von einem Viehinspektoratskreis in
einen andern verbringen will". Damit umschreibt die seuchenpolizeiliche
Vorschrift von Art. 11.11 aTSV (Art. 11.9 nTSV) den Kreis der Pflichtigen
ohne direkte Bezugnahme auf zivilrechtliche Verhältnisse, die im Einzelfall
streitig werden können, wie Eigentum, Besitz, Übergang von Nutzen und
Gefahr, vertraglichem Anspruch auf Eigentums- oder Besitzesübertragung,
Berechtigung oder Verpflichtung, die Tiere an einen andern Ort zu
verbringen, Verteilung der Transportkosten usw. Vielmehr stellt das
Verwaltungsrecht auf einen tatsächlichen Vorgang ab: das Verbringen eines
Tieres in einen andern Viehinspektoratskreis. Wer das beabsichtigt,
muss, bevor er es tut, den Verkehrsschein und damit die behördliche
Bewilligung zur Standortveränderung einholen. Das bedeutet indessen nicht,
dass die Pflicht zur Einholung des Verkehrsscheins nur jenem obliegt, der
das Tier auch selber transportiert. Die Pflicht trifft auch denjenigen,
der den Standortwechsel anordnet, ohne ihn persönlich durchzuführen. Wie
die Vorinstanz richtig ausführt, können am Transport mehrere Personen
"beteiligt" sein. Sie alle müssen dann beachten, dass die Tiere nicht
ohne Bewilligung in einen andern Viehinspektoratskreis verbracht werden
dürfen. Doch können die sich daraus ergebenden Pflichten je nach Art. der
Beteiligung am Transport im weiteren Sinne verschieden sein. Wer z.B. mit
dem Transport beauftragt wird, darf diesen nicht durchführen, ohne im
Besitz der Verkehrsscheine zu sein, welche die Tiere begleiten müssen
(Art. 11.11 Abs. 1 Satz 3 aTSV; Art. 11.9 Abs. 1 Satz 2 nTSV); den
Verkehrsschein selber einzuholen, ist er damit aber nicht verpflichtet. Wer
die Tiere übernimmt, nimmt die Verkehrsscheine entgegen und muss sie
spätestens am folgenden Tag dem Viehinspektor des neuen Standorts abgeben
(Art. 11.11 Abs. 2 aTSV; Art. 11.9 Abs. 2 nTSV). Ohne Verkehrsschein
bzw. ohne Einverständnis des Viehinspektors soll er die Tiere nicht
übernehmen. Er muss zuwarten, bis die Verkehrsscheine beigebracht werden;
sie beim Viehinspektor des früheren Standorts der Tiere selber einzuholen
ist er hingegen nicht verpflichtet, wenn er den Transport nicht selber
angeordnet hat.

    Die Argumentation des Obergerichts, der Käufer sei zur Einholung der
Verkehrsscheine verpflichtet, wenn der Verkäufer dieser Pflicht nicht
nachgekommen sei, geht fehl. Denn der Käufer, der mit dem Transport nichts
zu tun hat, wird von der Unterlassung des Verkäufers in der Regel erst
Kenntnis erhalten, wenn er bei Übernahme der Tiere die Verkehrsscheine
herausverlangt, um diese pflichtgemäss spätestens am folgenden Tag dem
Viehinspektor des neuen Standorts der Tiere abzuliefern. In diesem Moment,
d.h. nach dem Transport kann die Vorschrift, wonach die Verkehrsscheine
die Tiere zu begleiten haben, gar nicht mehr eingehalten werden. Der Zweck
der Tierseuchengesetzgebung, der unter anderem in der Verhinderung der
Ausdehnung von Tierkrankheiten besteht, kann nur noch dadurch erreicht
werden, dass der Käufer bei Fehlen der Verkehrsscheine die Übernahme der
Tiere verweigert.

    Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lässt sich die Pflicht des
Käufers zur Einholung der Verkehrsscheine auch nicht aus Art. 11.15
Abs. 4 aTSV ableiten, wonach auf jedem Verkehrsschein Name und Wohnort
jedes neuen Tiererwerbers einzutragen sind und für diese Eintragungen der
Erwerber verantwortlich ist. Die Formulierung "jedes neuen Tiererwerbers"
ist nicht vereinbar mit Art. 11.15 Abs. 2 aTSV, der bestimmt, dass mit der
Handänderung eines Tieres die Gültigkeit des zugehörigen Verkehrsscheines
für jede weitere Handänderung erlischt. Art. 11.15 Abs. 4 aTSV kann sich
daher nur auf den im vorliegenden Fall nicht anwendbaren Art. 11.15
Abs. 3 aTSV beziehen, wonach der gleiche Verkehrsschein jedoch gültig
ist für weitere Handänderungen auf einem Markt, in einer öffentlichen
Schlachtanlage oder wenn das Tier wieder veräussert und sofort
weitertransportiert wird, ohne dass es in einen Stall verbracht wird.
Die V vom 15. März 1978 (Art. 11.12 Abs. 3 i.f. nTSV) ergänzt denn
auch folgerichtig: "Auf diesem Verkehrsschein hat jeder Erwerber des
Tieres seinen Namen und seinen Wohnort einzutragen" und hebt den unklar
formulierten Abs. 4 von Art. 11.15 aTSV auf.

    Es ist somit derjenige zur Einholung der Verkehrsscheine verpflichtet,
der den Transport der Tiere anordnet. Das ist ein klares Kriterium. Wird
der Transport von einer Mehrheit von Personen angeordnet, so ist
grundsätzlich jede einzelne dafür verantwortlich, dass die Verkehrsscheine
eingeholt werden. Beauftragt ein Pflichtiger einen Dritten zur Einholung
der Verkehrsscheine, so ist er nur entlastet, wenn er in der Auswahl,
Instruktion und Überwachung des Beauftragten seiner Sorgfaltspflicht
nachgekommen ist.

    c) Damit ist nicht gesagt, dass die zivilrechtlichen Verhältnisse
im Bewilligungsverfahren völlig ohne Bedeutung seien. So kann etwa
der Viehinspektor gemäss Art. 11.2 Abs. 2 aTSV vom Tiereigentümer
(bzw. gemäss Art. 11.2 Abs. 2 nTSV vom Tierhalter) verlangen, dass
er Original und Doppel eines für Tiere seines Bestandes ausgestellten
Verkehrsscheines unterzeichnet und damit bezeugt, dass sein Tierbestand
frei von anzeigepflichtigen Krankheiten ist und mit verseuchten
oder verdächtigen Tieren nicht in Berührung war. Wenn der Eigentümer
(bzw. Halter) des Tieres weiss darüber in der Regel am besten Bescheid. Die
zivilrechtlichen Verhältnisse können unter Umständen auch ein Indiz dafür
sein, wer im Einzelfall den Transport angeordnet hat.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer hatte am 26. November 1977 25 Stück Vieh
ersteigert, an denen er mit dem Zuschlag Eigentum erwarb (Art. 235 Abs. 1
OR). Diese Käufer- und Eigentümerstellung verpflichtete ihn, wie dargetan,
noch nicht, die Verkehrsscheine einzuholen. Mit ihrer gegenteiligen
Auffassung verkannte die Vorinstanz den Sinn von Art. 14 TSG und Art. 11.11
aTSV, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen muss.

    Offen bleibt, ob und wieweit sich aus den zivilrechtlichen
Verhältnissen und den verfügbaren Beweismitteln ergibt, dass F. zum
Transport der Tiere Auftrag erteilte und damit verpflichtet war, die
Verkehrsscheine einzuholen. Die Sache ist daher gemäss Art. 277 BStP an
das Obergericht zurückzuweisen. Es wird genau abzuklären sein, in welcher
Weise der Verkäufer R. einerseits und der Beschwerdeführer anderseits
an der Organisation des Viehtransports beteiligt waren. Sollte sich im
Rückweisungsverfahren ergeben, dass F. den Transport der Tiere nicht
angeordnet hat, so dürfte er nicht deshalb bestraft werden, weil er es
unterliess, die Verkehrsscheine beim Viehinspektor des alten Standorts der
Tiere einzuholen. Sollte sich dagegen erweisen, dass der Beschwerdeführer
gemeinsam mit dem Verkäufer R. den Auftrag zum Transport erteilt hat,
wäre F. nur dann entlastet, wenn R. die Einlösung der Verkehrsscheine
übernommen hat und der Beschwerdeführer sich nach den Umständen darauf
verlassen konnte, dass die Verkehrsscheine auch ordnungsgemäss eingeholt
würden.