Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IB 338



105 Ib 338

53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
12. Dezember 1979 i.S. Gemeinde Nufenen gegen Kanton Graubünden und
Regierungsrat des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 8 EntG, Art. 38 NSG.

    Art. 8 EntG findet auch dann Anwendung, wenn ein Unternehmen, dem das
Enteignungsrecht schon von Gesetzes wegen zusteht, als Enteigner auftritt
(E. 2b).

    Art. 38 NSG geht der Bestimmung von Art. 8 EntG vor (E. 2c).

    Unter "Kostenanrechnung" im Sinne von Art. 38 Abs. 2 NSG ist auch der
Entscheid darüber zu verstehen, wie der strassenbaubedingte Beitrag bei der
weiteren Subventionierung der Güterzusammenlegung anzurechnen sei (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Nach verschiedenen Lawinenniedergängen auf die Nationalstrasse N
13 auf dem Gebiet der Gemeinde Nufenen wurde beschlossen, die Autobahn vom
Casannawald bis Nufenen zu verlegen und den für den Bau der "Winterstrasse"
benötigten Boden im Rahmen einer Güterzusammenlegung zu erwerben. Mit
Entscheid vom 29. Mai/21. Juni 1978 genehmigte die Regierung des Kantons
Graubünden das entsprechende Ausführungsprojekt unter gleichzeitiger
Beurteilung der erhobenen Einsprachen, so auch jener der Gemeinde Nufenen.

    In ihrer Einsprache hatte die Gemeinde Nufenen unter anderem
verlangt, dass ihr gestattet werde, den von Seiten des Strassenbaues an
die Güterzusammenlegung zu leistenden Betrag teilweise als Beitrag für
die Alpmelioration und für Inkonvenienzen mit dem Heimvieh sowie für
die Melioration von Weiden zu Wiesen zu verwenden. Zu diesem Begehren
führte die Regierung in ihrem Entscheid aus, es spreche nichts dagegen,
dass die Gemeinde Nufenen den nationalstrassenbedingten Beitrag für
jene zweckgerichteten, kulturtechnischen Massnahmen verwende, die am
besten geeignet seien, den durch den Strassenbau entstehenden Schaden
einzudämmen. Dies gelte allerdings nur unter der Voraussetzung, dass
einerseits sich die Vorkehren im Rahmen der Gesamtmelioration bewegten
und andererseits die dafür aufgewendeten Beträge nicht nochmals bei der
Subventionierung der Gesamtmelioration in Anschlag gebracht würden. Sollte
dagegen mit dem Gesuch eine doppelte Subventionierung erwirkt werden,
so könnte dem Begehren nicht entsprochen werden.

    Gegen diesen Entscheid der Bündner Regierung hat die Gemeinde
Nufenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragt in
erster Linie, es sei festzustellen, dass die Regierung des Kantons
Graubünden im angefochtenen Beschluss nicht hätte über die Verwendung des
"Nationalstrassenbeitrages" befinden dürfen. Das Bundesgericht zieht in

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Formelles).

Erwägung 2

    2.- a) Wie die Bündner Regierung in ihrer Beschwerdeantwort zu
Recht ausführt, haben die durch den Nationalstrassenbau betroffenen
Grundeigentümer ihre Begehren, die unter den Begriff der Einsprache
im weiteren Sinne fallen, bereits im Einspracheverfahren anzubringen,
das mit der öffentlichen Auflage des Ausführungsprojektes verbunden wird
(Art. 27 Abs. 2 NSG). Dies ergibt sich aus Art. 39 Abs. 2 NSG, wo klar
bestimmt wird, dass sich das Enteignungsverfahren auf die Behandlung
der angemeldeten Entschädigungsforderungen (Art. 30 Abs. 1 lit. c EntG)
beschränkt, Einsprachen gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine
Planänderung bezwecken (Art. 30 Abs. 1 lit. a und b EntG), hingegen in
diesem Verfahren ausgeschlossen sind. Unter Einsprachen im weiteren
Sinne werden sowohl die Einsprachen im engeren Sinne (Art. 35 lit. a
EntG) als auch die Begehren nach Art. 7 bis 10 EntG (Art. 35 lit. b
EntG) verstanden.

    b) Nach Art. 8 EntG kann dort, wo durch die Ausführung des
Werkes grössere Flächen Kulturlandes verloren gehen, die Gewährung
des Enteignungsrechtes an die Bedingung geknüpft werden, dass der
Enteigner vollen oder teilweisen Ersatz durch Umwandlung von Ödland
oder minderwertigem Land in Kulturland beschaffe. Zu diesem Zwecke
kann, wie auch in Art. 4 lit. d EntG ausdrücklich vorgesehen wird,
das Enteignungsrecht erteilt werden. Obschon die Bestimmung von Art. 8
EntG davon spricht, dass "die Gewährung des Enteignungsrechtes" mit
gewissen Bedingungen verbunden werden könne, dem Wortlaut nach also nur
dort gilt, wo das Enteignungsrecht fallweise an Dritte verliehen wird
(Art. 3 Abs. 3 EntG), so besteht doch kein Zweifel daran, dass sie
auch dann Anwendung finden kann, wenn der Bund oder ein Unternehmen,
dem das Enteignungsrecht schon von Gesetzes wegen zusteht, als Enteigner
auftritt. Eine solche Auslegung drängt sich im Hinblick auf die allgemeine,
volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Vorschrift auf, durch welche die
Existenzgrundlage der von einer grossflächigen Enteignung betroffenen
Landbevölkerung gesichert werden soll. Die Durchsetzung von Art. 8 EntG
gegenüber sämtlichen Enteignern wird es übrigens in vielen Fällen der
Schätzungskommission erst ermöglichen, in Anwendung von Art. 18 EntG den
einzelnen Enteigneten tatsächlich Ersatzgrundstücke zuteilen zu können
(vgl. HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 1 und 2 zu Art. 8 EntG).

    c) Die Regierung des Kantons Graubünden hat den Antrag der Gemeinde
Nufenen, den "Nationalstrassenbeitrag" u.a. zur Verbesserung von Wiesen
und Vergrösserung der Alpweiden verwenden zu dürfen, offensichtlich als
Begehren im Sinne von Art. 8 EntG verstanden. Wenn auch diese Vorschrift
nicht ausdrücklich genannt wird, so weist die Regierung doch sinngemäss
darauf hin, wenn sie in ihrer Beschwerdeantwort ausführt, dass zu den
expropriationsrechtlichen Einsprachen auch Begehren zu zählen seien,
mit welchen Massnahmen zur Erhaltung von Kulturland verlangt würden, und
dass solche Begehren, auch wenn sie nicht zu einer Planänderung führten,
im Einspracheverfahren anzumelden seien, da sie nach Art. 39 Abs. 2 NSG
im Enteignungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden könnten.

    Tatsächlich wäre die Gemeinde Nufenen als Vertreterin öffentlicher
Interessen befugt, Begehren nach Art. 7 und 8 EntG vorzubringen (HESS, aaO,
N. 20 und 35 zu Art. 7 EntG). Auch spricht grundsätzlich nichts gegen die
Argumentation, wenn der Enteigner verpflichtet werden könne, selbst Ersatz
durch Urbarmachung oder Verbesserung von Boden zu beschaffen, so könne
er auch dazu angehalten werden, die Kosten einer solchen Landumwandlung
zu tragen, die ein Dritter für ihn vornehme. Der Antrag der Gemeinde
Nufenen könnte daher in der Tat als von der kantonalen Regierung zu
beurteilendes Begehren im Sinne von Art. 8 EntG betrachtet werden, wenn
nicht im Rahmen der Gesetzgebung für den Nationalstrassenbau spezielle,
Art. 8 EntG vorgehende Bestimmungen aufgestellt worden wären.

Erwägung 3

    3.- Zum Schutze der durch den Nationalstrassenbau gefährdeten land-
und forstwirtschaftlichen Interessen hat der Verfassungsgesetzgeber im
Jahre 1958 in Art. 36bis Abs. 3 BV festgehalten, dass der wirtschaftlich
nutzbare Boden nach Möglichkeit zu schonen sei; den durch die Anlagen
von Nationalstrassen entstehenden Nachteilen in der Verwendung
und Bewirtschaftung des Bodens sei durch geeignete Massnahmen auf
Kosten des Strassenbaues entgegenzutreten. Dieser Forderung wurde auf
der Gesetzesebene unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass der
Landbeschaffung durch Landumlegung ein gewisser Vorrang gegenüber der
Enteignung eingeräumt wurde (Art. 30 NSG; vgl. BGE 105 Ib 96 f. E. 5a,
104 Ib 82 E. 1a, 99 Ia 496 E. 4a). Ausserdem wurden für die Güter-
und Waldzusammenlegungen besondere Bestimmungen geschaffen, die eine
sofortige Behebung der durch den Strassenbau entstehenden Nachteile im
Zusammenlegungsverfahren selbst ermöglichen sollten (vgl. Botschaft des
Bundesrates zum Entwurf des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen, BBl
1959 II, S. 121; BGE 105 Ib 109 E. 2a). So schreibt Art. 33 NSG vor, dass
gleichzeitig mit den generellen Strassenprojekten auch Vorprojekte für die
Landumlegungen auszuarbeiten seien. Im weiteren kann den Grundeigentümern
Gelegenheit eingeräumt werden, sich für die Durchführung einer Güter-
und Waldzusammenlegung gemäss Art. 703 ZGB zu entschliessen, wobei
im voraus bekanntzugeben ist, welche Kosten der Zusammenlegung vom
Strassenbau getragen werden (Art. 34 NSG). Damit das Unternehmen nicht
an der mehrheitlichen Ablehnung durch die Grundeigentümer scheitere,
hat der Gesetzgeber zudem die kantonalen Regierungen ermächtigt, die
für den Strassenbau notwendigen (sog. beschränkten) Landumlegungen
zu verfügen (Art. 36 NSG; vgl. BGE 105 Ib 99 E. 6a). Und schliesslich
legt das Nationalstrassengesetz fest, dass in zusammenlegungsbedürftigen
Gebieten die durch den Strassenbau verursachten Mehrkosten, und in bereits
zusammengelegten Gebieten oder in Gegenden mit Hofsiedlung sämtliche
Landumlegungskosten zu Lasten des Strassenbaues gehen (Art. 38 Abs. 1 NSG).

    Gemäss Art. 38 Abs. 2 NSG entscheidet das Eidgenössische Departement
des Innern im Einvernehmen mit den interessierten Departementen des
Bundes im Einzelfall über die Kostenanrechnung. Die Kompetenz des
Departementes des Innern beschränkt sich nach dieser Vorschrift nicht nur
auf die Festlegung der vom Strassenbau zu übernehmenden Kosten, sondern
umfasst auch den Entscheid darüber, wie dieser Beitrag bei der weiteren
Subventionierung der Güterzusammenlegung in Rechnung zu setzen sei. Gerade
diese Frage hat die Gemeinde Nufenen in ihren Eingabe aufgeworfen.

    Die Bündner Regierung hat demnach durch ihren Entscheid über
die Verwendung und Anrechnung des der Gemeinde Nufenen zugesprochenen
"Nationalstrassenbeitrages" bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschriften
verletzt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Die zuständigen
Bundesbehörden werden in der Sache neu zu befinden haben.