Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 41



105 Ia 41

9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 7. Februar 1979 i.S. S. gegen Bezirksanwaltschaft Winterthur,
Staatsanwaltschaft und Obergericht (I. Strafkammer) des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 5 Ziff. 3 EMRK.

    Ein bereits in Haft befindlicher Beschuldigter muss nach
Anklageerhebung dem zuständigen Richter für die Anordnung der
Sicherheitshaft nicht erneut vorgeführt werden.

Sachverhalt

    A.- S. befand sich während der gegen ihn laufenden Strafuntersuchung
in Untersuchungshaft. Nachdem Anklage erhoben worden war, versetzte ihn
der zuständige Bezirksgerichtspräsident in Sicherheitshaft. Seinen
Rekurs dagegen wies die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Zürich ab. S. gelangte hierauf mit staatsrechtlicher Beschwerde ans
Bundesgericht. Er macht unter anderem eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 3
EMRK geltend. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, in diesem Punkte
aus folgender

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägung:

    Nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK muss jede (nach der Vorschrift des Abs. 1c
dieses Artikels) festgenommene oder in Haft gehaltene Person unverzüglich
einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher
Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Es ist unbestritten,
dass der Beschwerdeführer seinerzeit dem Bezirksanwalt vorgeführt wurde,
nachdem er am 9. Februar 1978 in Untersuchungshaft versetzt worden war.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts übt der zürcherische
Bezirksanwalt im Verfahrensstadium der Untersuchung richterliche
Funktionen im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK aus (BGE 102 Ia 179). Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigt sich zur Zeit
mit diesem Problem. Solange er die Auffassung des Bundesgerichts nicht
als unrichtig bezeichnet hat, besteht kein Anlass, von der bisherigen
Rechtsprechung abzuweichen.

    Der Beschwerdeführer kritisiert sie im übrigen nicht. Er ist
der Meinung, die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft seien
nicht unbedingt dieselben wie jene für die Sicherheitshaft. Es genüge
deshalb nicht, dass er seinerzeit dem Bezirksanwalt vorgeführt worden
sei, vielmehr hätte er auch dem Bezirksgerichtspräsidenten vorgeführt
werden müssen, nachdem dieser am 17. Oktober 1978 die Sicherheitshaft
angeordnet habe. Nach § 52 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich
(StPO) verfügt der Gerichtspräsident oder die Anklagekammer über die
Verhängung oder Fortdauer des Verhaftes (Sicherheitsverhaft). Die
Sicherheitshaft ist eine besondere Form der Untersuchungshaft; ihre
Besonderheit liegt darin, dass sie nach Abschluss der Voruntersuchung
bzw. nach der Anklageerhebung angeordnet wird. Die EMRK gebietet nur,
dass ein Beschuldigter unverzüglich nach der Festnahme einem Richter oder
einem gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten
vorgeführt wird. Hingegen besteht später kein Anspruch auf eine weitere
Vorführung, wenn die Fortdauer der Haft angeordnet wird. Die Europäische
Menschenrechtskommission hat einmal die Frage gestreift, aber offen
gelassen, ob ein Verhafteter Anspruch auf wiederholte Vorführung habe,
wenn sich die Haft über längere Zeit hinzieht (Commission européenne
des droits de l'homme, Décisions et rapports, 1976, 3, S. 89, Entscheid
vom 9. Juli 1975). Verschiedene schweizerische Strafprozessordnungen
bestimmen, dass eine übergeordnete Behörde die Haftverlängerung nach
Ablauf einer bestimmten Haftdauer bewilligen muss. Die EMRK schreibt
nicht vor, dass ein Verhafteter in solchen Fällen erneut vorzuführen
wäre, nämlich der Behörde, welche über die Fortdauer der Haft zu
befinden hat. Nach ihrem klaren Wortlaut verlangt die EMRK nur, dass der
Verhaftete unverzüglich nach der Verhaftung mündlich seine gegen die
Festnahme sprechenden Argumente vorbringen kann. Im übrigen schreibt
die Konvention vor, dass dem Verhafteten die Gelegenheit einzuräumen
sei, sich gegen die Fortdauer der Haft zu beschweren, doch wird nicht
verlangt, dass er in diesem spätern Stadium seine Argumente erneut mündlich
vortragen kann. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus den Ausführungen
von TRECHSEL (Die Europäische Menschrechtskonvention. Ihr Schutz der
persönlichen Freiheit durch die schweiz. Strafprozessrechte, 1974, S.
245/6) ableiten, auf welche sich der Beschwerdeführer stützt. Dieser Autor
stellt klar, dass Art. 5 Ziff. 3 EMRK den Zweck hat, einen Verhafteten
dem alleinigen Machtbereich namentlich der Polizei zu entziehen. Seine
Ausführungen können nicht einfach auf die Situation übertragen werden,
in der der Beschuldigte bereits unter der Kontrolle einer Behörde mit
richterlichen Funktionen steht. Der Beschwerdeführer beklagt sich demnach
zu Unrecht über eine Verletzung des Art. 5 Ziff. 3 EMRK.