Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IB 88



105 Ib 88

14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 27. Juni 1979 i.S. Meuli gegen Kanton Graubünden und
Eidg. Schätzungskommission, Kreis 12 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 18 EntG; Form der Entschädigung.

    Inwieweit besteht ein Rechtsanspruch darauf, dass die
Enteignungsentschädigung in Form einer Sachleistung entrichtet wird? (Frage
offen gelassen). Bedeutung von Art. 8 und 10 EntG (E. 2).

    Eine Sachleistung fällt auf jeden Fall nur in Betracht, wenn
wesentliche Interessen des Enteigneten auf dem Spiele stehen. Der Umstand,
dass der Enteigner zur Zeit der Enteignung in der Lage ist, Realersatz
zu leisten, ist für sich allein nicht ausschlaggebend (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Zum Erwerb der für den Bau der Nationalstrasse N 13 erforderlichen
Landes strengte der Kanton Graubünden gegen Hans Meuli-Seeli, Nufenen/GR,
ein Enteignungsverfahren an. Von dessen Parzelle Nr. 3-68 (Grundbuch
Nufenen) im Halte von 2400 m2 sollten insgesamt 1695 m2 enteignet
werden. Die verbleibende Fläche bestand aus zwei Landstreifen von
562, bzw. 143 m2. Mit Eingabe vom 15. März 1978 verlangte Meuli die
Aufhebung einer am 22. März 1962 zwischen seiner Rechtsvorgängerin Elsbeth
Meuli-Trepp und dem Kanton Graubünden abgeschlossenen Vereinbarung, welche
die Abtretung von 1050 m2 Land zu einem Preis von Fr. 3.50/m2 vorgesehen
hatte. Gleichzeitig beantragte er die Ausdehnung der Enteignung auf die
gesamte Parzelle und die Zusprechung von gleichwertigem Realersatz. Nachdem
die Einigungsverhandlung erfolglos verlaufen war, verfügte die ESchK
die Ausdehnung der Enteignung auf das gesamte Grundstück. Sie sprach
Meuli als teilweisen Realersatz die Parzelle Nr. 112 (Grundbuch Nufenen)
mit einer Fläche von 618 m2 zu und verurteilte den Kanton Graubünden, dem
Enteigneten eine Entschädigung von Fr. 5835.35 nebst 5% Zins auf Fr. 7545.-
seit dem 1. April 1962 und auf Fr. 522.- seit dem 29. September 1978 zu
bezahlen. Das Ersatzland wurde im Verhältnis 1:1 angerechnet.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 12. März 1979 verlangt der
Enteignete, der Enteigner sei zu verpflichten, ihm nebst der Parzelle
Nr. 112 als Realersatz 1782 m2 aus der Parzelle Nr. 386 abzugeben und
einen Zins von 5% auf Fr. 7545.- seit dem 1. April 1962 zu bezahlen. Auf
die Begründung wird, soweit notwendig, in den Erwägungen eingegangen.

    Die ESchK verzichtet auf Vernehmlassung. Der Kanton Graubünden,
vertreten durch das Bau- und Forstdepartement, schliesst auf Abweisung
der Beschwerde. Für den Fall der Gutheissung des Begehrens um Realersatz
beantragt er, die zugesprochenen Zinsen um Fr. 2208.65 zu reduzieren.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Bei der Beurteilung von Verwaltungsgerichtsbeschwerden
in Enteignungssachen ist das Bundesgericht an die Anträge
der Parteien gebunden (BGE 102 Ib 89 E. 1c). Da es an einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Enteigners fehlt, kann der Entscheid der
Schätzungskommission nicht abgeändert werden, soweit er dem Enteigneten
teilweise Realersatz zuspricht. Ebensowenig kann das Bundesgericht,
falls es das Begehren um weiteren Realersatz abweist, mangels eines
Eventualantrages des Enteigneten den Betrag und die Berechnungsweise der
von der Kommission zugesprochenen Geldentschädigung überprüfen.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 17 EntG ist die Entschädigung, wenn Gesetz oder
Abrede nichts anderes bestimmen, in Geld zu entrichten. Unter den
Gesetzesbestimmungen, welche eine Naturalleistung vorsehen, sind zunächst
Art. 8 (Ersatz von Kulturland) und 10 EntG (Brunnen und Quellen) zu
erwähnen. Diese Bestimmungen betreffen indessen Verpflichtungen, welche
dem Enteigner in Anbetracht allgemeiner Interessen auferlegt werden. Ihre
Anwendung ist nicht Sache der Schätzungskommission, sondern der Behörde,
welche über die Gewährung des Enteignungsrechtes und über die Einsprachen
zu befinden hat (vgl. Art. 35, 39 und 55 EntG; Art. 46 WRG; auf dem
Gebiete des Nationalstrassenbaus: Art. 26/27 NSG; vgl. Sten. Bull. NR
1928 S. 802, Votum Sträuli).

    Dagegen obliegt der Schätzungskommission gemäss Art. 64 Abs. 1
lit. a EntG die Anwendung des Art. 18 EntG. Nach dieser Bestimmung kann
an Stelle der Geldleistung ganz oder teilweise eine Sachleistung treten,
so insbesondere, wenn infolge der Enteignung ein landwirtschaftliches
Gewerbe nicht mehr fortgeführt werden kann, ferner bei der Enteignung von
Wasser und Wasserkraft sowie bei Störung von Wegverbindungen und Leitungen.

    Obwohl bei der Gesetzesberatung vor dem Nationalrat das Wort
"ausnahmsweise" aus dem Text des Art. 18 EntG gestrichen wurde (Art. 15 des
bundesrätlichen Entwurfes; vgl. BBl 1926 II 23 f. und 117; Sten. Bull. NR
1928, S. 627, Votum Pilet-Golaz), um eine allzu enge Auslegung der neuen
Vorschrift zu vermeiden, soll der Realersatz eine Ausnahme gegenüber dem in
Art. 17 EntG festgelegten Grundsatz der Geldentschädigung bilden. Dieser
Schluss ergibt sich schon aus der Systematik des Gesetzes und wird
durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Schon in seiner Botschaft
vom 21. Juni 1926 hatte der Bundesrat - offensichtlich im Bewusstsein,
dass die Verwirklichung dieser neuen Bestimmung auf Schwierigkeiten
stossen könnte - ausgeführt, die Anwendung des Art. 18 EntG werde sich
"... wohl eher und hauptsächlich im Einigungs- als im Schätzungsverfahren
denken lassen" (BBl 1926 II 24). In der Botschaft (aaO, S. 23) und in der
parlamentarischen Beratung (Sten Bull NR 1928, S. 627, Votum Pilet-Golaz)
wurde schliesslich hervorgehoben, mit der Einführung dieser neuen
Bestimmung werde beabsichtigt, die Kontroverse zwischen Rechtsprechung
und Praxis hinsichtlich der Zulässigkeit des Realersatzes zu beenden. Die
Schwierigkeiten einer breiten Anwendung dieser Bestimmung liegen im
übrigen in der Natur der Sache selbst begründet: Um sich die für eine
Sachleistung notwendigen Ersatzgüter zu verschaffen, darf der Enteigner
das Enteignungsrecht nicht in Anspruch nehmen. Eine Ausnahme bilden
lediglich diejenigen Fälle, in welchen dem Enteigner von vorneherein bei
der Verleihung des Enteignungsrechts die Verpflichtung auferlegt wurde,
zur Wahrung der öffentlichen Interessen Ersatzmassnahmen im Sinne der
Art. 7-10 EntG zu treffen (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, ad
Art. 4, N. 9-12; ad Art. 18, N. 2, 5, 12; KUTTLER, Die Bodenverteuerung
als Rechtsproblem, ZSR NF 83 (1964) II 191; Sten. Bull. SR 1929, S. 179
(Votum Dietschi); BJM 1963 S. 183 ff. E. 2). In diesen Fällen stützt sich
das Enteignungsrecht auf Art. 4 lit. d EntG.

    Aus diesen Gründen ist in der Lehre umstritten, ob Art. 18 EntG einen
eigentlichen Rechtsanspruch des Enteigneten auf Realersatz begründet
(so das deutsche Recht, vgl. §§ 100 und 101 BBauG; vgl. KUTTLER, aaO,
S. 193), oder ob er lediglich den Behörden eine Befugnis einräumt,
von der diese nach pflichtgemässem Ermessen Gebrauch zu machen haben
(anscheinend für die erstgenannte Meinung: IMBODEN, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, 3. Auflage, Nr. 434 N. Ia; anders: MERKER, Der
Grundsatz der "vollen Entschädigung" im Enteignungsrecht, Diss. ZH 1975,
S. 124 f. und dort angeführte Literaturhinweise). Der Rechtsprechung
des Bundesgerichts lässt sich wenig entnehmen. Im Urteilsentwurf vom
15. Februar 1962, bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts vom 4. April
1962 i.S. Officine Idroelettriche di Blenio S.A. c. Prebenda di Ponente,
wurde die Anwendbarkeit von Art. 18 EntG für den Ersatz eines Stalles
verneint. Im nicht weitergezogenen Urteilsentwurf vom 3. Februar 1965
i.S. Berger c. Zürich wurde ausgeführt, dass Art. 18 EntG dem Enteigneten
keinen Rechtsanspruch auf Realersatz verleihe, wenn nicht die besonderen
Voraussetzungen von Art. 8 oder 10 erfüllt seien. Es wurde hinzugefügt, die
Schätzungskommission könne den Enteigner nicht zur Leistung von Realersatz
verpflichten und der Enteignete aus der Weigerung des Enteigners, eine
Sachleistung zu erbringen, keine Rechte ableiten. Demgegenüber wurde
im Urteilsentwurf vom 15. Juli 1966 i.S. Kanton Zürich c. Stiftung "Im
Grüene" die Frage offen gelassen, ob der Enteignete auf Grund von Art. 18
EntG einen eigentlichen Rechtsanspruch geltend machen könne. Auch im
Urteil des Bundesgerichts vom 11. September 1963 i.S. Zumbrunnen c. SBB
(in BGE 89 I 343 ff. nicht veröffentlichte Erw. 1) wird die Frage des
Anspruches des Enteigneten nicht angeschnitten. Das Bundesgericht hebt
lediglich hervor, dass eine Sachleistung auch ausserhalb der im Gesetz
nicht abschliessend aufgezählten Fälle in Frage kommen kann, dass aber
die Möglichkeit, dem Enteigner eine solche Verpflichtung aufzuerlegen,
von einer Abwägung sämtlicher sich gegenüberstehenden Interessen abhängig
gemacht werden muss (zustimmend KUTTLER, aaO, S. 192). Streitig ist in
der Lehre ferner, ob die Schätzungskommission die Grundstücke, welche
der Enteigner als Realersatz abzutreten hat, selber bezeichnen kann (so
IMBODEN, aaO, Nr. 434, N. II), oder ob sie sich darauf beschränken muss,
den Grundsatz des Realersatzes festzusetzen und den Enteigner, falls
sich die Parteien über die Wahl des Ersatzgrundstückes nicht verständigen
können, zu einer Geldleistung in der Höhe der Wiederbeschaffungskosten zu
verurteilen (so IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
5. Auflage, Nr. 129 B II). Diese heiklen Fragen können indessen offen
bleiben, da der EschK keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden
kann, selbst wenn man von der Annahme ausgeht, Art. 18 EntG gewähre dem
Enteigneten einen eigentlichen Rechtsanspruch.

Erwägung 3

    3.- Selbst bei dieser Annahme könnte nämlich einem solchen Anspruch
kein unbedingter und absoluter Charakter zukommen. Dies folgt schon aus
dem Wortlaut des Art. 18 EntG, der eine Kann-Vorschrift ist. Obwohl die
Aufzählung in Art. 18 EntG nicht abschliessend ist, lässt sich den vom
Gesetzgeber aufgeführten Beispielen entnehmen, dass die Zusprechung von
Realersatz nur dann in Betracht fällt, wenn wesentliche Interessen des
Enteigneten auf dem Spiele stehen. Dies ist beispielsweise der Fall,
wenn zufolge der Enteignung ein landwirtschaftliches Gewerbe nicht mehr
fortgeführt werden könnte. Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass Landwirte
aus diesem Grund entwurzelt werden (BBl 1926 II 24). Der Beschwerdeführer
tut nicht dar, dass die Verweigerung des vollen Realersatzes für ihn derart
einschneidende Folgen hätte. Eine solche Behauptung erschiene im übrigen
schon angesichts der verhältnismässig kleinen Fläche des enteigneten
Landes kaum als glaubhaft, gleichgültig, ob man von der Gesamtfläche nach
Ausdehnung der Enteignung (2400 m2) ausgeht, oder - was richtiger erscheint
- diejenige Fläche ausser acht lässt, welche dem Enteigner im Jahre 1962
abgetreten wurde, ohne dass dadurch offenbar ernsthafte Schwierigkeiten
für den Betrieb entstanden sind. Aus dieser Sicht kann man sich sogar
fragen, ob die ESchK die Ausdehnung der Enteignung zu Recht zugelassen
hat. Zwar würden sich unter normalen Bedingungen die beiden Reststücke
von 562 bzw. 143 m2 kaum zu einer bestimmungsgemässen Verwendung eignen
(vgl. Art. 12 Abs. 1 EntG). Aber im vorliegenden Fall stellt sich die
Situation anders dar, da in der Gemeinde Nufenen eine Güterzusammenlegung
im Gange ist. Der Enteignete hätte die beiden Restgrundstücke in dieses
Verfahren einwerfen und sich dafür Realersatz sichern können. Auch
im Enteignungsrecht gilt der Grundsatz, dass der Enteignete alle ihm
vernünftigerweise zumutbaren Massnahmen treffen muss, welche geeignet
sind, die Vermögensnachteile des enteignenden Eingriffs abzuwenden oder
zu vermindern (ZBl 1977 356; vgl. BGE 89 I 463 E. a). Die ESchK führt im
Rahmen der von ihr vorgenommenen Interessenabwägung im übrigen zu Recht
aus, dass schon die Zuteilung der Parzelle Nr. 112 im Wertverhältnis
1:1 einen Vorteil für den Enteigneten darstellt, weil diese Parzelle
in unmittelbarer Nähe der Bauzone liegt und der Enteignete sie für sein
eigenes Unternehmen verwenden kann.

    Der Beschwerdeführer ist der Meinung, für die Anwendung des Art. 18
EntG sei entscheidend, dass der Enteigner tatsächlich in der Lage ist,
Realersatz zu leisten. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Selbst
wenn es zutrifft, dass der Kanton Graubünden im Bann der Gemeinde Nufenen
rund 1,3 ha Boden besitzt, welcher wahrscheinlich Finanzvermögen bildet
(IMBODEN/RHINOW, aaO, Nr. 129 B Ib), darf nicht darüber hinweggesehen
werden, dass der Kanton für die zufolge Lawinengefahr notwendige teilweise
Änderung der Linienführung der N 13 voraussichtlich weitere Enteignungen
von rund 4 ha wird vornehmen müssen. Es ist anzunehmen, dass er auch
in jenen Verfahren Realersatz leisten muss und die dannzumal erhobenen
Ansprüche ebenfalls nur teilweise decken kann. Würde diesem Umstand
nicht heute schon Rechnung getragen, liefe dies auf eine durch nichts
gerechtfertigte Privilegierung des Beschwerdeführers hinaus. Die ESchK hat
die sich gegenüberstehenden- Interessen richtig abgewogen. Die Beschwerde
ist daher vollumfänglich abzuweisen.