Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 149



105 Ia 149

30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23.
März 1979 i.S. Reinhardt gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; behördlicher Abstimmungsbericht, Anfechtung.

    Pflicht zur sofortigen Anfechtung von Mängeln bei der Vorbereitung
einer Volksabstimmung. Ist eine Vorbereitungshandlung mit staatsrechtlicher
Beschwerde angefochten worden, so muss gegen das Abstimmungsergebnis
keine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht werden. Vorgehen
für den Fall, dass eine zweite Beschwerde dennoch erhoben wird.

Sachverhalt

    A.- Der Kantonsrat von Solothurn verabschiedete am 3. Juli 1978
ein neues Baugesetz. Der Regierungsrat setzte die Volksabstimmung
auf den 3. Dezember 1978 an und liess jedem Stimmberechtigten eine
"Abstimmungszeitung" zustellen. Mit Eingabe vom 24. November 1978 erhoben
Dr. Fritz Reinhardt und Dr. Peter Reinhart Stimmrechtsbeschwerde,
mit der sie rügten, dass die Abstimmungsbotschaft den Inhalt der
Vorlage unvollständig und unrichtig wiedergebe. Da der Beschwerde keine
aufschiebende Wirkung erteilt wurde, fand die Abstimmung am vorgesehenen
Datum statt. Das neue Baugesetz wurde von den Stimmberechtigten angenommen.

    Mit Eingabe vom 14. Dezember 1978 reichten Dr. Fritz Reinhardt und
Dr. Peter Reinhart eine zweite staatsrechtliche Beschwerde ein, mit dem
Antrag, das Ergebnis der Volksabstimmung sei aufzuheben. Sie erhoben im
wesentlichen die gleichen Rügen wie in der ersten Beschwerde und machten
geltend, die beanstandete Erläuterung habe das Abstimmungsergebnis in
unzulässiger Weise beeinflusst.

    Ein kantonales Rechtsmittel, von dem die Beschwerdeführer Gebrauch
zu machen haben, ist nicht gegeben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen Mängel bei
der Vorbereitung eines Urnenganges sofort und vor der Abstimmung
gerügt werden. Unterlässt der Stimmberechtigte das, obwohl nach
den Verhältnissen ein sofortiges Handeln geboten und zumutbar war,
so verwirkt er das Recht zur Anfechtung des Abstimmungsergebnisses
(BGE 101 Ia 240 ff. mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall haben die
Beschwerdeführer die Abstimmungsbotschaft noch vor dem Abstimmungstermin
angefochten. Sie sind der erwähnten Verpflichtung daher nachgekommen. Da
der Urnengang wegen der Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung
wie vorgesehen stattfand, haben sie gegen das Abstimmungsergebnis eine
zweite Beschwerde eingereicht. Das wäre nicht erforderlich gewesen. Wird
der gegen die Vorbereitungshandlungen gerichteten Beschwerde die
aufschiebende Wirkung verweigert und findet die Abstimmung aufgrund
der beanstandeten Vorbereitungen statt, so ist die Beschwerde nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts so zu verstehen, dass sinngemäss auch der
Antrag auf Aufhebung der Abstimmung selber gestellt wird. Zur Frage der
Erheblichkeit des gerügten Mangels können die Beschwerdeführer im Rahmen
der Beschwerdeergänzung Stellung nehmen, die in diesem Fall gestützt auf
Art. 93 Abs. 2 OG angeordnet wird.

    Wird nach der Durchführung der Abstimmung dennoch eine zweite
Beschwerde erhoben, welche dieselben Einwände enthält, mit denen
schon die Vorbereitungshandlungen angefochten worden sind, so tritt
das Bundesgericht lediglich auf letztere ein. Es schreibt die vor
der Abstimmung erhobene Beschwerde als gegenstandslos geworden vom
Geschäftsregister ab und entscheidet nur noch über die allfällige
Zusprechung einer Parteientschädigung, und zwar aufgrund der Sachlage,
wie sie vor Eintritt des Erledigungsgrundes bestand (Art. 40 OG
i.V. mit Art. 72 BZP; nicht veröffentlichtes Urteil vom 4. Oktober
1978 i.S. Progressive Organisationen der Schweiz, Sektion Solothurn,
E. 1a). Hier ist in diesem Sinne vorzugehen.