Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IB 327



105 Ib 327

51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 27. November 1979 i.S. Erben Loss gegen Kanton Zürich und Eidg.
Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 EntG; Enteignungsentschädigung als Einheit.

    Die nach Art. 19 lit. a-c EntG zu leistende Entschädigung
ist grundsätzlich gesamthaft, in einem einzigen Entscheid
festzusetzen. Insbesondere kann die Bestimmung des Bodenwertes in der Regel
nicht erfolgen, ohne dass gleichzeitig geprüft wird, ob ein Minderwert
des Restteiles (Art. 19 lit. b EntG) oder ein anderer zusätzlicher Schaden
(Art. 19 lit. c EntG) entstanden sei.

Sachverhalt

    A.- Für den Bau der Nationalstrasse SN 1.4.4 auf dem Gebiete
der Stadt Zürich beanspruchte der Kanton Zürich einen Teil der an
der Überlandstrasse liegenden Grundstücke der Erben Johann Loss. Die
Enteigneten verlangten unter anderem eine Entschädigung von Fr. 800.-/m2
für das enteignete sog. Vorgartenland (zwischen Strasse und Baulinie) sowie
beträchtliche Minderwertsentschädigungen für die Restliegenschaften. Der
Enteigner offerierte Fr. 450.-/m2 für den abzutretenden Boden und
bestritt jeden weiteren Entschädigungsanspruch der Enteigneten. An
der Einigungsverhandlung schlossen die Parteien einen "Teilvergleich",
wonach die Regelung der Minderwertsforderungen bis nach Fertigstellung
der N 1.4.4 aufgeschoben werden solle.

    Mit Entscheid vom 14. Oktober 1978 sprach die
Eidg. Schätzungskommission, Kreis 10, den Enteigneten eine - nach der
statistischen Methode festgesetzte - Verkehrswertentschädigung für
das enteignete Vorgartenland von Fr. 450.-/m2 zu. Die Begehren um
Minderwertsentschädigung blieben unbeurteilt. Die Enteigneten haben
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Erhöhung der ihnen zugesprochenen
Entschädigung verlangt.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Mit der Frage, ob über die einzelnen Posten der
Enteignungsentschädigung separat entschieden werden könne oder ob die
nach Art. 19 EntG zu leistende Vergütung gesamthaft zu bestimmen sei,
hat sich das Bundesgericht schon im Entscheid Cottoferm AG gegen SBB vom
20. Februar 1957 (BGE 83 I 72 ff.) befasst. Angefochten war damals ein
Teilurteil der Schätzungskommission, in welchem diese die nach Art. 19
lit. a EntG zu entrichtende Verkehrswertentschädigung festgesetzt
und bestimmt hatte, dass mit der Zahlung dieser Entschädigung das
Enteignungsobjekt ins Eigentum des Enteigners übergehe; den Entscheid über
die Existenz und die Höhe eines weiteren Schadens im Sinne von Art. 19
lit. c EntG hatte die Schätzungskommission auf einen späteren Zeitpunkt
verschoben. Das Bundesgericht hob diesen Entscheid von Amtes wegen aus
folgenden Erwägungen auf:

    Einerseits gehe aus Art. 91 und 89 EntG (in der früheren, vor der
Revision vom März 1971 geltenden Fassung) hervor, dass der Enteigner das
Eigentum am enteigneten Grundstück, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erst
durch die Bezahlung der "Entschädigungen", d.h. der Gesamtheit der dem
Enteigneten nach Art. 19 EntG zustehenden Leistungen erwerbe. Es verstosse
deshalb gegen klare Gesetzesbestimmungen, wenn die Schätzungskommission
angeordnet habe, dass die enteignete Liegenschaft schon gegen
einen Teil der Enteignungsentschädigung an den Enteigner übergehen
solle (E. 2). Anderseits ergebe sich aus dem Wortlaut verschiedener
Vorschriften des Enteignungsgesetzes, vor allem aber aus der Natur der
Enteignungsentschädigung, dass diese eine Einheit bilde, auch wenn sie
aus verschiedenen Bestandteilen bestehe. Im übrigen würde die Beurteilung
der Entschädigungsbestandteile in getrennten Verfahren im Falle eines
Weiterzuges ans Bundesgericht zu praktischen Schwierigkeiten führen: zum
einen könnten Verfahrensverzögerungen und Kompetenzkonflikte entstehen,
wenn sich das Bundesgericht und die Schätzungskommission gleichzeitig mit
dem nämlichen Verfahren befassten, zum andern bestünde, solange die Höhe
der Gesamtentschädigung nicht bekannt sei, Unklarheit darüber, ob eine
Beschwerde überhaupt einzureichen sei.

    b) Das erste in BGE 83 I 77 gegen die Festsetzung von
Teilentschädigungen angeführte Argument, das sich auf den Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs bezieht, ist mit der Revision des Enteignungsgesetzes
vom 18. März 1971 dahingefallen. Nach geltendem Recht kann der Enteigner
das Eigentum am Enteignungsobjekt schon durch Leistung einer Anzahlung im
Sinne von Art. 19bis Abs. 2 EntG erwerben (Art. 91 Abs. 1 EntG). Dagegen
haben die übrigen im damaligen Entscheid wiedergegebenen Erwägungen
ihre Gültigkeit behalten. So ist bereits in BGE 94 I 581 ff. und 97
I 766 f. bestätigt worden, dass die Enteignungsentschädigung, auch
wenn sie sich aus einzelnen Faktoren zusammensetzt, ein Ganzes bilde;
bei anderer Betrachtungsweise würden, wie in diesen Urteilen gezeigt
wird, prozessuale Schwierigkeiten entstehen und wäre das Bundesgericht
ausserstande, alle Entschädigungsfaktoren im einzelnen und im Verhältnis
zueinander zu überprüfen und allenfalls zu korrigieren.

    Übrigens kann auch das früher für den Erlass von Teilentscheiden
sprechende Argument, der Enteignete müsse möglichst rasch über eine
gewisse Entschädigungssumme verfügen können, nicht mehr aufrechterhalten
werden, nachdem der im Jahre 1971 neu eingeführte Art. 19bis Abs. 2
EntG die Schätzungskommission beauftragt, auf Ersuchen des Enteigneten
sofort eine Zahlung in der voraussichtlichen Höhe des Verkehrswertes
festzusetzen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Gesetzgeber
eine Überprüfung der Höhe dieser Anzahlung durch das Bundesgericht
ausdrücklich ausgeschlossen hat, einerseits um eine sofortige Zahlung
zu gewährleisten, andererseits um dem Bundesgericht eine zweifache
Beurteilung der Verkehrswertentschädigung zu ersparen (vgl. BGE 104 Ib
291). Eine solche - unerwünschte - doppelte oder mehrfache Überprüfung
müsste aber gerade dann vorgenommen werden, wenn zugelassen würde, dass
die Entschädigung für ein bestimmtes Enteignungsobjekt in verschiedenen
Teilurteilen festgesetzt wird.

    c) Selbst wenn der Erlass von Teilentscheiden über die
Enteignungsentschädigung in gewissen Ausnahmefällen als zulässig zu
betrachten wäre, so würde es sich hier nicht rechtfertigen, von der in der
Rechtsprechung aufgestellten Regel abzuweichen. Die im vorliegenden Fall
von der Schätzungskommission im voraus entschiedene Frage, wie enteignetes
"Vorgartenland" zu bewerten sei, kann nicht für mehrere Liegenschaften
unter Anwendung der gleichen Kriterien und unabhängig davon, ob weitere
Entschädigungen zu leisten seien, beantwortet werden. Bei der Bewertung von
ausserhalb der Baulinie liegenden Landes ist vielmehr in jedem Einzelfall
zu berücksichtigen, welchen Gebrauch der Enteignete vom abgetretenen, nicht
überbaubaren Boden machte. Zudem kann die Festsetzung des Bodenwertes in
der Regel nicht losgelöst von der Frage erfolgen, ob das Restgrundstück
durch die Abtretung einen Minderwert erfahren habe (Art. 19 lit. b EntG)
oder ob dem Enteigneten weitere nach Art. 19 lit. c EntG zu entschädigende
Nachteile entstanden seien. Je nach der gewählten Bewertungsmethode -
Berechnung der Gesamtentschädigung nach objektiven oder nach subjektiven
Kriterien - ist möglicherweise der Wert des abgetretenen Bodens verschieden
einzusetzen.

    Auch die Tatsache, dass im vorliegenden Fall die Parteien vereinbart
haben, es sei über die weiteren Entschädigungspunkte erst nach der
Vollendung des Werkes zu entscheiden, vermag eine solche Lösung nicht zu
rechtfertigen. Zwar sieht Art. 57 EntG vor, dass das Schätzungsverfahren
mit Zustimmung der Parteien bis nach Fertigstellung des Werkes verschoben
werden kann. Diese Bestimmung verpflichtet jedoch die Schätzungskommission
nicht, Verschiebungsbegehren von Parteien stattzugeben. Auf eine
Verschiebung von einzelnen Schätzungsverfahren soll vielmehr verzichtet
werden, wenn durch eine solche die einheitliche Beurteilung einer ganzen
Reihe von gleichartigen Entschädigungsansprüchen in Frage gestellt
würde (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 2 zu Art. 57 EntG).
Ausserdem betrifft die in Art. 57 EntG vorgesehene Aufschubsmöglichkeit
das Schätzungsverfahren als Ganzes und nicht die Festsetzung bloss eines
Teils der Entschädigung.

    Am Augenschein hat sich übrigens gezeigt, dass sich ein Minderwert
für die fraglichen Restliegenschaften nicht erst durch zukünftige,
nach Inbetriebnahme der Autobahn entstehende Immissionen ergeben kann,
sondern dass ein solcher durch die Verkleinerung der Bodenfläche bereits
entstanden ist. Es scheint nichts dagegen zu sprechen, diesen bereits
eingetretenen Minderwert schon heute zu bestimmen. Jedenfalls bleibt dem
Beschwerdeführer aufgrund von Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG auch bei einem
sofortigen umfassenden Entscheid der Schätzungskommission die Möglichkeit
gewahrt, allfällige erst in Zukunft entstehende Entschädigungsforderungen
noch anzumelden, wobei die grundsätzliche Frage nach der Pflicht zur
Leistung von Immissionsentschädigungen im vorliegenden Falle ausdrücklich
offengelassen wird.

Erwägung 2

    2.- Der angefochtene Entscheid muss demnach aufgehoben werden. Die
Akten sind an die Schätzungskommission zurückzuweisen, welche entweder
das ganze Schätzungsverfahren im Sinne von Art. 57 EntG aufzuschieben
oder sich in einem neuen Entscheid über sämtliche Entschädigungsbegehren
der Enteigneten auszusprechen hat.

    Den Enteigneten bleibt es in jedem Falle vorbehalten, eine Anzahlung
in der voraussichtlichen Höhe der Verkehrswertentschädigung (Art. 19bis
Abs. 2 EntG) zu verlangen.