Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 II 215



105 II 215

36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Juni 1979 i.S. X. gegen X.
(Berufung) Regeste

    Scheidungsklage einer im ausländischen Heimatstaat wohnenden
schweizerisch-ausländischen Doppelbürgerin beim Richter des schweizerischen
Heimatortes.

    1. Das Abkommen zwischen der Schweiz und Belgien über die Anerkennung
und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen
vom 29. April 1959 vermag die Anwendung des NAG nicht auszuschliessen
(E. 2).

    2. Art. 7g Abs. 1 NAG gilt auch für den im ausländischen Heimatstaat
wohnenden schweizerisch-ausländischen Doppelbürger (E. 1 und 4)
(Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Der belgische Staatsangehörige A. X. und B. Y., Bürgerin von Horgen
und Wetzikon, schlossen am 3. August 1957 in Horgen die Ehe. Die Ehefrau,
die zuvor gemäss Art. 9 des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des
Schweizerbürgerrechts (BüG) die Erklärung abgegeben hatte, ihr Schweizer
Bürgerrecht beibehalten zu wollen, erwarb durch die Heirat die belgische
Staatsangehörigkeit. Die Eheleute X.-Y. begründeten in der Folge ihren
Wohnsitz in Belgien.

    Mit Eingabe vom 20. April 1977 reichte die nach wie vor in Belgien
wohnhafte B. X.-Y. beim Bezirksgericht Horgen Klage ein auf Scheidung
der Ehe gestützt auf Art. 142 ZGB.

    A. X. erhob die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit.

    Das Bezirksgericht Horgen (III. Abteilung) schützte die Einrede
des Beklagten und beschloss am 6. Juli 1978, auf die Klage werde nicht
eingetreten.

    Den von der Klägerin hiegegen erhobenen Rekurs hiess das Obergericht
des Kantons Zürich (I. Zivilkammer) mit Beschluss vom 29. Januar 1979
gut. Es wies die Sache zum Eintreten auf die Scheidungsklage an das
Bezirksgericht zurück.

    A. X. hat gegen den zweitinstanzlichen Entscheid beim Bundesgericht
Berufung eingereicht mit dem Antrag, es sei die Unzuständigkeit des
Richters am schweizerischen Heimatort der Klägerin festzustellen.

    Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 7g Abs. 1 NAG kann ein im Ausland wohnender
schweizerischer Ehegatte eine Scheidungsklage beim Richter seines
Heimatortes anbringen. Diese Bestimmung gilt nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung auch dann, wenn der Kläger Doppelbürger ist und seinen
Wohnsitz im andern Heimatstaat hat (vgl. BGE 84 II 469 ff.). In einem
späteren Entscheid hat das Bundesgericht freilich beiläufig bemerkt,
es möge dahingestellt bleiben, ob die Anwendung des Art. 7g Abs. 1 NAG
auf schweizerisch-ausländische Doppelbürger angesichts der sich mehrenden
internationalen Zuständigkeitskonflikte als dem wahren Sinne des Gesetzes
entsprechend betrachtet werden könne und ob die weite Auslegung der
genannten Bestimmung beizubehalten sei oder ob nicht vielmehr bei Wohnsitz
des Doppelbürgers im ausländischen Heimatstaat der Gerichtsbarkeit jenes
Staates der Vorrang einzuräumen sei (BGE 89 I 309).

    Der Beklagte macht in erster Linie geltend, einer Anwendung des Art. 7g
Abs. 1 NAG auf das von der Klägerin in Horgen eingeleitete Verfahren
stehe auf jeden Fall das am 29. April 1959 geschlossene und am 15. Oktober
1962 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Schweiz und Belgien über
die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen
und Schiedssprüchen (SR 0.276.191.721) entgegen; diese Konvention sei
dem Willen der beiden Staaten entsprungen, Zuständigkeitskonflikte zu
vermeiden und gehe daher den innerstaatlichen Kollisionsnormen vor;
Art. 7g Abs. 1 NAG könnte demnach nur dann angewendet werden, wenn das
vom schweizerischen Richter zu füllende Urteil in Belgien anerkannt
würde, was jedoch gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. b und Art. 2 Abs. 1 lit.
a des erwähnten Abkommens nicht der Fall sei.

Erwägung 2

    2.- Das schweizerisch-belgische Abkommen vom 29. April 1959
regelt einzig die Bedingungen, unter denen gerichtliche Entscheide
(und Schiedssprüche) des einen Vertragsstaates im andern anerkannt
und vollstreckt werden sollen (vgl. die Präambel). Es enthält keine
Gerichtsstandsordnung und sieht demnach auch nicht etwa vor, dass die
Zuständigkeitsnormen des einen Staates der Frage der Anerkennung der
Urteile durch den andern Staat Rechnung zu tragen hätten. Entgegen der
Auffassung des Beklagten vermag der Staatsvertrag eine Anwendung der
Bestimmungen des NAG somit nicht auszuschliessen (vgl. Art. 34 NAG).

Erwägung 3

    3.- Dass die Klägerin auch in Belgien die Scheidung erlangen könnte,
ist ohne Belang. Der Beklagte vermag im übrigen nicht darzutun, dass
das dortige Recht einen der tiefen Zerrüttung im Sinne von Art. 142 ZGB
entsprechenden Scheidungsgrund kennt. Dies ist denn auch offensichtlich
nicht der Fall (vgl. Art. 229 ff. des belgischen Bürgerlichen Gesetzbuches,
bei BERGMANN/FERID, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, I. Bd.,
Belgien S. 33).

Erwägung 4

    4.- Wie das Obergericht mit Recht ausführt, besteht trotz der in BGE 89
I 309 geäusserten Bedenken kein Anlass zur Änderung der Rechtsprechung zu
Art. 7g Abs. 1 NAG (Anwendung auch bei Doppelbürgern), die im Schrifttum
zumindest stillschweigend gebilligt wird (vgl. VISCHER, Internationales
Privatrecht, in: Schweizerisches Privatrecht, I. Bd. S. 541; STAUFFER,
Nachtrag 1977 zur Praxis zum NAG, Anm. 3 zu Art. 7g; SCHNITZER, Handbuch
des internationalen Privatrechts, 4. A., I. Bd., S. 377; BÜHLER,
Berner Kommentar, Einleitung zur Ehescheidung, N. 132; HINDERLING,
Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. A., S. 192). Die Erwägungen
in BGE 84 II 473 ff. haben nach wie vor ihre Gültigkeit. Mit der im
Bürgerrechtsgesetz geschaffenen, durch nichts eingeschränkten Möglichkeit
der Erklärung, das Schweizer Bürgerrecht beibehalten zu wollen (Art. 9
Abs. 1 BüG), wurde in Kauf genommen, dass eine Schweizerin, die bei
der Heirat mit einem Ausländer dessen Staatsangehörigkeit erwirbt,
zur Doppelbürgerin werden kann und dass dadurch im internationalen
Verhältnis Schwierigkeiten entstehen können. Es ist daher nicht Sache
der Rechtsprechung, einer schweizerisch-ausländischen Doppelbürgerin,
die im ausländischen Heimatstaat wohnt, unter Berufung auf die Vermeidung
internationaler Konflikte den schweizerischen Scheidungsgerichtsstand
vorzuenthalten oder von ihr - entsprechend der Regelung in Art. 7h Abs. 1
NAG - den Nachweis der Anerkennung des Urteils im ausländischen Wohnsitz-
und Heimatstaat zu verlangen. Dem Gesichtspunkt der Anerkennung des Urteils
im ausländischen Heimatstaat hat das Bundesgericht in seiner neueren
Rechtsprechung übrigens auch im Zusammenhang mit andern eherechtlichen
Fragen zu Gunsten der inneren Harmonie der schweizerischen Rechtsordnung
immer weniger Bedeutung beigemessen (vgl. BGE 102 Ib 1 ff.; 97 I 389 ff.,
insbesondere 410; 94 II 65 ff.).

    Dass sich im vorliegenden Fall auch die Nebenfolgen einer Scheidung
nach schweizerischem Recht bestimmen (Art. 7g Abs. 2 NAG) und dass der
Beklagte als in seinem Heimatstaat wohnender Belgier in der Schweiz ins
Recht gefasst werden kann, ist die Folge der bestehenden schweizerischen
Rechtsordnung. Der Beklagte hat sich damit abzufinden.